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Gesellschaft

Facebook, wir müssen reden!

Gilda-Nancy Horvath
30. Mai 2022

Facebook verlassen. Das klingt einfacher, als es ist. Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Journalismus, um sich seine Abhängigkeit einzugestehen - und diese zu beenden?

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USA | Facebook-Angestellte vor dem neuen Firmen-Logo
Das Firmenlogo von Meta vor der Konzern-Zentrale in Menlo Park, Kalifornien (USA)Bild: Tony Avelar/AP/picture alliance

Den Account bei Facebook löschen: Das ist aus mehreren Gründen eine gute Idee. In den vergangenen Tagen wurde wieder heiß über die Meinungsfreiheit diskutiert, weil der global agierende Milliardär Elon Musk Twitter kaufen wollte. Doch die große Empörung über die völlige Eskalation der Verwobenheit des Journalismus mit Facebook bleibt seit Jahren aus. Warum?

Das soziale Netzwerk ist längst ein fixer Bestandteil unseres Arbeitsalltags. Ich erhalte regelmäßig Mails von der Redaktionsleitung mit den Reichweitenzahlen der erfolgreichsten Beiträge. Das soll motivieren. Aber motivieren wozu? Wann genau geschah es, dass die Reichweite auf genau dieser sozialen Plattform zu einem derart wichtigen Indikator geworden ist? So wichtig, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich es mir beruflich überhaupt leisten kann, den Account einfach zu löschen.

Was würde mit den über Jahre aufgebauten Netzwerken, den unzähligen Gruppen zu den unzähligen wichtigen Themen passieren? Und was kommt danach? Was ist die Alternative zur Verbreitung von Inhalten, die ich für gesellschaftlich relevant halte und die ich teilen möchte, so wie ich es seit Jahren auf Facebook gelernt habe? Wenn ich keine Reichweite auf dieser Plattform mehr habe, existiere ich dann überhaupt noch?

Gilda-Nancy Horvath, Journalistin und Roma-Aktivistin
DW-Autorin Gilda-Nancy HorvathBild: privat

Den Account zu löschen erscheint auf den ersten Blick wahnsinnig unbequem. Es wäre viel angenehmer, einfach auf der Plattform zu verweilen und sich einzureden, sie sei nicht mehr als ein Verbreitungstool für uns journalistische Medien.

Storytelling für den Algorithmus?

Und weil wir Journalistinnen und Journalisten es uns so bequem gemacht haben auf Facebook, geht der Konzern Meta jetzt noch einen Schritt weiter. Im Meta Journalism Project werden wir geschult, damit wir "Geschichten von Bedeutung erzählen können". Jetzt sollen wir also lernen, Stories so zu erzählen, wie es dem Algorithmus gefällt, damit die Werbung, die geschaltet wird, auch wirklich gut zu dem Content passt, der aus den Redaktionen kommt.

Ein alternativer Weg wäre natürlich, dass Meta endlich aufhört, journalistisch professionellen Content gleichwertig nebeneinander oder, präziser, untereinander mit Hassrede, Fake-News und emotionalen Meinungsäußerungen zu präsentieren. Aber das kommt nicht in Frage.

Stattdessen kauft Facebook sich lieber ein: 2019 wurde Lokaljournalismus weltweit mit mehr als 300 Millionen Dollar (rund 280 Millionen Euro) unterstützt. Das Geld sollte in Nachrichtenprogramme, Partnerschaften und Inhalte fließen. Das ist ein Taschengeld für den Konzern - aber viel Geld für den chronisch unterfinanzierten Journalismus und die vielen jungen, talentierten Menschen, die statt journalistischer Arbeitsweisen von Anfang an Storytelling nach den Richtlinien der Plattform erlernen.

Endlich, sagen die Verfechter des Modells, hat die Medienbranche den vom Marketing gefürchteten Streuverlust im Griff. Aber wir verabschieden uns im selben Moment von unserer journalistischen Integrität, glaube ich.

