EZB trotzt ihren Kritikern
2. Juni 2005Jetzt erst recht! Auf den ersten Blick reagiert die Europäische Zentralbank (EZB) wie ein trotziges Kind, dem man einmal zu oft gesagt hat, wie es sich am besten verhalten solle. Trotz zunehmender Kritik von Politikern und Ökonomen bleibt die EZB bei ihrer kategorischen Weigerung, die Zinsen zu senken. "Die Diskussionen über die Notwendigkeit von Zinssenkungen haben quasi das Gegenteil bewirkt, sodass die EZB jetzt gezwungen war, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren", sagt Eugen Keller, EZB-Experte und Devisenstratege des Frankfurter Bankhauses Metzler im Gespräch mit DW-WORLD.
EZB erweist sich als kritikresistent
Wie die Zentralbank am Donnerstag (2.6.2005) nach der turnusmäßigen Sitzung des EZB-Rates in Frankfurt am Main mitteilte, bleibt der Leitzins unverändert bei seinem historischen Tiefstand von 2,0 Prozent. Dabei schätzt mittlerweile sogar die EZB selbst die Konjunkturlage skeptischer ein als noch vor einem Monat: Das Bruttoinlandsprodukt werde in der Euro-Zone 2005 nur noch um 1,4 statt um 1,6 Prozent wachsen, prognostiziert die Notenbank. Für 2006 wird ein Plus von 2,0 statt 2,1 Prozent erwartet.
Geldpolitik als Konjunkturbremse?
"Wir glauben, dass unsere Geldpolitik die beste ist, um das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa zu fördern", rechtfertigt EZB-Präsident Jean-Claude Trichet seine Zinspolitik. Diese Meinung wollen aber zahlreiche Ökonomen und Politiker nicht teilen. So hat die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) die EZB in ihrem jüngsten Wirtschaftsausblick aufgefordert, ihre Leitzinsen um 50 Basispunkte zu senken. Auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) forderte eine rasche Senkung der Zinsen, um mit billigen Krediten die Wirtschaft kräftiger anzukurbeln.
Politiker sollten ihre eigenen Hausaufgaben machen
"Die Vorstellung, dass man mit dem Zinshebel die Konjunktur beliebig steuern könnte, ist eine Vorstellung der 60er, 70er Jahre. Da glaubt heute kein Ökonom mehr dran, höchstens noch Politiker", erteilt Jürgen von Hagen im Gespräch mit DW-WORLD derartigem "Wunschdenken" eine deutliche Abfuhr. "Da die kurzfristigen Realzinsen praktisch bei Null sind, wäre mit Zinssenkungen für Beschäftigung und Produktion ohnehin nichts zu gewinnen", sagt der Volkswirt und EZB-Experte am Bonner Zentrum für Europäische Integrationsforschung.
Stattdessen sollten die Politiker lieber selbst ihre Hausaufgaben machen und sich um notwendige Reformen in der Strukturpolitik kümmern: Um das Wachstum in Deutschland anzukurbeln, müsse der Arbeitsmarkt flexibilisiert und Unternehmern die Möglichkeit gegeben werden, kurzfristig Beschäftigte einzustellen und wieder zu entlassen, betont von Hagen.
Angst vor Inflation im Frankfurter Eurotower
Eine solche konjunkturelle Feinsteuerung ist letztlich auch nicht vorderste Aufgabe der Zentralbank. Laut Maastricht-Vertrages hat sie sich vor allem um die Wahrung der Preisstabilität zu kümmern. Dabei gebe im Moment vor allem das starke Geldmengenwachstum den Währungshütern im Frankfurter Eurotower Anlass zur Sorge, erklärt Devisenstratege Keller.
Volkswirt gibt EZB Rückendeckung
Diese Sorge kann Volkswirt von Hagen zwar nicht teilen, doch: "Solange die Volkswirtschaft im Euro-Raum weiter so vor sich hindümpelt, und gleichzeitig die Inflation keinerlei Anstalten macht anzuziehen, gibt es keinen Spielraum für Zinssenkungen nach oben oder unten."
Vielleicht verhält es sich im Falle der EZB und ihrer Kritiker ja so wie bei einigen Eltern-Kind-Beziehungen: Manchmal hat das Kind auch ganz gute Gründe für seine trotzige Haltung.