Ein Meer von roten Flaggen
31. Juli 2016Bereits der Weg zur großen Demonstration unter dem Motto "Ja zur Demokratie. Nein zum Staatsstreich" gestaltete sich schwierig. Nachdem einige Sperrungen umgangen waren, sollte ein Polizist Auskunft über den schnellsten Weg zur Deutzer Werft Auskunft geben. "Wo gehts hier zur Demo, bitte?"
"Zu welcher denn?" war die lapidare Gegenfrage. Schließlich demonstrierten am Sonntag nicht nur Erdogan-freundliche Deutschtürken in Köln, sondern auch linke Kurden, die Jugendorganisationen verschiedener Parteien und das rechtsextreme Bündnis Pro NRW. Die Veranstaltung an der Deutzer Werft direkt am Rhein mit Blick auf den Dom war mit Abstand die größte. Organisiert wurde sie hauptsächlich von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), einer Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP. Die Polizei sprach zuletzt von bis zu 40.000 Teilnehmern.
Im Vorfeld hatte die Demonstration für Aufregung gesorgt. Für den Fall, dass Regierungsmitglieder aus der Türkei anreisen sollten, stand sogar eine Absage im Raum. Außerdem hatte die Stadt Köln den Organisatoren der Pro-Erdogan-Demo verboten, türkische Regierungsmitglieder auf eine Videoleinwand zuzuschalten. Dagegen hatte ein Organisator beim Bundesverfassungsgericht Klage eingericht - vergeblich.
Lütfiye Kum war mit ihrer ganzen Familie aus Krefeld zur Demonstration nach Köln gekommen und empfand das Videoverbot als ungerecht.
"Das ist nicht schön", sagte die in türkische Flaggen gehüllte Frau, die seit 37 Jahren in Deutschland lebt. "Millionen Türken leben in Deutschland, wir haben dieses Land zusammen aufgebaut. Wir haben die gleichen Rechte wie Deutsche. Wir sollten Erdogan auf der Leinwand sehen dürfen."
Kein Auftritt des Auβenministers
Bei der Großveranstaltung herrschte eine friedliche Stimmung. Stunden, bevor es losging, trafen die ersten Teilnehmer ein. Kinder spielten auf dem Rasen vor der Bühne, eine Gruppe Männer nutzte die Wartezeit für ein Gebet.
Einige Medienvertreter waren zwar von ihren Arbeitgebern mit Helmen und Schutzbrillen ausgestattet worden. Zu gewalttätigen Ausschreitungen kam es aber nicht. So waren die blauen Regenponchos, die von den Veranstaltern verteilt wurden, für die Journalisten weitaus nützlicher. Mehrmals gingen während der Veranstaltung wolkenbruchartige Schauer nieder.
Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies hatte im Vorfeld gesagt, er habe einen Auftritt des türkischen Auβenministers "verhindern" können. Der Nachrichtenseite "Zeit Online" erklärte Mathies, dass der Auftritt eines wichtigen türkischen Regierungsmitglieds das Anschlagsrisiko steigern würde. Kommen durfte dagegen der türkische Minister für Sport und Jugend, Akif Cagatay Kilic. Er sagte in seiner Rede, dass die Türkei, genau wie Deutschland, gegen Terrorismus und für die Demokratie kämpfe.
Deutschlands Auβenminister Steinmeier betonte in einer Erklärung, die das Auswärtige Amt am Samstag auf Twitter teilte, dass Menschen jeglicher Überzeugungen respektiert werden müssen: "Innenpolitische Spannungen aus der Türkei zu uns nach Deutschland zu tragen und Menschen mit anderen politischen Überzeugungen einzuschüchtern, von welcher Seite auch immer, das geht nicht!"
Zu Einschüchterungen kam es bei der großen Pro-Erdogan-Demo nicht. Die Teilnehmer, die mit Bussen auch aus Großbritannien und Belgien kamen, schwenkten eine unfassbare Menge türkischer Flaggen, tanzten zu alten Volksliedern und riefen im Chor Sätze wie "Alles fürs Vaterland."
Auch weit nach 15 Uhr, dem offiziellen Start der Veranstaltung, strömten noch Menschenmassen auf den Platz an der Deutzer Werft. Pünktlich zu Beginn wurden die türkische und die deutsche Nationalhymme gesungen. Danach gab es eine Schweigeminute für die Opfer des versuchten Staatsstreichs und für Menschen, die durch die jüngsten Terroranschläge in der Türkei und anderswo auf der Welt ums Leben gekommen waren.
Ein junger Demonstrationsteilnehmer mit Erdogan-Fanschal erklärte, er stehen voll und ganz auf der Seite des Präsidenten. Dass der türkische Präsident nach dem misslungenen Putsch tausende Richter entlassen hatte, sei nicht undemokratisch gewesen, sondern notwendig für die nationale Sicherheit, sagte der Mann aus Düsseldorf: "Man muss schließlich unterscheiden zwischen Richtern und Terroristen, die gegen die Regierung vorgehen."
Ein größtenteils friedlicher Sonntag
Auf der anderen Rheinseite, etwa eine halbe Stunde zu Fuß entfernt, teilten sich zwei sehr unterschiedliche Gegendemonstrationen den Platz zwischen Domplatte und Kölner Hauptbahnhof.
Auf den Stufen zum Dom und direkt davor standen Unterstützer der Piratenpartei mit Menschen zusammen, die "Freiheit für Abdullah Öcalan"-Flaggen hielten. Gemeinsam tanzten sie zu kurdischer Musik und sprangen zur Aufforderung "Wer nicht hüpft, ist ein Nazi" auf und ab. Es herrschte eine aufgeräumte Stimmung. Der Moderator schlug aber auch ernste Töne an. "Köln gehört uns, nicht den Faschisten - weder den deutschen, noch den türkischen!" hallte es über den Bahnhofsvorplatz.
Das Statement spielte einerseits auf die Demo auf der anderen Rheinseite an, andererseits auf die kleine Gruppe von Menschen, die keine 100 Meter weit hinter einer Polizeibarrikade stand. Hier hielten Unterstützer von Pro NRW und anderen rechten Organisationen Deutschlandfahnen und antiislamische Schilder hoch. Die Stimmung war merklich feindseliger als bei den anderen Kundgebungen.
Ursprünglich wollte die Gruppe direkt an der Pro-Erdogan-Demo vorbeiziehen, dies verhinderte die Polizei jedoch. Am späten Nachmittag löste sie die Veranstaltung der Rechtsextremen komplett auf. Wenig später stürmten Beamte in den Hauptbahnhof, wo einige Demonstrationsteilnehmer randaliert haben sollen, bevor sie Sonderzüge nach Hause bestiegen. Ansonsten verlief der Tag aber weitgehend friedlich. Die Wasserwerfer der Polizei, die am Vormittag noch eindrucksvoll über die menschenleere Deutzer Brücke gerollt waren, kamen nicht zum Einsatz. Köln kann aufatmen.