Fake News und Desinformation

Deswegen müssen wir Schluss machen mit Facebook. Auch wenn es im ersten Moment weh tut. Wir müssen uns von dem Bild im Kopf verabschieden, vom Anfang unserer Romanze, als wir das soziale Netzwerk noch als Demokratisierung der Information feierten und im Rausch bereit waren, die Risiken zu ignorieren.

Spätestens beim Sturm auf das Capitol in Washington Anfang 2021 muss uns doch allen klar geworden sein, dass soziale Medien Verantwortung übernehmen müssen. Die Reichweite der Fake News und der Desinformation, die ungehindert verbreitet werden konnten, war wichtiger als die verursachte Verstörung von Millionen Menschen, die letztlich in Gewalt eskalierte.

Symbolbild Laptop
Reichweite durch Facebook - eine Illusion?Bild: Dominic Lipinski/PA Wire/picture alliance

Der Konzern könnte die Verbreitung von Propaganda durchaus in den Griff bekommen - es würde nur einfach viel mehr Geld kosten. Meta ist allerdings nicht verpflichtet, dies zu tun, denn Meta ist ein Konzern und arbeitet nach marktwirtschaftlichen Prinzipien. Der Profit darf also im Vordergrund stehen. Aber welchen Grund haben wir Journalisten, die Informationsdominanz dieses Konzerns weiterhin mitzutragen? Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Redaktionen dieser Welt, um sich den Grad ihrer Abhängigkeit einzugestehen und diese zu beenden?

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Diese Abhängigkeit ist nur eine Illusion. Wir wiegen uns im Glauben, dass Facebook uns auch heute noch eine tolle Reichweite garantiert. Inzwischen wissen wir, dass dies nicht stimmt. Der Algorithmus sorgt mittlerweile dafür, dass wir die gewünschte oder erträumte Reichweite sowieso niemals erreichen werden, wenn wir nicht nach den Storytelling-Regeln der Plattform spielen oder einfach für die Reichweite bezahlen.

"Safe Spaces"

Es ist Zeit für den Journalismus, seinen eigenen Weg zu gehen und die Entwicklung digitaler Informationsverbreitung wieder selbst in die Hand zu nehmen. Unabhängiger Journalismus - das bedeutet auch, zumindest zu versuchen, eigene Plattformen, eigene Orte zu schaffen, die unseren Ansprüchen genügen und die "Safe Spaces" darstellen für jene, die glaubwürdige und gesicherte Information suchen. Und noch eine ganz verrückte Idee an dieser Stelle: Journalisten sollten in ihrer Arbeitszeit Journalismus machen. Alles andere ist Marketing.

Mein Facebook-Account ist mittlerweile deaktiviert. Damit ich die Beiträge meiner Kolleginnen und Kollegen weiterhin unterwegs lesen kann, habe ich mir jetzt endlich die DW-App heruntergeladen. Es ist wirklich charmant, beim Lesen der Beiträge nicht von Schock-Videos und Hate Speech unterbrochen zu werden.

Facebook Logo
Kann es ein Leben ohne Facebook geben?Bild: Ben Margot/AP Photo/picture alliance

Mein Lieblingstrend und Hashtag für 2022 ist daher #leavefacebook. Und wenn das noch kein Trend ist - dann sollte es sofort einer werden. Denn bei aller Liebe zur Diskussion um Geschäftsmodelle in der Medienbranche sollten wir uns auf unsere Werte zurückbesinnen: Valide Information ist ein Menschenrecht. Die Macht über Information, das Design von Information, über die Orte, an denen Information verbreitet und übermittelt wird - das alles ist in diesen Zeiten gleichbedeutend mit der Macht über die Deutung der Realität.

Entweder verlassen wir Facebook oder wir überlassen Meta in Zukunft endgültig die Entscheidungshoheit und die Deutungshoheit darüber, was die Menschen als wahr empfinden. Das ist der Preis, den der Journalismus für mehr Reichweite in Wirklichkeit bezahlt.

Gilda-Nancy Horvath ist Journalistin und Roma-Aktivistin. Sie gründete 2017 das Medium Romblog für Narrative der Roma und Sinti. Bei der DW erschien u. a. ihre Portraitserie "Glaso" (Stimme).