Facebook: Der Kampf um den Ruf
21. März 2018Geduldig lungerten am Dienstagabend die Kamerateams und Fotografen vor der Adresse der Analysefirma Cambridge Analytica (CA) in der Londoner Oxford Street, in der Hoffnung auf weitere Aufklärung über den seit Anfang der Woche brodelnden Skandal. Aber alles was sie zu sehen bekamen, war ein blasser Alexander Nix, der aus dem Haus geführt wurde und ein paar Stunden später seines Amtes als CEO des Unternehmens enthoben wurde.
Alexander Nix hatte vor versteckten Kameras des Senders Channel 4 sein Unternehmen in die Katastrophe geredet. Er hatte den Wahlsieg von Donald Trump als Erfolg seiner Kampagne verbucht, zugegeben, dass Cambridge Analytica sowohl zum Mittel der Erpressung als auch zur üblen Nachrede greife, wenn es nötig sei. Die Firma spreche Wähler weltweit gezielt nicht nur an, sondern könne sie durch individuell zugeschnittene Botschaften auch manipulieren.
Ex-CEO Alexander Nix wird als Hauptschuldiger dargestellt
Ein weiterer Beschäftigter erklärte, dass die "Crooked Hillary"-Kampagne gegen Hillary Clinton während des US-Präsidentschafts-Wahlkampfs 2016 von Cambridge Analytica gesteuert worden sei. "Unsere Daten haben ihre (Trumps) Kampagne untermauert", brüsteten Nix und sein Kollege gegenüber den verdeckten Reportern. Man habe einen Datensatz von rund 50 Millionen Facebook-Nutzern psychologisch ausgewertet. Diese Nutzer seien daraufhin gezielt motiviert und mobilisiert worden.
Am Mittwoch sagte sich das Unternehmen dann von seinem früheren Chef los: "Seine Erklärungen stehen nicht für die Werte oder die Vorgehensweise des Unternehmens", heißt es kurz darauf. Sein Rauswurf spiegele die Schwere seiner Verstöße wieder. Doch war einzig und allein Nix für alles verantwortlich? CA behauptet jedenfalls, die Aktivitäten der Firma seien legal gewesen.
Es war der 28-jährige Christopher Wylie, ein Ex-Mitarbeiter der Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica, der mit seinen Enthüllungen für einen neuen Datenschutz-Skandal sorgte. Wylie hatte sich an die Öffentlichkeit gewandt. Mit der "New York Times" und dem "Guardian" sprach er über Praktiken bei seinem ehemaligen Arbeitgeber. Cambridge Analytica soll ohne Zustimmung von Usern rund 50 Millionen Facebook-Profile mit persönlichen Daten ausgewertet haben. Das Unternehmen zeigt jetzt aber mit dem Finger auf den russischen Wissenschaftler Alexandr Kogan von der Psychologie-Fakultät der Universität Cambridge.
Datenanalyst Kogan will nicht Sündenbock sein
So viel scheint klar: Der Datenanalyst Alexandr Kogan hatte die Daten von rund 270.000 US-Facebook-Nutzern an Cambridge Analytica weiter gegeben. Er hatte zu wissenschaftlichen Zwecken eine Persönlichkeitstest-App namens "thisisyourdigitallife" (das ist dein digitales Leben) entwickelt. Mit der App konnte Kogan auf sämtliche Informationen zugreifen, etwa Inhalte, die Facebook-Nutzern "gefielen", oder die Orte, die sie in ihren Profilen angaben. Doch die App konnte nicht nur die Daten der Testperson abrufen, sondern auch die der Freunde. Damit kam letztlich eine gigantische Datenmenge von rund 50 Millionen Facebook-Nutzern zustande.
Durch die Auswertung von Vorlieben und weiteren persönlichen Informationen können Wissenschaftler wie er ziemlich genaue psychologische Profile der Nutzer erstellen, die dann zu Werbezwecken, oder wie in diesem Fall, zur politischen Beeinflussung von Wählern genutzt werden können.
Kogan verteidigt sich jetzt: Er sei davon ausgegangen, dass nichts Unrechtmäßiges mit den Daten geschehen würde, als er diese weitergab. Die Universität Cambridge untersucht derzeit seine Aktivitäten und bekräftigte, sie habe mit Cambridge Analytica nichts zu tun.
