Europas Süden verbrüdert sich
9. September 2016"Unser Ziel ist der Zusammenhalt der EU", beschwört Alexis Tsipras seine Amtskollegen, um gleich alle Spaltungsvorwürfe abzuwehren. Dennoch ist klar, dass sich der Club Med - Griechenland, Frankreich, Italien, Spanien, Malta, Zypern und Portugal - mit dem Minigipfel in Athen für das Treffen in Bratislava am nächsten Wochenende positioniert. Alle 27 Regierungschefs werden dort zum ersten Mal ohne Großbritannien über die Zukunft Europas nach dem Brexit-Votum sprechen.
"Die Mittelmeerländer müssen ihre Stimme erheben", sagt der griechische Premierminister dazu, denn sie seien mehr als andere von regionalen und sozialen Ungleichheiten und von der Flüchtlingskrise betroffen. "Wir brauchen eine neue Vision für Europa", so Tsipras, nur durch aktive Politik zugunsten der Bürger könne Europa den Aufstieg der Rechtspopulisten stoppen. Und: Die Südländer wollen mit ihrem neuen Verein nicht den Osteuropäern aus der Visegrad-Gruppe das Feld überlassen, die schon eine konservative Kulturrevolution in der EU gefordert haben. Das nächste Treffen des Club Med ist bereits in Portugal vereinbart.
Südländer in einem Boot
Star-Gäste in Athen sind jedenfalls Francois Hollande und Matteo Renzi. Dass die wichtigsten sozialistischen Regierungschefs der EU seiner Einladung gefolgt sind, ist ein Coup für Tsipras. Die beiden Großen sehen offenbar die Stunde für mehr gemeinsame Interessenvertretung in der EU gekommen. Italien ist derzeit durch die Flüchtlingskrise am stärksten belastet, seit das Türkeiabkommen den Zustrom nach Griechenland gestoppt hat. Darüber hinaus eint den italienischen Premier und den französischen Präsidenten ihre schwierige innenpolitische Lage: Renzi muss im November ein gefährliches Referendum bestehen, Hollande im nächsten Frühjahr fast aussichtslose Wahlen. Beide brauchen Geld für Geschenke an ihre Wähler. Ausgeklinkt hat sich in Athen lediglich der konservative geschäftsführende Premier aus Spanien. Mariano Rajoy ließ sich vertreten.
Auch ideologisch sind sich der französische und der italienische Sozialist nahe: Beide rennen seit Jahren gegen den Stabilitätspakt und die 3% Schuldenbremse an, gegen die Frankreich sowieso anhaltend verstößt. Allerdings wird in der gemeinsamen Erklärung das Wort "Sparpolitik" vermieden, die Rede ist lediglich von mehr Wachstumsprogrammen, Investitionen und Plänen gegen Jugendarbeitslosigkeit. Dennoch: Der alte Streit zwischen Süd- und Nordländern um sparsame Haushaltsführung und Reformen einerseits und den Glauben an Wachstum durch Ausgabensteigerung andererseits lebt weiter. Und der Club Med sieht sich im Aufwind.
Das Zauberwort heißt hier "Flexibilisierung". Und es wird erwartet, dass EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Straßburg in einer Grundsatzrede auf den gleichen Zug aufsteigen wird. Nach Berichten will er vorschlagen, Investitionen und Bildungsausgaben von der Berechnung des Schuldenstandes künftig auszunehmen, und auf diese Weise den Mittelmeerländern mehr fiskalische Luft verschaffen.
Ablehnung aus Deutschland
Trotz aller griechischen Versuche, einen Affront zu vermeiden, ist der Gegenwind aus dem Norden scharf: "Europa braucht jetzt Einigkeit und keine neuen Spaltungsversuche", ätzte der konservative Fraktionsvorsitzende im Europaparlament Manfred Weber.Auch die Begleitmusik aus Bratislava, wo sich die Euro-Finanzminister zum Meinungsaustausch treffen, ist nicht viel freundlicher: "Der Sommer ist vorbei", mahnte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, man brauche jetzt wirklich Fortschritte in Griechenland.
Der CSU Abgeordnete Markus Ferber sieht in der Solidarität der Südländer sogar eine neue "Koalition der reformunwilligen Umverteiler". Er sieht in Europa das Gespenst von Geldverschwendung und Vergemeinschaftung der Schulden wieder auferstehen. Und der Bayer fürchtet darüber hinaus um die künftigen Machtverhältnisse in der EU. Mit dem Abgang der Briten verliert Deutschland einen Unterstützer bei der Sparpolitik. Ferber fürchtet sogar, eine neu entstehende Sperrminorität der Südländer könnte künftige Finanzbeschlüsse zu Fall bringen.
Keine Rückkehr zu "Dublin"
Einen Schuss in Richtung Berlin kann sich Alexis Tsipras nicht verkneifen: Vehement lehnt er eine Rückkehr zu den sogenannten "Dublin"-Regeln ab. Eine Absage an Bundesinnenminister de Maizière, der demnächst wieder Flüchtlinge nach Griechenland als Erstaufnahme-Staat zurückschicken möchte, die von dort nach Deutschland gekommen seien. Stattdessen wird in der "Erklärung von Athen" eine verantwortungsvolle und faire Neuformulierung der Regeln verlangt – vor allem gegenüber den Frontstaaten.