Aziz: "Malaysia Airlines kann in derzeitiger Form nicht bestehen"
19. Juli 2014An Bord der Boeing 770 waren 298 Passagiere, als das Flugzeug am 17. Juli in der von prorussischen Separatisten kontrollierten Ost-Ukraine nahe Shatarsk abgestürzt ist. Die USA behaupten, es sei von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden. Die ukrainische Regierung und die Separatisten beschuldigen sich gegenseitig. Es gibt kein Anzeichen für Überlebende.
Die Katastrophe ereignet sich weniger als fünf Monate, nachdem Flug MH370 verschwunden ist. Das Verschwinden des Flugzeugs auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking mit 239 Personen an Bord lässt bis heute viele Fragen offen. Es wird vermutet, dass das Flugzeug im Indischen Ozean abgestürzt ist. Doch internationale Suchaktionen konnten das bisher nicht bestätigen.
Im Interview mit der Deutschen Welle erklärt Moshin Aziz, Analyst der in Kuala Lumpur ansässigen Maybank Investment Bank, welche Folgen die erneute Katastrophe für das Unternehmen Malaysia Airlines hat.
Deutsche Welle: Welche Aussichten hat Malaysia Airlines sich von der zweiten Katastrophe zu erholen?
Die Zukunft von Malaysia Airlines war ohnehin sehr düster, und der neue Zwischenfall in der Ukraine wird alles noch schlimmer machen. Ich sehe nicht, wie Malaysia Airlines in der nahen Zukunft überleben kann - zumindest in der bisherigen Form.
Selbst bevor sich der zweite Zwischenfall ereignete, waren wir sehr skeptisch, ob das Unternehmen noch ein Jahr würde durchhalten können. Es machte Verluste von über einer Million Euro pro Tag. Auf dieser Grundlage haben wir erwartet, dass Malaysia Airlines Mitte 2015 aus dem Geschäft sein würde, wenn sich nicht grundlegend etwas ändern würde. Wie gesagt, das gilt nur, wenn wir den status quo fortschreiben.
Welchen wirtschaftlichen Schaden hat das Verschwinden von Flug MH370 bereits vorher angerichtet?
Aus rein wirtschaftlicher Perspektive war der Schaden nicht sehr groß – etwa 40 Millionen Ringgit (etwa 1,16 Millionen Euro). Damit sind die direkten Ausgaben gemeint, die das Unternehmen bei der Bewältigung der Krise stemmen musste. Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass ein Großteil der Unkosten von den Versicherungen übernommen werden. Am wichtigsten ist aber wahrscheinlich, dass es einen großen Preisverfall bei den durchschnittlichen Ticketpreisen gegeben hat, da viele Menschen nicht mehr bereit waren, hohe Preise für Tickets von Malaysia Airlines zu zahlen.
Haben sich auch die Passagierzahl verringert?
Es gab nur einen kleinen Rückgang. Das betraf vor allem die Länder China und Australien. Überall sonst blieb das Passagieraufkommen erhalten. Ich beziehe mich dabei auf Daten aus den Monaten April und Mai.
Hat es jemals zuvor eine derartige Häufung von katastrophalen Zwischenfällen bei einer Fluglinie gegeben?
Nein. Das ist ein beispielloser Vorfall in der hundertjährigen Geschichte der Luftfahrt. Keine Fluggesellschaft war jemals mit einer derartigen Herausforderung konfrontiert wie Malaysia Airlines: zwei große Katastrophen innerhalb von fünf Monaten.
Viele Fluggesellschaften haben tragische Unfälle erlebt. Wir haben beobachtet, dass Fluggesellschaften, die mit derartigen Vorfällen konfrontiert waren, nach vier oder fünf Monaten wieder zum Alltag zurückgekehrt waren. Nach dieser Zeitspanne beginnen die Menschen sich wieder sicher zu fühlen, sie wollen die Vergangenheit hinter sich lassen und wieder in die Zukunft blicken. Die letzte Katastrophe liegt aber noch nicht einmal fünf Monate zurück – und jetzt haben wir es mit einem Doppelschlag zu tun.
Deshalb denke ich, dass die Stimmung gegenüber Malaysia Airlines jetzt vor allem negativ ist. Viele Menschen in Asien sind abergläubisch und werden Malaysia Airlines jetzt wahrscheinlich meiden, weil sie denken, dass ein Fluch auf dem Unternehmen lastet. Das mag verrückt klingen, aber leider basiert die Wahrnehmung der Menschen nicht immer auf realistischen Tatsachen. Es wird lange dauern, bis diese negative Wahrnehmung wieder kippt.
Wie wichtig ist Vertrauen in der Luftfahrtbranche?
Es ist unerlässlich. Unter normalen Umständen geht alles über den Preis. Wer den besten Preis bietet, gewinnt, aber wenn es kein grundlegendes Vertrauen in die Sicherheit gibt, kann man mit den Preisen heruntergehen soviel man will: Die Nachfrage wird gering bleiben.
Was kann Malaysia Airlines tun, um im Geschäft zu bleiben?
Zuerst einmal muss das Unternehmen sich auf seine wichtigsten Bereiche konzentrieren. Ich denke, dass Inlandsflüge eine Zukunft haben. Egal was passiert, die Menschen in Malaysia fühlen sich nach wie vor mit ihrer nationalen Fluggesellschaft verbunden. Das, wofür Malaysia Airlines steht, ist Teil der malaysischen Identität, außerdem schätzen viele Menschen das Essen und den Service an Bord. Ich denke, wenn Malaysia Airlines zu einer reinen Inlandsfluggesellschaft würde, bräuchte das Unternehmen zwar Geld, könnte aber vermutlich überleben.
International betrachtet sieht es dagegen anders aus. Schon heute verzeichnet die Fluggesellschaft in ihrem internationalen Zweig riesige Verluste. Darüber hinaus werden viele Leute nach diesen zwei Katastrophen nach Alternativen suchen. Es gibt sehr viel Wettbewerb auf dem Markt, und die Kunden können sich auf jeder Flugroute zwischen drei, vier oder fünf Airlines entscheiden.
Daher denke ich, dass sich Malaysia Airlines, um weiter bestehen zu können, aus dem internationalen Segment zurückziehen sollte. Das ist natürlich schmerzhaft, aber in Momenten wie diesen muss man sich einfach auf die Bereiche konzentrieren, in denen man stark ist und die wirtschaftlich erfolgreich sind.
Mohshin Aziz ist Luftfahrt-Experte bei der Maybank Investment Bank in Kuala Lumpur.