Europa im Mittelpunkt
31. Januar 2017Der Bär ist müde. Schaut man sich das Maskottchen der Berlinale auf einem der Festivalplakate an, so könnte man den Eindruck erhalten, der Festivalstress sei zu viel für ihn: Er lehnt sich, offenbar erschöpft, an einen Pfeiler in der Berliner U-Bahn an. Doch von Müdigkeit schon im Vorfeld des größten deutschen Filmfestivals wollen die Macher um Berlinale-Chef Dieter Kosslick natürlich nichts wissen.
Kosslick: "Schwerpunkt Europa"
In ein paar Tagen beginnt das Festival, und was die Zuschauer aus aller Welt in den zahlreichen Kinos der Stadt erwartet, das haben Kosslick und sein Team jetzt schon einmal vorgestellt. Das Festival werde in diesem Jahr auf jeden Fall den Schwerpunkt Europa haben, hatte Kosslick schon vor ein paar Tagen der Nachrichtenagentur dpa verraten.
"Es geht um die Geschichte Europas und die Kriege Europas", so Kosslick. "Im Blick auf das politisch einst in Ost und West geteilte Europa geht es auch um den Verlust der zwei großen Utopien. Die Menschen vertrauen dem Kapitalismus nicht - und dem Kommunismus sowieso schon lange nicht mehr."
Und: Man darf sicher sein, dass bei dem Festival über den neuen US-Präsidenten Donald Trump und dessen Politik diskutiert wird. Die Berlinale gilt seit jeher als das politischste der großen Filmfestivals. Viele Filme werden auch im Lichte der neuen US-Politik diskutiert werden. Das gilt sicher nicht nur für dezidiert politisch-historische Werke wie "Der junge Karl Marx", der in Berlin Premiere feiern wird.
18 Filme bewerben sich um die Bären
24 Filme werden im Wettbewerb im Berlinale-Palast gezeigt, 24mal heißt es großes Schaulaufen auf dem Roten Teppich am Potsdamer Platz. 18 Filme beteiligen sich am Rennen um den Goldenen und die Silbernen Bären. Zum Auftakt gibt's die Musikerbiografie "Django", die das Leben des legendären Django Reinhardt in den Mittelpunkt stellt.
In diesem Jahr ist das deutsche Kino wieder stark vertreten. Oskar-Preisträger Volker Schlöndorff präsentiert seine Max-Frisch-Verfilmung "Rückkehr nach Montauk", Thomas Arslan stellt seinen neuen Film "Helle Nächte" vor, und Andres Veiel nimmt mit seiner dokumentarischen Künstlerbiografie "Beuys" am Wettbewerb teil. Darüberhinaus stellen sich sechs weitere deutsche Co-Produktionen dem Votum der Jury, die in diesem Jahr unter dem Vorsitz des niederländischen Regisseurs Paul Verhoeven über die Preise zu entscheiden hat.
Die Berlinale-Jury steht
Nun teilte das Festival auch mit, wer Verhoeven dabei unterstützen wird, den Goldenen und die Silbernen Bären zu verteilen: die deutsche Schauspielerin Julia Jentsch ("24 Wochen", "Sophie Scholl - Die letzten Tage"), der isländische Künstler Olafur Eliasson, die US-Schauspielerin Maggie Gyllenhaal ("White House Down"), der mexikanische Schauspieler und Regisseur Diego Luna ("Frida"), die tunesische Filmproduzentin Dora Bouchoucha Fourati ("Hedis Hochzeit") und der chinesische Regisseur und Drehbuchautor Wang Quan'an, der 2007 mit "Tuyas Ehe" den Goldenen Bären gewann.
Kauziges von Aki Kaurismäki und Josef Hader
Prominente Regiegrößen wie Aki Kaurismäki (Finnland), Danny Boyle (GB) und Agnieszka Holland (Polen) reichern den Wettbewerb an. Mit Spannung erwartet wird auch das Regiedebüt des Schauspielers Josef Hader aus Österreich. Die USA sind mit den Regisseuren James Mangold und Oren Moverman vertreten. Auch Filme aus Asien, Lateinamerika und mehreren europäischen Nationen sind im Wettbewerb vertreten, der traditionell im Mittelpunkt des Festivals steht.
