Europas Schlagbäume senken sich wieder
10. Februar 2021Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker musste im Frühjahr nicht lange überlegen, als er nach der bittersten Erfahrung in der ersten Corona-Welle gefragt wurde: "Deutschland hat die Grenzen (nach Luxemburg) geschlossen, ohne an die Bürger zu denken, die das Opfer einer derartigen Berliner Willkür wurden", so Juncker damals in einem Interview mit der Deutschen Welle.
Im Februar 2021 könnte sich Juncker nun entspannt zurücklehnen. Der Verkehr fließt zwischen beiden Ländern. Wer von Deutschland in Junckers Heimat Luxemburg reist, muss weder Grenzkontrollen fürchten noch Quarantänevorschriften beachten. Die Grenze ist immer noch weitgehend unsichtbar. Gleichwohl rät das Auswärtige Amt wegen der hohen Infektionszahlen von 170 wöchentlichen Fällen pro Hunderttausend Einwohner von Reisen ins Nachbarland ab.
Strenge Vorschriften ersetzen den Schlagbaum
Die Grenze zwischen Deutschland und Luxemburg zählt allerdings zu den wenigen Landesgrenzen in Europa, die in der aktuellen Pandemie-Lage noch vollständig geöffnet sind. Die meisten EU-Staaten haben die Schlagbäume, zumindest virtuell, hochgezogen. Sie schrecken Reisende mit strengen Quarantänevorschriften und Einreiseformalitäten ab - oder verbieten den Grenzübertritt gleich vollständig für nicht dringend notwendige Fälle.
Auch viele Politiker haben ihre Versprechen, dass Grenzschließungen in der Corona-Pandemie die Menschen nicht noch einmal trennen würden, mittlerweile kassiert. Regionalpolitiker können aus ihrer Sicht vielfach nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Christoph Arend sitzt für das lothringische Grenzstädtchen Forbach direkt an der Grenze zu Saarbrücken in der französischen Nationalversammlung. Immer wieder hat er im vergangenen Jahr darauf hingewiesen, dass die Grenzen in seiner Heimat keine Rolle mehr spielten und Schließungen Familien und Dörfer auseinanderreißen würden. Geholfen hat es trotzdem wenig.
Im Januar hat die Regierung in Paris beschlossen, die Einreise nach Frankreich aus EU-Staaten nur noch mit negativem Corona-Test zu gestatten. Arend gelang es noch, Grenzpendler, die sich nicht länger als 24 Stunden jenseits der Grenzen aufhalten, von dieser Regelung auszunehmen,
Kaum Proteste gegen Grenzkontrollen
Große Proteste gegen die neuen Regelungen gibt es im deutsch-französischen Grenzgebiet derzeit aber nicht. Deutlich angespannter ist die Lage dagegen im Süden Deutschlands. Österreich hat touristische Reisen ins Land schon lange durch die 10-tägige Quarantänepflicht unterbunden. Wer sich davon trotzdem nicht abschrecken lässt, muss seit diesem Mittwoch zusätzlich einen negativen PCR- oder Antigen-Test vorweisen, der nicht älter als 72 Stunden ist. Alle Einreisenden müssen sich vor der Fahrt nach Österreich elektronisch registrieren und eine Empfangsbestätigung mitführen. Vorschriften, die sogar für den kleinen Grenzverkehr gelten, also die Fahrt zum Tanken zum Beispiel.
Aber auch die deutsche Seite hat zuletzt die Kontrollen massiv ausgeweitet. "Wir versuchen, möglichst viel zu kontrollieren", erklärt der Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, Stefan Sonntag. Die deutsche Seite verweist für die Kontrollen vor allem auf die Ausbreitung der deutlich ansteckenderen Corona-Mutationen im Grenzbundesland Tirol und die zum Wochenstart in Österreich in Kraft getretenen Lockerungen.
Eigene Erfolge schützen
Für die bayerische Seite ist auch die vollständige Schließung der Grenzen kein Tabu mehr: Als "Ultima Ratio" bezeichnete der Generalsekretär der in Bayern regierenden CSU diesen Schritt. Auch Ministerpräsident Markus Söder kritisierte die Nachbarn in Österreich ungewöhnlich heftig: "Ich halte es für diskussionswürdig, dass Österreich in dieser unsicheren Situation weitgehende Öffnungen erlaubt, obwohl die Inzidenz dort deutlich höher als in Bayern ist."
