Euro-Zone unter Druck
2. Mai 2012
In 16 der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben seit dem Frühjahr 2010 die Regierungsmehrheiten gewechselt. Jüngster Fall: Am Freitag (27.04.) verlor die Mitte-Rechts-Regierung in Rumänien ihre Mehrheit im Parlament. Meistens waren die wirtschaftliche Lage und drastische Einschnitte in die öffentlichen Haushalte die Gründe für den Machtwechsel. Nach Großbritannien, Spanien und Italien könnte mit Frankreich im nächsten großen EU-Land der Wechsel bevorstehen. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Francois Hollande hat gute Chancen, im zweiten Wahlgang am 6. Mai den konservativen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy zu schlagen.
Stabile Machtverhältnisse gibt es noch in Deutschland und Polen sowie den kleineren Staaten Litauen, Estland, Österreich, Luxemburg und auf Malta. In allen anderen Staaten wurden die Regierungen Opfer der Krise. In den Niederlanden stehen nach dem Rückstritt der Regierung bereits zum zweiten Mal nach Ausbruch der Schuldenkrise Neuwahlen an. In Griechenland, dem Epizentrum der Krise, wird am 6. Mai ein neues Parlament gewählt. Dann könnte es auch dort nach 2009 und 2011 zu einem erneuten Regierungswechsel kommen. In Schweden und Bulgarien können sich die Regierungen zurzeit nur auf eine Minderheit im Parlament stützen.
Regierungswechsel in allen Krisenstaaten
In der Euro-Zone, also in den 17 Staaten, die den Euro als gemeinsame Währung haben, wurden in den vergangenen zwei Jahren elf Regierungen abgewählt oder gestürzt. Dabei spielt die politische Farbe eine untergeordnete Rolle. Sowohl konservative als auch sozialistische und liberal gefärbte Koaltionen wurden von den Wählerinnen und Wählern abserviert. In Spanien etwa kamen die Konservativen an die Macht, während in Frankreich das Gegenteil bevorsteht. In Griechenland und Italien übernahmen parteilose Technokraten die Geschäfte. "Wir müssen uns ständig an neue Gesichter und Konzepte gewöhnen", klagte ein EU-Diplomat über die Sitzungen der Eurogruppe, die sich aus den Finanzministern der Länder mit der Gemeinschaftswährung zusammensetzt. Diese mangelnde Kontinuität macht das Durchsetzen von Rettungsmaßnahmen für den Währungsraum noch schwieriger. Mit Nicolas Sarkozy könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einer der wichtigsten Verbündeten für ihren Spar- und Konsolidierungskurs abhanden kommen. Bislang hielten auch noch Österreich, Finnland, Luxemburg und die Niederlande zu ihr, die allesamt Netto-Einzahler in den Gemeinschaftshaushalt der EU sind.
Wer führt aus der Krise?
Die Euro-Zone leidet, so glaubt der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann, an einem massiven Führungsproblem. Bullmann ist finanzpolitischer Experte der Sozialdemokraten: "Es gibt zu wenig Führungspersönlichkeiten unter den Regierenden in Europa, die den Mut haben, vor die Leute zuhause zu treten und zu sagen: Ich mache jetzt etwas Unpopuläres, das aber sein muss. Ich muss diese Grenze überschreiten, damit ich am nächsten Tag sagen kann, ich kann jedem eine bessere Zukunft sichern." Kein Politiker habe diesen Mumm in den Knochen, glaubt Udo Bullmann. "Deshalb muss es von außen so wirken, dass Europa, wenn wir nicht aufpassen, seine historische Mission verfehlt. Und ich fürchte, das könnte stimmen."
Die Sorge, dass es Europa an Führung fehlt, treibt auch José Manuel Barroso, den Präsidenten der EU-Kommission, um. In der Schuldenkrise hat die EU-Kommission, die oberste Verwaltungsbehörde, deutlich an Einfluss verloren. Denn die Regierungen der Mitgliedsstaaten haben Rettungsfonds und Notoperationen an den gemeinsamen Institutionen vorbei beschlossen. Barroso tritt deshalb dafür ein, die EU-Kommission zur Wirtschaftsregierung zu machen und die bereits vorhandenen Institutionen zu stärken: "Nur durch eine europäische Erneuerung, durch mehr Europa und durch eine bessere europäische Führung können wir Vertrauen schaffen - Vertrauen in unsere Fähigkeit zu handeln." José Manuel Barroso fordert, die Wirtschafts- und Steuerpolitik in den 17 Euro-Staaten besser zu koordinieren. Dabei müssten die Staaten auch auf souveräne Rechte verzichten. Entscheidungen eines einzelnen Staates mit Auswirkungen auf alle anderen EU-Staaten müssten auch von allen Staaten mit beeinflusst werden können, fordert der Chef der EU-Kommission.
Fiskalpakt nachverhandeln?
