Ex-Diktator des Tschad soll vor Gericht
23. August 2012Ende Juli entschied der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass der mutmaßliche Kriegsverbrecher Hissène Habré vor Gericht gestellt werden muss. Nun hat sich der Senegal mit der Afrikanischen Union darauf geeinigt, ein spezielles Schwurgericht einzusetzen, um Habré den Prozess zu machen. Justizministerin Aminata Touré erklärte am Mittwoch (23.08.2012), dass damit alle Hindernisse für ein Gerichtsverfahren aus dem Weg geräumt seien. Der Senegal wäre das erste Land, das einen ehemaligen Staatschef aus dem Ausland wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht stellt.
Jahrelang war nichts passiert im Fall Habré. Seit 1990 lebt der ehemalige Präsident des Tschad in Dakar, der Hauptstadt Senegals. Dorthin war er geflüchtet, nachdem Rebellen ihn gestürzt hatten. Acht Jahre, von 1982 bis 1990, herrschte Hissène Habré als Diktator im Tschad. In dieser Zeit ließ er nach Schätzungen einer Untersuchungskommission 40.000 politische Gegner umbringen. Habrés Schergen machten gezielt Jagd auf Angehörige von ethnischen Minderheiten, Tausende Gefangene wurden gefoltert.
Justiz im Wartestand
Einer von ihnen war Clément Abaifouta, der heute die Vereinigung der Opfer Hissène Habrés leitet. Während seiner Haft wurde er gezwungen, Gräber für mehrere hundert Mitgefangene zu schaufeln. Abaifouta ist voller Wut auf die senegalesische Justiz. Die erhob im Jahr 2000 zunächst Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Habré, erklärte sich dann aber für nicht zuständig. "Zehn Jahre lang sind wir nicht vorwärts gekommen mit dem Senegal", so Abaifouta im Gespräch mit der DW. "Ich bin der Meinung, dass es nun schnell zum Prozess kommen muss." Auch, weil viele Opfer in der Zwischenzeit schon verstorben seien.
Weil sich die Behörden im Senegal nicht zuständig fühlten, stellte die Justiz Belgiens im Jahr 2005 einen Antrag auf Auslieferung, um den Fall selbst in die Hand zu nehmen. Nach belgischem Recht können Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Belgien verfolgt werden, ganz egal, wo auf der Welt sie begangen wurden. Doch dazu kam es im Fall Habré nicht; die senegalesischen Behörden setzten den ehemaligen Diktator zwar zunächst fest, erklärten sich dann jedoch erneut für nicht zuständig und ließen Habré wieder frei.
Druck aus Europa
Die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen setzten sich anschließend für einen Prozess gegen Habré ein. Das Europäische Parlament forderte den Senegal auf, ihn nach Belgien auszuliefern; europäische Staaten boten Finanzhilfe für einen Prozess im Senegal. Doch trotz zahlreicher Ankündigungen Senegals blieb der Ex-Diktator auf freiem Fuß.
Mit einem Prozess gegen Habré im Senegal könnte dieses unrühmliche Kapitel Rechtsgeschichte nun zu Ende gehen. "Dann würde Afrika zumindest ein bisschen Würde zurückgewinnen", so Abaifouta von der Vereinigung der Opfer Habrés. Denn, so fragt er: "Was hat Afrika eigentlich zehn Jahre lang gemacht?" Und meint damit: zu wenig.
Nur die belgische Regierung ließ nicht locker. Sie zog 2009 vor den Internationalen Gerichtshof. So sollte der Senegal gezwungen werden, Habré entweder auszuliefern oder selbst einen Prozess zu führen. Ende Juli entschied das UN-Gericht, dass der Senegal Habré den Prozess machen muss. Das Urteil ist bindend.
Keine Zukunft ohne Gerechtigkeit
"Auch wenn die Entscheidung bindend ist: Bei dem Gerichtsverfahren wird natürlich noch eine Vielzahl von Problemen auftauchen", gibt Wolfgang Kaleck zu bedenken. Er ist Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Der Anwalt ist bekannt geworden mit einer Klage gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen Menschenrechtsverletzungen im Gefangenenlager Abu Ghraib. Im Fall Habré hänge nun alles davon ab, ob die senegalesische Justiz das Verfahren mit ernsthaftem Aufklärungswillen betreibe. "Wenn man den Standard eines fairen Verfahrens einhalten will, ist es schwierig, so lange zurückliegende Straftaten zu verfolgen. Das würde jedem anderen Staat auch schwerfallen."
Trotzdem sei der Strafprozess gegen Habré unbedingt notwendig, auch 22 Jahre nach der Flucht des Ex-Diktators. Nur so könnten die Wunden im Tschad heilen. "Wenn die Folteropfer von Hissène Habré und die Familienangehörigen von Ermordeten die Gelegenheit bekommen, vor Gericht auszusagen, dann mildert das auch die Folgen des Unrechts", so Kaleck im DW-Interview. Und erst wenn die Taten des Ex-Diktators wirklich vor Gericht ausgebreitet würden, habe der Tschad die Chance auf eine demokratische und rechtsstaatliche Zukunft.