Europas Fleischreste auf afrikanischen Tellern
17. Januar 2014Es sind 30 Grad Celsius im Schatten und die hohe Luftfeuchtigkeit treibt den Verkäuferinnen auf dem Kaneshie Markt in der ghanaischen Hauptstadt Accra den Schweiß ins Gesicht. In offenen Theken tauen Geflügelreste langsam vor sich hin. Das Tauwasser tropft in kleinen Rinnsalen an den Glasscheiben herunter. Gleichzeitig weichen Verpackungskartons in den Kühlhäusern nebenan vor sich hin und schlagen Wellen. In Ländern wie Ghana, in denen es keine funktionierende Kühlkette gibt, stellt gefrorenes Import-Fleisch ein gewaltiges Gesundheitsrisiko dar.
Trotzdem importiert Ghana jährlich rund 165.000 Tonnen Billigfleisch aus Brasilien, den USA und Europa - Reste, die dort niemand essen will. In den 1980er und 1990er Jahren hätte Ghana mindestens 80 Prozent seines nationalen Geflügelbedarfs selbst gedeckt, sagt Quame Kokroh, Vorstandssekretär des nationalen Geflügelverbandes. "Seitdem die Billigimporte auf dem Markt sind, hat sich der Spieß umgedreht. Jetzt haben unsere Bauern nur noch einen Anteil von zehn Prozent und wir haben Angst, auch die noch zu verlieren."
Filets für Europa, Rücken für Afrika
Knapp 19 Kilogramm Geflügel isst jeder Deutsche laut Statistik im Jahr. Besonders beliebt: die Filets. Die sind nicht nur schön weiß und zart, sondern haben auch den geringsten Fettanteil. Gerade gesundheitsbewusste Menschen überall in Europa ziehen die Geflügelbrust dem Rest des Tieres vor.
Deutsche Bauern produzieren 25 Prozent mehr, als die Konsumenten essen. Was in Deutschland nicht verkauft werden kann, wird für wenig Geld nach Afrika verkauft. Dabei handelt es sich vor allem um Geflügelreste wie Innereien, Flügel und Hälse, die in Europa nicht gefragt sind. Ein weiterer Verkaufsschlager ist das sogenannte "Chickenback" - der knochige Rücken des Tieres, aus dem zuvor in Europa das weiße Fleisch der Hühnchenbrust rausgeschnitten wurde. Von 2011 bis 2012 haben sich die deutschen Ausfuhren um 120 Prozent gesteigert: 42 Millionen Kilogramm Geflügel wurden 2012 in afrikanische Länder exportiert. Damit kommen laut dem europäischen Statistikamt (EUSTAT) inzwischen zehn Prozent aller Geflügelexporte nach Afrika aus Deutschland. Die restlichen 90 Prozent kommen aus vor allem aus Brasilien, den USA und den Niederlande.
Dumping schadet der Entwicklung
Die Menge der Ausfuhren ist laut Francisco Marí, Agrarhandelsexperte bei der Entwicklungshilfeorganisation Brot für die Welt, nicht das Problem. Ausschlaggebend für die Misere seien die Preise, zu denen sie afrikanischen Verbrauchern verkauft würden - Preise, zu denen man kein Geflügel in deutschen Supermarkttheken finden könnte. Für Cent-Beträge hatten die Lieferanten das Fleisch in den 1990er Jahren angeboten. Als die Importe den Markt erobert und die lokale Konkurrenz vertrieben hatten, stiegen die Preise dann.
Trotzdem: "Die Hähnchenreste werden heute immer noch so billig verkauft, wie kein Bauer in Afrika Geflügel halten kann." Das sei absolutes Preisdumping, so Marí. Für umgerechnet gerade einmal zwei Euro bekommt der ghanaische Konsument die gefrorenen Geflügelteile auf dem Markt - der Preis für das Huhn vom Bauern nebenan liegt bei vier Euro. "Da wollen wir mit hohen Moralvorstellungen Entwicklungshilfe betreiben und die Menschen dazu ermutigen, durch Hilfe zur Selbsthilfe aus der Armut herauszukommen", kritisiert Marí. "Und dann können sie durch unsere Billigprodukte nicht auf ihrem eigenen Markt bestehen."
Daran wird sich auch durch die Ankündigung von EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos, die Subventionen für europäische Agrarexporte nach Afrika vollständig einstellen zu wollen, nichts ändern: "Seit 2008 gab es gar keine subventionierten Agrarexporte nach Afrika mehr. Deshalb ist das auch eine leere Ankündigung, die gar keine Wirkung haben wird", sagt Marí. Der Grund dafür, dass die EU Geflügelteile so billig nach Afrika exportieren kann, sei die Massentierhaltung. Zudem werden die Produktionskosten schon durch den Verkauf des teuren Filets in Europa gedeckt.
Millionen-Geschäfte mit dem Fleischabfall
Ghanas Parlament versuchte 2003 durch eine Erhöhung der Einfuhrzölle seinen Markt vor den Billigimporten zu schützen - doch nach kurzer Zeit kippte die Regierung das Gesetz. "Ich denke, es lag am Druck der internationalen Gemeinschaft“, sagt Quame Kokroh vom ghanaischen Geflügelverband. Francisco Marí bestätigt diese Annahme: "Ghana hat zur gleichen Zeit mit der Weltbank wegen eines Entschuldungskredites verhandelt. Hätte die Regierung den Parlamentsbeschluss nicht zurückgenommen, dann wäre dem Staat sehr viel Geld entgangen."
Zudem setze die Regierung auf eine Politik der Marktöffnung und müsse sich deshalb an die Spielregeln der internationalen Partner halten. Der Parlamentsbeschluss wurde vor dem obersten Gericht diskutiert, doch bis heute ist kein Urteilsspruch gefallen. Jetzt versucht die Regierung, mit Subventionen und Kleinkrediten ihrer Geflügelindustrie unter die Arme zu greifen.
Senegal wehrt sich gegen das Billig-Fleisch
Andere Länder könnten sich dem internationalen Druck leichter widersetzen, sagt Marí. Nigeria zum Beispiel. Weil die Handelspartner auf die Öllieferungen des westafrikanischen Landes angewiesen seien, würden sie beim Boykott der Hähncheneinfuhren aus Europa ein Auge zudrücken. Auch Kamerun, die Elfenbeinküste und Senegal haben sich bereits vor Jahren erfolgreich gegen das billige Fleisch aus Europa gewehrt. "Wir können uns nicht erlauben, unser lokales Geschäft kaputt zu machen, nur weil wir der Welthandelsorganisation angehören", sagt der Direktor des staatlichen Zentrums für Landwirtschaft im Senegal, Makhtar Diouf.
Seit 2005 sind die importierten Geflügelteile komplett aus Senegals Verkaufsregalen verschwunden. Seitdem wächst die lokale Produktion wieder, tausende Arbeitsplätze wurden geschaffen. Das Land züchtet mittlerweile seine Küken selbst, anstatt sie wie andere afrikanische Staaten aus Europa zu importieren, und beliefert auch Nachbarländer wie Mali und Guinea. "Es geht hierbei immerhin um ein Geschäft von etwa 150 Millionen Euro", so Diouf. Auch deshalb hat sich die senegalesische Regierung dazu entschlossen, ihr Einfuhrverbot für Geflügelprodukte bis 2020 zu verlängern.