Schwere Vorwürfe gegen das Mutter-Unternehmen
Die britische Zeitung "The Times" erhebt darüber hinaus schwere Vorwürfe gegen das Mutter-Unternehmen von Cambridge Analytica - die SCL (Strategic Communication Laboratories) Gruppe. Das Unternehmen beschäftige Hacker, Programmierer und IT-Experten, die weltweit an der Beeinflussung von Wahlen oder der Manipulation von politischen Spannungen beschäftigt sein sollen. Das Unternehmen soll in Ländern wie Kenia, Libyen, Pakistan und Indien tätig geworden sein. Beide, SCL und die Tochter Cambridge Analytica, sollen auch im Auftrag der britischen Regierung gearbeitet haben.
Die Datenschutz-Beauftragte kommt zu spät
In Interviews räumte die britische Datenschutzbeauftragte Elisabeth Denham in den letzten Tagen ein, dass sie schon seit Monaten auf der Spur von Analysefirmen sei, gegen die der Verdacht des Datenmissbrauchs besteht. Aber erst durch einen Whistleblower und die Aufklärungsarbeit der Zeitung "The Guardian" sowie des Senders "Channel 4" kam der Skandal um Cambridge Analytica ans Licht.
Seit Montag bemüht sich Denham nun um einen Durchsuchungsbeschluss für die Büroräume von Cambridge Analytica. Bis Mittwochmittag scheint noch kein Gericht die Erlaubnis dafür erteilt zu haben, und das Unternehmen verweigert momentan die Kooperation. Zuvor hatte die Beauftragte bereits Beschäftigte von Facebook aufgefordert, ihre Arbeit in den Räumen von Cambridge Analytica einzustellen.
Sollte an den Vorwürfen gegenüber CA etwas dran sein, dann hätte sie inzwischen reichlich Zeit gehabt, ihre Server zu reinigen und alle Hinweise auf illegale Tätigkeiten verschwinden zu lassen.
Parlament lädt Zuckerberg vor
Der Ausschuss für Digitale Angelegenheiten und Medien im britischen Parlament kündigte an, mit Facebook-Chef Mark Zuckerberg sprechen zu wollen. Er solle sich bis Mitte nächster Woche äußern und einen Termin benennen. Ob er aber erscheinen wird oder zur Aussage verpflichtet werden kann, ist offen. Vermutlich wird Facebook seine Topmanager nach London schicken.
Bis dahin aber hört der Ausschuss den Ex-Facebook Beschäftigen Sandy Parakilas an. Er war zuständig für den Schutz von Daten gegenüber Dritten, insbesondere Software-Entwicklern. Er will schon 2012 Manager des Unternehmens gewarnt haben, dass "sobald Daten die Server von Facebook verlassen haben, wir nicht mehr darüber erfahren werden, was Entwickler damit machen". Parakilas kritisierte besonders die Praxis, Nutzerdaten und deren Freundeskreis an Entwickler von Apps weiter zu geben. "Facebook wusste, dass der Zugang zu den Daten von Freundeskreisen, Risiken birgt."
Dies dürfte der Hebel sein, den die Abgeordneten gegen Facebook suchen: Hat das Unternehmen leichtfertig gehandelt und die Warnungen von Beschäftigten missachtet? Hat man in Silicon Valley nichts getan, um bekannte Risiken beim Verletzen der Privatsphäre von Nutzerdaten zu beenden?
Welche Risiken gibt es für den demokratischen Prozess?
Britische Kommentatoren rufen jetzt nach einem verbesserten Datenschutz für private Nutzer. Professor Ian Robertson, Datensicherheits-Spezialist an der Universität Warwick, sieht in diesem Fall viele ungelöste ethische Fragen: Werden persönliche Daten missbraucht, um etwa rassistische, sexistische oder andere illegale Inhalte zu verbreiten? Und welche Rolle spielt dabei das Schüren unbewusster Ängste oder die Manipulation von existierenden Vorurteilen? Der Skandal um Cambridge Analytica lüftet jedenfalls den Schleier über die mögliche Verwendung von Social Media-Daten - und davon hatten Millionen Nutzer möglicherweise bisher keine Ahnung.