Extreme Nahaufnahme: Fotoarbeiten von Martin Schoeller
Vor seiner Kamera sind sie alle gleich: Barack Obama, George Clooney, Drag Queens und Obdachlose. Martin Schoeller schaut jedem direkt in die Augen. In Düsseldorf sind seine außergewöhnlichen Fotoarbeiten zu sehen.
"Drag Queens"
Ungerahmt, die Papierabzüge einfach auf die Wand des Museums getackert. Die großformatigen Fotoarbeiten von Martin Schoeller haben etwas zutiefst Menschliches. Mit seiner Kamera schaut er jedem seiner Protagonisten tief in die Augen. Für seine aktuelle Serie "Drag Queens" hat Martin Schoeller New Yorker Transvestiten fotografiert - Männer in Frauenkleidung, die sich als Performance inszenieren.
Zwillinge: Loraine Smedley & Loretta Tharp
Entscheidend für die Karriere von Martin Schoeller (Jg. 1968) war eine Auftragsarbeit für "National Geographic". Die renommierte internationale Zeitschrift rief den jungen Fotografen an und beauftragte ihn, für einen wissenschaftlichen Text eine Serie über Zwillinge zu fotografieren. Seit 1993 lebte der Deutsche in New York. Anfangs arbeitete er als Assistent von Starfotografin Annie Leibovitz.
Angela Merkel,2010 // Aje Unique Graham, 2015
Berühmt wurde Martin Schoeller, der in Frankfurt aufgewachsen ist, mit seinen seriellen "Close Ups". Egal ob Hollywoodstars wie Denzel Washington oder Meryl Streep oder prominente Politiker wie Barack Obama oder hier Angela Merkel: Für seine extrem nahen Portraits fotografiert er alle gleich, die Kamera auf Augenhöhe. Auch Obdachlose und Prostituierte setzt er so exponiert vor die Kamera.
George Clooney, 2008
Statt Blitzlicht verwendet er weiches Neonlicht. Der Hintergrund ist immer schlicht, mal zart grau, mal weiß. Wer Spaß daran hat, darf sein Portrait mit inszenieren. Hollywood-Star George Clooney spielt mit der Maskierung des professionellen Schauspielers, der jederzeit ein Gesicht aufsetzen kann. Für Martin Schoeller zählt der kostbare "Augenblick einer kurzen Unbedachtheit", wie er das nennt.
Star-Portraits von Zidane (2006) und Cher (2010)
Porentief und hautnah: Bei den großformatigen Portraits seiner extremen Close Ups sieht man jede Hautunebenheit, jeden Pickel, jede Sommersprosse. Retuschiert wird hinterher nichts. "Nur bei Nasenhaaren sind wir gnädig", verrät Martin Schoeller im Gespräch mit der DW. Der französische Fussballstar Zinédine Zidan (li). setzte sich - stark lädiert vom letzten Spiel - vor die Kamera.
Serielle Portraits "Close Up"
Auch deutsche Fussball-Prominenz wie Bundestrainer Jogi Löw (2.v.li) saß bei Martin Schoeller vor der Kamera. Das Fotosetting, das auf nur wenigen Quadratmetern Platz findet, baut Schoeller mit seinem Team aus New York immer gleich auf. Die schwere Glasplatten-Kamera wird auf Augenhöhe des Gegenübers hochgeschraubt und millimetergenau positioniert. Die Gesichter wirken fast wie Landschaften.
Rapper Jay-Z, 2007
Der Erfolg veränderte die Arbeitsweise Martin Schoellers. Anfangs bekam der Fotograf 10 bis 15 Minuten Zeit für ein Shooting. Doch auf einmal standen ihm prominente Stars wie der Rapper Jay-Z (Foto) zwei bis drei Stunden zur Verfügung. "Da musste ich mich neu erfinden", erzählte Schoeller der DW. "Ich kann ja nicht jemand zwei Stunden im Close Up fotografieren." So entstanden situative Portraits.
Serie: "Female Bodybuilder"
Durch Zufall kam Martin Schoeller in Kontakt mit der US-amerikanischen Bodybuilder-Szene. Staunend registrierte er, wie hart und kräftezehrend vor allem die weiblichen Athleten vor den Wettbewerben trainieren mussten. "Ich war extrem fasziniert von diesen Frauen, die so ihre Muskeln aufbauen, dass sie nicht mehr unserem Schönheitsideal entsprechen." Bräunungsspray bringt die Muskeln zur Geltung.
Reportage: Kayapo-Frauen
Martin Schoeller reist viel durch die Welt, um abseits der Glamour- und Society-Welt Themen zu fotografieren. In Brasilien lernte er für eine Fotoreportage den indigenen Stamm der Kayapo kennen. Für Feiern zur Namensvergabe an die Kinder bemalen sich die Frauen das Gesicht. "Ich war war fasziniert von dem kunstvollen Einsatz von nur zwei Farben", sagt Schoeller.
Lars Eidinger, 2019
Der extrovertierte Schauspieler ist einer der angesagtesten Stars der Theater- und Filmszene in Deutschland. Martin Schoeller hat Lars Eidinger hier für eine Fotostrecke im Kundenmagazin der Deutschen Bundesbahn (DB Mobil) abgelichtet. Die Idee mit dem fiesen Glasauge stammt von Eidinger selbst, verrät Schoeller im Interview. Die Schlange gehört einem Berliner Reptilienfan – und ist lebendig.
Drag Queen Los Angeles
Die "Drag Queens" ist Schoellers aktuellste Serie und als Arbeit noch nicht abgeschlossen. Am letzten Berlinale-Wochenende fotografiert er dort noch eine der bekanntesten Berliner Drag Queens. Wer es ist, verrät er nicht. Da ist er diskret: "Heutzutage leben Fotos ja im Netz für immer weiter. Und die Menschen machen sich Sorgen um ihr Image und haben Angst, dass es da peinliche Fotos gibt."
Werkschau "Martin Schoeller"
Die extrem nahen Portraits haben den Fotografen weltbekannt gemacht, international noch mehr als in seinem Heimatland Deutschland. 2020 ist Schoeller in Deutschland mit gleich zwei Ausstellungen vertreten. In Essen mit Portraits von 75 Holocaust-Überlebenden (bis 26.7.), in Düsseldorf im NRW-Forum (bis 15.7.2020) mit seiner Werkschau.