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Politik

Netzpolitiker Breyer: Die Corona-App ist ein Risiko

15. Mai 2020

Der Europaabgeordnete Patrick Breyer ist gegen die Einführung einer Corona-Kontakt-App. Es bestünde die Gefahr, dass massenhaft falsche Benachrichtigungen rausgingen und Menschen in Panik versetzten, sagte er der DW.

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Schweiz | Coronavirus | Entwicklung der App DP-3T
Bild: picture-alliance/dpa/Keystone/L. Gillieron

Deutsche Welle: In vielen Ländern der EU wird fieberhaft an Applikationen für Mobiltelefone gearbeitet, mit denen man Kontakte von Corona-Infizierten nachvollziehen soll. Herr Breyer, Sie sprechen sich als Netzpolitiker und Datenschützer in der "Piratenpartei" im Europäischen Parlament gegen eine solche App aus. Warum?

Patrick Breyer: Diese "Tracing-Apps" funktionieren weniger gut bei der Eindämmung von Infektionen als die menschliche Nachverfolgung, schon alleine deswegen, weil viele Menschen diese Apps gar nicht nutzen. Es ist völlig illusorisch, dass man davon ausgeht, dass 60 Prozent oder mehr der Bevölkerung diese App nutzen könnten. In Singapur, wo es die längste Erfahrung gibt, haben gerade einmal 20 Prozent sie heruntergeladen, in Österreich nur fünf Prozent der Menschen. Deswegen ist der Nutzen dieser App höchst fragwürdig. Sie hat aber sehr deutliche Gefahren für Privatsphäre und unsere Grundrechte.

Etwa 60 Prozent der Menschen müssten die Tracing-App nutzen, damit die Ergebnisse relevant wären. Wenn es nicht so viele sind, müsste man dann nicht mehr für diese App werben?

Wenn die Menschen wirklich wüssten, was die Gefahren dieser App sind, dann wären sie, glaube ich, noch sehr viel vorsichtiger sie zu installieren. Es fängt schon bei den Herstellern der Betriebssysteme an: Apple und Google. Die verändern die Betriebssysteme aller Smartphones, um so etwas möglich zu machen. Was sie da genau ändern, das weiß keiner, weil sie niemanden hineingucken lassen. Sie nennen das Geschäftsgeheimnis.

Die Apps sind innerhalb der EU überhaupt nicht vereinheitlicht. Mehrere Staaten, wie zum Beispiel Frankreich, wollen die Kontaktdaten auf zentralen Servern der Regierung sammeln, nicht nur dezentral. Es gibt vielerorts Überlegungen, diese Apps verpflichtend zu machen. Das heißt, wenn man reisen will, wenn man in Restaurants gehen will, dann soll man verpflichtet werden, so eine App zu nutzen. Dann ist es vorbei mit der Freiwilligkeit.

Patrick Breyer, Europaabgeordneter Piraten-Partei
Skeptisch: EU-Abgeordneter Breyer hält nichts von Handy-Programmen zur VirussucheBild: DW/B. Riegert

Die EU-Kommission besteht allerdings auf Freiwilligkeit und dezentraler Speicherung. Sie haben Länder in Asien angesprochen. Dort werden die Apps ja eingesetzt. Glauben Sie nicht, dass das einen Effekt hat?

Ich glaube nicht, dass China da ein Vorbild ist. Dort herrscht ein autoritäres Regime, das diese Technik missbraucht, um die Bevölkerung zu überwachen, Menschen ins Gefängnis zu bringen und Minderheiten zu unterdrücken. Ich glaube, was wir brauchen in dieser Krise, ist genügend Schutzausrüstung und genügend Behandlungskapazitäten. Wir brauchen außerdem ausreichend Tests. Daran fehlt es bislang auch noch oft. Wir brauchen Impfstoffe, die verfügbar sind. Und wir brauchen eine Vorbereitung für zukünftige Pandemien. Daran hat es hier gefehlt. Eine neue Technik zu entwerfen, hilft nicht über diese Versäumnisse hinweg.

Wenn die App eingesetzt wird, dann müsste ein neu Infizierter der App dies mitteilen, damit seine Kontakte der letzten zwei, drei Wochen alarmiert werden. Der Infizierte würde also Hunderte Personen in Quarantäne schicken. Glauben Sie, dass die Betroffenen diesen Alarm dann wirklich auslösen?

Mit dieser App geht einher, dass Sie mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu Unrecht benachrichtigt werden. Das heißt, dass für Sie gar kein Infektionsrisiko bestand. Sie haben vielleicht einfach nur Wand an Wand mit jemanden gelebt, der infiziert ist, sich mit jemanden durch eine Glasscheibe unterhalten, Rücken an Rücken mit jemanden gesessen haben. All diese Fälle würde die App melden. Ich glaube, dass sie deshalb zu sehr vielen Falschmeldungen führen würde. Deshalb zeigen Studien, dass das menschliche Abtelefonieren der Kontakte, wie es im Moment gemacht wird, sehr viel wirksamer ist. Schon allein deswegen, weil eben auch nur sehr wenige diese App wirklich nutzen und viele echte Kontakte damit gar nicht registriert würden.

Die Contact-Tracing-App wird kommen

Könnte man denn die elektronische Meldung mit den menschlichen Corona-Scouts in den Gesundheitsämtern kombinieren, um die Infektionsketten mit weniger Personalaufwand nachverfolgen zu können?

Es kann sein, dass diese Apps eine Maßnahme zur Personaleinsparung sein sollen. Da, wo eigentlich Personal nötig wäre, will man den billigen Weg gehen. Das Risiko ist aber, massenhaft falsche Benachrichtigungen rauszuschicken, die Menschen verunsichern und vielleicht sogar in Panik versetzen können. Eine weitere Gefahr, die besteht, ist, dass Menschen sich daran gewöhnen sich ständig aufzeichnen und überwachen zu lassen. Die Gefahr besteht, dass diese Daten von Polizei und Geheimdiensten genutzt werden können, um Quarantänen durchzusetzen - so wie das in einigen Ländern gemacht wird. Die "Bluetooth"-Technologie könnte benutzt werden, um uns in Geschäften durch das sogenannte "offline-tracking" zu verfolgen. Das machen diese Signale möglich.

Viele Menschen sagen, der Datenschutz ist mir gleich, wenn ich damit Infektionen verhindern kann. Das Handy weiß sowieso alles über mich - wo ich hingehe, wann ich schlafe, wie fit ich bin. Also kommt es doch darauf jetzt auch nicht mehr an?

Es gibt keinerlei Nachweis und auch kein Beispiel dafür, dass eine solche App, entscheidend zur Eindämmung von Infektionen beigetragen hätte. Im Gegenteil zeigt eine britische Studie, dass die menschliche Nachverfolgung von Infektionskontakten sehr viel wirksamer schützt. Ich finde, wenn es um unsere Gesundheit geht, dann dürfen wir nicht an Kosten sparen, sondern müssen das Personal bezahlen, das nötig ist, um Menschen zu schützen.

Patrick Breyer (43) ist seit 2019 Europaabgeordneter. Einer von vier Abgeordneten der "Piraten", einer Partei, die sich vor allem mit Netzpolitik, Digitalisierung und Datenschutz beschäftigt. Der Jurist war zuvor Richter am Landgericht Kiel und Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein.

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