Auch das Forum, die Sektion, die stets im Fokus des politischen Kinos steht, die experimentelle und unkonventionelle filmische Formen pflegt, wartet 2017 mit einem üppigen Angebot auf. Unter den 43 Filmen sind in diesem Jahr besonders viele aus Latein- und Nordamerika. Filmische Ausgrabungen aus Marokko oder Süd-Korea versprechen seltene Einblicke in unbekanntere Kinonationen. Mit Spannung erwartet wird auch die dreistündige Thomas Mann-Verfilmung "ORG" des 91-jährigen Argentiniers Fernando Birri aus dem Jahre 1978, die seit ihrer Uraufführung kaum zu sehen war. Bei "ORG" handelt es sich freilich auch um einen Experimentalfilm mit über 26.000 Schnitten.
Die Berlinale: Drehscheibe des Weltkinos
In der Reihe Panorama, die modernes Art-House-Kino zeigt, also Filme, die in den nächsten Monaten in den Programmkinos laufen werden, können sich die Berlinale-Zuschauer auf 51 Beiträge freuen. Auch hier sind Dokumentationen und Spielfilme aus allen Weltregionen bunt gemixt. Wo kann man sonst schon einen neuseeländischen Film von einem Regisseur aus Samoa sehen?
Einen Blick in die Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig wirft dieses Jahr die große filmhistorische Retrospektive: "Future Imperfect. Science. Fiction.Film." "Bei der Filmauswahl haben wir uns von den Themen unserer Ausstellung 'Things to Come' inspirieren lassen", sagt Rainer Rother, Leiter der Retrospektive und Direktor der Deutschen Kinemathek: "Die Retrospektive nimmt die Geschichte des Genres in den Blick und zeigt cineastische Vorstellungswelten auch aus Ländern wie Dänemark, Japan, Polen oder der Tschechoslowakei."
Für filmhistorisch Interessierte hält die Reihe "Classics" einige Leckerbissen bereit. Hier wird zum Beispiel "Avanti Popolo" des israelischen Regisseur Rafi Bukaee gezeigt, eine Tragikomödie über die Absurdität des Krieges aus dem Jahre 1986.
Der Zuschauer haben die Wahl ...
Der Zuschauer bei dieser 67. Berlinale wird wieder die Qual der Wahl haben. Rund 400 Filme werden aufgeführt. Als Besucher kann man sich seine ganz persönliche Berlinale zusammenstellen, der Run auf die Tickets wird wie in den vergangenen Jahren wieder gewaltig sein. Neben Wettbewerb, Forum, Panorama und Retro stehen weitere Filmprogramme zur Auswahl: In der Reihe "Generation" werden Filme für ein jüngeres Publikum angeboten, das "Kulinarische Kino" richtet sich an Freunde von Film & Food, und die Sektion "NATIVe" stellt Arbeiten indigener Völker in den Mittelpunkt.
Bei all den Welt- und Deutschlandpremieren dürfte es auch 2017 wieder keinen Mangel an Stars geben, die Fans werden jubeln: Erwartet werden ab 9. Februar beispielsweise Stars wie Catherine Deneuve, Richard Gere, Penélope Cruz und Robert Pattinson.
In Berlin werden Filme auch gekauft und verkauft
Produzenten, Verleiher und Filmeinkäufer werden sich bei der Filmmesse (EFM) und im Co-Produktionsmarkt ein Stelldichein geben, allein für diese Messe haben sich rund 9.000 Aussteller, Lizenzhändler, Produzenten und Investoren angemeldet. Der Nachwuchs wird sich wieder im Theater Hebbel am Ufer einfinden, wo der Talent Campus seine Pforten öffnet. Und wem all das immer noch nicht reicht, der kann sich auch der jüngsten Mode aller Filmfestivals widmen: dem Seriengucken. Während der Berlinale werden einige neue Formate vorgestellt, vom 13.-15. 2. trifft man sich dann beim "Drama Series Days". Nur eines ist jetzt schon sicher, wenn am 18. Februar der Goldene und die Silbernen Bären verliehen werden und die Berlinale am 19.2. mit dem Publikumstag zu Ende geht: Der Berlinale-Bär wird nicht der einzige sein, der müde aus den Kinos wankt, den erwarteten 400.000 Zuschauer dürfte es ebenso gehen.
In der neuen Ausgabe von KINO begleitet Festival-Direktor Dieter Kosslick unsere Moderatoren durch die Sendung. Darin ein Ausblick auf die 67. Berlinale, insbesondere werden die Highlights vorgestellt sowie die Retrospektive zum Science Fiction-Film.