Eurozone: Gute Regeln, schlechte Regeln
23. Januar 2013Noch 2009 schreibt der japanische Ökonom Kenichi Ohmae, dass der Euro seinen Wert aus der strengsten Fiskaldisziplin schöpfe. Damit meinte er den noch vor der Euro-Einführung ausgehandelten Stabilitäts- und Wachstumspakt, der dem Schuldenmachen einen Riegel vorschieben und so für solides Haushalten sorgen sollte.
Was der Japaner übersehen hatte, war, dass der Pakt von den Mitgliedern der Währungsunion nie wirklich ernst genommen wurde. "Mit Belgien, Griechenland und Italien wurden auch Länder zugelassen, die einen Schuldenstand weit jenseits der zuvor vereinbarten Obergrenze von 60 Prozent aufwiesen", schreibt Nicolaus Heinen, Analyst bei der Deutschen Bank, in seinem jüngsten Buch "Mission Vertrauen". Der Todesstoß für den Pakt kam 2003, als es Deutschland und Frankreich gelang, einer Sanktion wegen zu hoher Haushaltsdefizite zu entgehen. Insgesamt wurde der Pakt über hundertmal verletzt; eine Sanktion wurde kein einziges Mal verhängt.
Feste oder weiche Regeln
Fehlt es den Europäern an Disziplin? Wenn es darum ging, Regierungen zum Maßhalten zu bringen, scheiterte jeder Versuch der Regelbindung. Das liege an den unterschiedlichen Kulturen in Europa, sagt der Ökonom der Deutschen Bank. Das habe dazu geführt, "dass die Regeln, die relativ nordeuropäisch mit Zielwerten ausgestattet waren, an die man sich halten musste, eben nur von den Nordeuropäern befolgt wurden, während sie im Süden Europas nur als Empfehlung angesehen wurden - ähnlich wie das rote Licht an der Verkehrsampel", so Heinen im Interview mit der Deutschen Welle.
Mit anderen Worten: Während die Deutschen gerne auf Prinzipien pochen, wollen die Franzosen lieber von Fall zu Fall entscheiden. Als die Schuldenkrise von Griechenland auf die gesamte Eurozone überzuschwappen drohte, setzte sich die französische Vorstellung durch: Im Mai 2010 warfen die Euro-Staaten die No-Bailout-Klausel über Bord und tun seit dem nichts anderes, als einem Land nach dem anderen finanziellen Beistand zu leisten.
Ohne Regelbindung kann der Euro scheitern
Dabei ist Regelbindung nach Meinung von Wim Kösters, Vorstand des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), für das Fortbestehen der Währungsunion von entscheidender Bedeutung: "Ohne effiziente Regelbindung muss die Währungsunion scheitern. Auch der Euro wird irgendwann nicht mehr existieren können", sagt Kösters im Gespräch mit der DW.
Die Länder hätten eine Chance, das Vertrauen zurückzugewinnen, wenn sie sich nun in der Eurorettung an die selbst gestellten Regeln halten würden, meint Wim Kösters. Doch auch das ist nicht der Fall. Die selbst gezogenen roten Linien bleiben nur ein paar Monate, ein paar Wochen, manchmal nur ein paar Tage gültig. Das geht von den "angemessenen Zinsen", die die Schuldnerländer ursprünglich zahlen mussten, über strenge Reformauflagen bis zu einem Schuldenschnitt, den es zuerst nicht geben sollte, dann doch, aber nur für Griechenland.
Top-down-Regeln taugen nicht
Auch sonst war die Antwort auf die Eurokrise von den Staats- und Regierungschefs recht unkreativ, urteilt Heinen: "Man hat versucht, die Regeln, die nicht funktioniert haben, wie den Stabilitäts- und Wachstumspakt, mit neuen Regeln zu verbessern, die aber ebenfalls Top-down-Regeln sind, die also autoritär Dinge vorschreiben, die man tun soll und nicht tun darf."
Der seit Jahresanfang in Kraft getretene Fiskalpakt gehört in diese Kategorie und ist für Heinen ein Papiertiger. Noch abwegiger ist für ihn die Idee der Eurobonds, die alle Schulden vergemeinschaften sollten und den Krisenländern jeden Anreiz für Reformen nehmen.
Prozessregeln können helfen
Ausgerechnet dem unverbindlichen Euro-Plus-Pakt, den 23 EU-Länder im Frühjahr 2011 vereinbart hatten, konnte Nicolaus Heinen Positives abgewinnen. Als eine Art Anleitung für Schuldenabbau und Strukturreformen gibt der Pakt grobe Ziele vor, die die Staaten befolgen können. Das ist eine neue Art von Regeln. "Die Regeln, die bislang missachtet wurden, setzen in erster Linie auf starre Zielvorgaben. Das sind Zielregeln, aber keine Prozessregeln", sagt der Ökonom der Deutschen Bank.
Genau diese Prozessregeln brauche Europa, um die Staaten in einen Wettbewerb zu lenken, so Heinen. Zu einem fairen Wettbewerb gehört aber auch, dass die Erfolgreichen belohnt werden - in Form niedriger Zinsen für neue Schulden. Das setzt voraus, dass Finanzmärkte weiterhin als Indikatoren für gute und schlechte Politik dienen können. Deswegen sieht der Wirtschaftswissenschaftler mit Unbehagen die neue Rolle der Europäischen Zentralbank: "Es steht in der Tat zu befürchten, dass Mitgliedsstaaten in ihren Reform- und Sparbemühungen nachlassen, weil sie wissen, dass die EZB notfalls hilft."
Nicolaus Heinen ist Analyst für europäische Wirtschaftspolitik bei der Deutschen Bank und Dozent an der Universität Köln. 2012 erschien sein Buch "Mission Vertrauen - Wege aus der Eurokrise, Wege aus der Unsicherheit", Mitteldeutscher Verlag.