Ein erster Schritt dazu ist der Fiskalpakt, den 25 Staaten (ohne Tschechien und Großbritannien) im März 2011 unterschrieben haben. Diesen Pakt will der mögliche französische Präsident Hollande nachverhandeln, was Bundeskanzlerin Angela Merkel ablehnt. In Irland muss der Fiskalpakt Ende Mai ein Referendum überstehen. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy will einen Sondergipfel einberufen, um über einen Wachstumspakt als Ergänzung zum Fiskalpakt zu reden. Die bislang noch solventen Staaten der Eurozone, die von den Rating-Agenturen die Bestnote erhalten, wehren sich vehement dagegen, Schulden gemeinsam zu tragen oder gemeinsame Staatsanleihen der Eurozone einzuführen. Das aber fordern die Schuldenstaaten. Doch Deutschland, die Niederlande, Österreich, Finnland, Luxemburg und bislang auch Frankreich wollen die Solidarität nicht nur als finanzielle Einbahnstraße vom Norden in den Süden verstanden wissen, mahnt Markus Ferber, der Finanzexperte der konservativen CSU im Europäischen Parlament.
Deutschland und andere Staaten hätten rechtzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert und dürften nicht nur als Zahlmeister angesehen werden, so Ferber. "Diese Form der Solidarität darf es natürlich nicht geben. Es muss auch bedeuten, dass die Südeuropäer sich entsprechend reformieren, den Wettbewerbsdruck aufnehmen und bereit sind, Wettbewerbsfähigkeit auf- und nicht abzubauen", sagte Markus Ferber der Deutschen Welle. "Nur in diesem Paket kann es Solidarität geben, ansonsten bekommen wir das Furchtbare, das keiner sagen will: Eine dauerhafte Transferunion, in der Geld vom Norden in den Süden fließt. Das ist keine Perspektive für den deutschen Steuerzahler."
"Perverse Solidarität"
Die europäische Solidarität dürfe nicht dazu führen, dass arme Staaten zur Kasse gebeten werden, um relativ reicheren Staaten zu helfen, sagt Richard Sulik, der neoliberale, ehemalige Parlamentspräsident der Slowakei. Griechenland sei pleite und sei daran selbst Schuld, so Richard Sulik. Er macht folgende Rechnung auf: "Denken Sie, es ist solidarisch, dem slowakischen Rentner zu sagen: Lieber Mann, wir erhöhen jetzt die Mehrwertsteuer, damit der griechische Rentner weiterhin seine Rente von 1200 Euro bekommen kann! Das ist eine perverse Solidarität. Das hat mit der richtigen Solidarität nichts zu tun." An Suliks Widerstand gegen den erweiterten Rettungsfonds EFSF zerbrach letztlich die slowakische Regierung im November 2011. Die neue slowakische Regierung stimmte dem Rettungsfonds aber schließlich doch zu.
Nicht nur in der Slowakei auch in zahlreichen anderen Euro-Staaten regt sich Widerstand gegen den bisherigen Umgang mit der Krisen-Politik. In Finnland pochte die Regierung auf Sonderrechte beim Rettungsschirm. In den Niederlanden war die Minderheitsregierung von euro-skeptischen Populisten abhängig und konnte erst nach ihrem offiziellen Rücktritt mit Mühe einen Sparhaushalt verabschieden. In Deutschland zeigen Meinungsumfragen: Immer weniger Menschen sagen "Ja" zur Europäischen Union. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber fordert deshalb mehr demokratische Kontrolle. Die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident dürften nicht allein im stillen Kämmerlein den großen Plan aushecken: "Genau da entsteht das Unwohlsein der Bürger. Da wird irgendwo in kleinen Zirkeln etwas beschlossen, was riesige Auswirkungen in den Ländern hat. Aber das wird im Vorfeld weder legitimiert noch kontrolliert", so Ferber.
Deutschland wählt 2013
Nur mit Mühe kann die Regierungskoalition aus konservativer Union und liberaler FDP immer neue Rettungsmaßnahmen durchs Parlament bringen. Der permanente Rettungsschirm ESM wird nun doch größer als ursprünglich geplant. Das deutsche Haftungsrisiko steigt und die bayrische CSU und die FDP mussten ihren Widerstand aufgeben, um die Kanzlerin nicht zu beschädigen. Für die Ratifizierung des Fiskalpakts Ende Mai braucht die Regierungskoalition die Zustimmung der oppositionellen Sozialdemokraten, weil eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit erforderlich ist. Die SPD sieht hier einen Hebel, um den strikten Sparkurs der Regierung aufzuweichen, kündigte SPD-Chef Sigmar Gabriel an. Gabriel fordert wie der französische Präsidentschaftskandidat Hollande einen Wachstumspakt für Europa. Im Herbst 2013 wird in Deutschland gewählt. Neben anderen politischen Themen stehen dann auch der Kurs in der Schuldenkrise und die Haushaltspolitik zur Abstimmung. "Mehr Europa" nach Lesart der Kanzlerin könnte das Ende der Regierungskoalition in Berlin bedeuten. Sie wäre nicht die erste, sondern eine mehr in der Euro-Zone, die an der Schuldenkrise zerbrechen würde.