Minderheitenkongress im Zeichen der Krim-Krise
10. Mai 2014Die dänische Minderheit im norddeutschen Schleswig-Holstein, die Basken in Frankreich und Spanien, die deutschsprachigen Südtiroler in Norditalien, die über den gesamten Kontinent verteilten Roma oder die Tataren auf der Krim - überall in Europa leben Minderheiten. Insgesamt sind es mehr als 300 ethnische Gruppen - jeder siebte Bürger des Kontinents spricht eine Regional- oder Minderheitensprache oder gehört zu einer solchen Volksgruppe.
Beim Europäischen Minderheitenkongress, der vom 8. bis zum 11. Mai 2014 in Harrislee bei Flensburg stattfindet, treffen sich 200 Vertreter der sogenannten "autochthonen Minderheiten" aus etwa 30 Ländern, um gemeinsam mit Politikern und weiteren Gästen über die Zukunft ihrer Gemeinschaften in einem zusammenwachsenden Europa zu diskutieren. Autochthon bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es sich um historisch gewachsene Minoritäten handelt - das können zum Beispiel Völker sein, die kein eigenes Staatsgebiet haben (wie die Samen in Skandinavien) oder Volksgruppen, die durch Grenzverschiebungen zur Minderheit in einem Nachbarland geworden sind (wie die deutschsprachigen Belgier).
Minderheit ist nicht gleich Minderheit
Diese Abgrenzung zu Migranten, die ebenfalls oft große Minderheiten darstellen, ist dem Veranstalter des Treffens, der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen, wichtig: "Natürlich müssen die Migrationsminderheiten die Möglichkeit haben, Sprache und Kultur zu pflegen, aber es ist doch ein Unterschied da", erklärt Jan Diedrichsen, Direktor des FUEN-Generalsekretariats und Mitglied der deutschen Minderheit in Dänemark. "Das heißt ja nicht, dass man gegeneinander arbeiten sollte, aber wir haben unterschiedliche Bedürfnisse."
Die FUEN veranstaltet das Treffen gemeinsam mit dem Bund deutscher Nordschleswiger, also der deutschen Minderheit in Dänemark, und der Sydslesvigsk Forening, den Dänen in Deutschland. Die deutsch-dänische Grenzregion gilt als Vorbild für ein friedliches und respektvolles Miteinander.
Ukraine bestimmt die Agenda
Ein Schwerpunkt des Kongresses ist in diesem Jahr die Situation in der Ukraine. Mit mehr als 20 nationalen Minderheiten hat das Land die meisten Minderheitengruppen in Europa. Beim Konflikt auf der Krim und in der Ostukraine zeigt sich, wie schnell aus einem friedlichen Zusammenleben Hass und Gewalt entstehen kann.
Als Festredner sollte eigentlich Mustafa Dschemilew, ehemaliger Vorsitzender des Rates der Krimtataren, auf dem Kongress sprechen. Doch weil die Gewalt in seinem Heimatland eskaliert ist, musste Dschemilew zu politischen Gesprächen nach Wien und in die USA reisen.
Stattdessen sprach Ahmet Özay, persönlicher Berater von Dschemilew, zu den Konferenzteilnehmern. Im DW-Gespräch betonte er, dass sich die Lage seiner Volksgruppe massiv verschlechtert habe, seitdem Russland die Kontrolle über die Krim übernommen hat. So könnten Vertreter der Krimtataren teilweise nicht mehr in ihre Heimat einreisen oder würden nach der Rückkehr aus dem Ausland misshandelt.
Bundesregierung "besorgt"
Auch Dschemilew haben die Russen die Einreise auf die Krim verweigert. "Ohne Gesetzgebung, ohne gerichtliches Urteil darf er im Alter von 70 Jahren nicht mehr in seine Heimat reisen", berichtet Özay. Die Bundesregierung äußerte sich am Freitag (09.05.2014) zu dem Fall: "Wir haben mit Besorgnis gehört, dass dem Führer der Krimtataren, Herrn Dschemilew, bereits mehrfach die Einreise auf die Krim verweigert worden ist", so Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Unter ukrainischer Führung, so Özay, hätten die verschiedenen Volksgruppen auf der Krim friedlich zusammengelebt und weitgehende Autonomie genossen. Nun habe sich das "Klima verändert".
"Schutz der Minderheiten essentiell"
Die Vertreter der verschiedenen Ethnien diskutieren nicht nur über die Ukraine, sondern tauschen sich auch über ihre politische Arbeit aus. "Wir sind der festen Überzeugung, dass die Europäische Union absolut nicht ihren Verpflichtungen nachkommt, wenn es um Sprachenvielfalt und um Minderheiten geht", erklärt Jan Diedrichsen. "Daher haben wir uns konkret hingesetzt und 16 juristische Vorschläge unterbreitet, wo die EU handeln könnte."
Aus Diedrichsens Sicht ist die Zukunft Europas eng mit dem Schutz der Minderheiten verknüpft. Wo Minderheiten missachtet würden, käme es oft zu Konflikten. Als positives Beispiel nennt er Südtirol. "Dort wird die territoriale Integrität des Staates Italien gewahrt, aber den deutschsprachigen und ladinischsprachigen Südtirolern werden sehr weitreichende Autonomierechte gegeben."