Europa könnte über Griechenland stolpern
7. November 2011Die Europäische Union hat den Geldhahn für die Griechen vorerst zugedreht. Solange aus Athen kein klares Bekenntnis zum Rettungspaket kommt, das mit harten Sparauflagen verbunden ist, bleibt die Zahlung der nächsten Tranche in Höhe von acht Milliarden Euro aus. Ursprünglich war sie für diesen Montag (07.11.2011) vorgesehen.
Fließt dieses Geld nicht, droht den Hellenen in Kürze ein ungeordneter Staatsbankrott. Ein geordneter Teilbankrott war bereits am 27. Oktober auf dem Euro-Gipfel beschlossen worden, bei dem Banken, Versicherungen und Fonds auf die Hälfte ihrer Forderungen gegenüber Griechenland verzichten müssten. Ein zweites Rettungspaket im Umfang von 100 Milliarden Euro und der Euro-Rettungsfonds EFSF wären dann dazu da, um die Folgen abzumildern.
Chaos vorprogrammiert
Käme aber eine plötzliche Pleite, würde das südosteuropäische Land in ein wirtschaftliches Chaos stürzen. Die Regierung könnte den Beamten keine Gehälter mehr zahlen, die Wasser- und Stromversorgung läge brach, Unternehmen schlitterten reihenweise in den Konkurs. Auch müsste Athen den Schuldendienst einstellen. Davon betroffen wären in erster Linie die griechischen Banken, denn der Staat steht bei ihnen mit rund 60 Milliarden Euro in der Kreide.
"Griechische Banken dürften einen Run auf ihre Einlagen erleben", sagt Christian Schulz, Analyst bei der Berenberg Bank in London. "Griechische Anleger dürfen alles versuchen, um ihr Geld aus den Banken abzuziehen, möglichst sogar ins Ausland zu bringen." Und das, so Berenberg im Gespräch mit DW-WORLD.DE, dürfte die griechischen Banken in die Pleite treiben.
Austritt aus der EU für eine Sekunde?
Eine tiefe Finanz- und Wirtschaftskrise in Griechenland wäre also vorprogrammiert. Ein Austritt der Griechen aus der Eurozone könnte folgen. Zwar fehlt die rechtliche Grundlage für einen solchen Fall, "aber da gibt es schon Gedankenspiele, die das so anlegen, dass Griechenland quasi für eine gedachte Sekunde auch aus der EU austritt und dann sofort wieder eintritt", sagt Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln gegenüber DW-DORLD.DE. Griechenland könnte dann so behandelt werden wie jene zehn EU-Mitglieder, die den Euro nicht wollen oder noch nicht reif für seine Einführung sind.
Die griechische Regierung könnte dann in Versuchung kommen, die alte Währung Drachme wieder einzuführen. Die neue Drachme würde gegenüber dem Euro um bis zu 50 Prozent abgewertet werden, sagen Fachleute. Zwar würden damit griechische Exportartikel mit einem Schlag wettbewerbsfähiger, doch das würde die Situation für die Griechen kaum leichter machen, sagt Wirtschaftwissenschaftler Matthes. Denn die Verbindlichkeiten des Landes blieben weiterhin in Euro.
Ansteckung befürchtet
"Das würde die Schuldenlast der Griechen noch deutlich erhöhen", ist Matthes überzeugt. "Und das würde zu einem noch stärkeren Schuldenschnitt führen." Mit möglicherweise drastischen Folgen für Banken aus anderen europäischen Ländern. Sie haben dem griechischen Staat bislang rund 120 Milliarden Euro geliehen. Doch auch dieses Ausfallrisiko wäre für Europa zu verkraften. Denn nicht die eine oder andere Bankenpleite, sondern eine Ansteckung größerer Volkswirtschaften in der Eurozone ist letztendlich das Szenario, vor dem alle Angst haben.
In diesem Zusammenhang wird Italien bereits an erster Stelle genannt. Zwar sehen die meisten Experten die italienische Wirtschaft in einer robusten Verfassung. "Aber Italien trägt eine sehr hohe Staatsschuldenlast, die ständig refinanziert werden muss", sagt Christian Schulz von der Berenberg Bank. "Wenn die Märkte Italien keine neuen Refinanzierungsmittel mehr geben sollten, dann könnte Italien tatsächlich in eine Pleite rutschen."
Szenario lieber nicht ausmalen
Bereits jetzt hängt das Land am Tropf der Europäischen Zentralbank. Da die Risikoprämien für italienische Anleihen immer neue Rekordhöhen erreichen, muss die EZB seit August durch den Kauf dieser Schuldscheine versuchen, die Zinsen für die Italiener auf einem erträglichen Niveau zu halten. Würde Italien unter der Zinslast ersticken und zahlungsunfähig werden, dann wäre auch die Existenz der Eurozone nicht mehr sicher, meint Schulz: "Spätestens wenn Frankreich davon betroffen würde, dann wäre es schwer vorstellbar, dass die Eurozone in ihrer derzeitigen Form weiter besteht."
Dann drohe das weltweite Finanzsystem zusammenzubrechen. Um die Lage noch irgendwie in Griff zu bekommen, bräuchte Europa Hilfe von außen, sagt IW-Experte Matthes: "Am Ende wäre man in einer Situation, wo man definitiv auf Hilfe von außen, von China und anderen Staaten in großem Umfang angewiesen wäre. Das ist ein Szenario, das man sich eigentlich in den Details gar nicht weiter ausmalen möchte."
Autorin: Zhang Danhong
Redaktion: Rolf Wenkel