Der Blick auf die Inzidenzwerte dies- und jenseits der Grenzen war während der Pandemie nie ganz verstummt, bricht aber in diesen Wochen besonders stark auf. Wohl auch, weil Deutschland mit seinem bis zum 7. März verlängerten Lockdown die Inzidenzen unter 50 drücken will - und damit einen radikaleren Weg geht als die Nachbarländer.
Keine Ausnahme fürs Ferienhaus
Doch nicht nur Deutschland versucht mit strengen Grenzkontrollen, die eigenen Erfolge bei der Pandemiebekämpfung zu sichern. Dänemark, das mittlerweile ein Wocheninzidenz von lediglich gut 50 Fällen pro 100.000 Einwohner aufweist, hat die ganze Welt zum Hochrisikogebiet erklärt. Touristische Einreisen ins Land sind vollständig verboten - auch deutsche Boots- oder Ferienhausbesitzer kommen nicht ins Land. Begrenzte Ausnahmen gibt es nur für Grenzpendler, die allerdings einen negativen Corona-Test vorweisen müssen.
Obwohl sich die EU-Staats- und Regierungschef bei Videogipfeln um Abstimmung in der Corona-Pandemie bemühen, unterscheiden sich die Einreisebestimmungen in praktisch jedem EU-Staat. Die französische Regierung hatte sich vor dem letzten EU-Gipfel zwar um einheitliche "Gesundheitskontrollen" an den Grenzen bemüht, war aber mit dem Vorhaben nicht durchgedrungen.
Mangelnde Abstimmung auf EU-Ebene
Gerade aus Sicht der in Deutschland diskutierten #Nocovid-Strategie wäre allerdings eine Abstimmung nötig, da dem Plan sonst eine wichtige Grundlage fehlt. "No covid" beschreibt eine Initiative in Deutschland, die mit einem langen Lockdown die Sieben-Tage-Inzidenz unter zehn drücken möchte, bevor Lockerungen denkbar sind. Bislang allerdings konnten sich die EU-Partner noch nicht einmal auf einheitliche Teststrategien einigen. Auch die Frage der Schulöffnungen beantwortet jeder Mitgliedsstaat anders.
Ob Deutschland, Frankreich, Österreich oder Dänemark - in Europa setzen indes alle Regierungen darauf, die Mobilität der Bevölkerung zu verringern, um die Virusausbreitung zu verlangsamen. In dieser Logik sollen auch die Grenzkontrollen wirken. Im vergangenen Jahr allerdings waren auch andere Konzepte in der Diskussion. Von den Corona-Warn-Apps erhofften sich die Fachleute einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie - auch grenzübergreifend.
App funktioniert grenzüberschreitend
Tatsächlich konnten die EU-Staaten auf diesem Gebiet zumindest technisch zwischenzeitlich Erfolge vermelden. Gut ein Dutzend Warn-Apps sind mittlerweile untereinander kompatibel - vor wenigen Tagen ist auch die österreichische App dazugestoßen. Ein Österreicher, der einen potentiell gefährlichen Kontakt zu einem Nutzer der deutschen App hatte, würde nun auch mit seiner App davor gewarnt. Auch für die Nachbarländer Belgien, Dänemark und Polen existiert dieser Datenaustausch.
Bei ohnehin geschlossenen Grenzen dürfte sich die Wirksamkeit aber in Grenzen halten. Zumal bislang noch nicht einmal in Deutschland, wo die Akzeptanz der App besonders hoch ist, ein Einfluss auf das Infektionsgeschehen beobachtet wird.
Auf EU-Ebene kommt erschwerend hinzu, dass das Schwergewicht Frankreich mit einer zu allen anderen Apps inkompatiblen Variante arbeitet, die zudem im eigenen Land als gescheitert gilt. Und die Heimat des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hat sich ganz aus dem Projekt ausgeklinkt. Das große Pendlerland Luxemburg hat keine Corona-Warn-App entwickelt und wird das wohl auch nicht mehr tun.