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Europa droht lang anhaltender Gasstreit

Markian Ostaptschuk16. Juni 2014

Der Konflikt um den Gaspreis und offene Rechnungen zwischen Russland und der Ukraine eskaliert. Der Lieferstopp könnte sich auch auf die Versorgung der EU auswirken. Beobachter sehen keine schnelle Lösung.

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Gasarbeiter in der Westukraine (Foto: REUTERS/Gleb Garanich)
Bild: Reuters

Die Verhandlungen über einen niedrigeren Preis für russische Gaslieferungen an die Ukraine und die von Kiew zu begleichenden Schulden sind vorerst gescheitert. In der Nacht zum Montag (16.06.2014) konnte auch unter Vermittlung des EU-Energiekommissars Günther Oettinger keine Einigung erzielt werden. Moskau stoppte daraufhin seine Lieferungen. Zudem will der russische Staatskonzern Gazprom nur noch gegen Vorkasse an Kiew liefern. Moskau versichert, die Gaslieferungen in die EU seien nicht betroffen. Sowohl die Ukraine als auch Russland reichten nun Klage bei der internationalen Schiedsstelle für Handelsstreitigkeiten in Stockholm ein. Somit droht ein weiterer langanhaltender Konflikt zwischen beiden Staaten.

Ein von ukrainischen Regierungstruppen zerstörtes Panzerfahrzeug der Separatisten in der Ostukraine (Foto: REUTERS/Shamil Zhumatov)
Ein von ukrainischen Regierungstruppen zerstörtes Panzerfahrzeug der Separatisten in der OstukraineBild: Reuters

Die Beziehungen der Nachbarländer sind längst hoch angespannt. Im Februar war der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch infolge von Massenprotesten nach Russland geflohen. Hunderttausende hatten gegen Janukowitschs Beschluss protestiert, das bereits ausgehandelte EU-Assoziierungsabkommen zu stoppen. Verschärft hatte sich die Krise durch die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland. Kiew wirft Moskau zudem vor, prorussische Separatisten in der Ostukraine zu unterstützen. Schließlich wurde im Mai der neue proeuropäische Präsident Petro Poroschenko gewählt, den der Kreml offiziell nicht anerkennt.

Wie lange reichen die Vorräte?

Die Regierung in Kiew erklärte unterdessen, die Ukraine sei auf den russischen Gas-Lieferstopp vorbereitet. Sie habe in unterirdischen Gasspeichern Brennstoff angesammelt, der bis Dezember ausreiche. Juri Koroltschuk vom Kiewer Institut für Energie-Studien allerdings meint allerdings, das Gas in den Speichern reiche nur bis Mitte September. Danach werde das Land russisches Gas verbrauchen müssen, das für den Transit in die EU bestimmt sei. "Kiew wird nicht in der Lage sein, ohne Hilfe der Europäer genügend Gasvorräte für den Winter anzulegen", sagt der Experte der Deutschen Welle.

Nur ein Kompromiss zwischen Gazprom und dem staatlichen ukrainischen Energiekonzern Naftogaz könnte zu einem Ausweg aus dieser Situation führen. Doch Kiew müsste zuerst seine Schulden zurückzahlen. "Die EU hat uns geholfen, vom Internationalen Währungsfonds zwei Milliarden Dollar zu erhalten, um Schulden bei Gazprom zu begleichen", so Koroltschuk. Verhandeln müsse man sowieso, und es wäre gut, dies schnellstens zu tun, ohne die Urteile in Stockholm abzuwarten.

Europäische Alternative

Bohdan Sokolowski, ehemaliger Energiebeauftragter des ukrainischen Präsidenten, meint, Kiew habe von Gazproms Klage vor dem Stockholmer Schiedsgericht nichts zu befürchten. Moskau habe im April einseitig die Charkiwer Vereinbarungen aus dem Jahr 2010 aufgekündigt. Sie sahen einen Gasrabatt für Kiew im Tausch für die Verlängerung der Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim vor.

Sokolowski sagt im Gespräch mit der DW, die Ukraine sollte russisches Gas durch europäische Quellen kompensieren. "Das ist nicht nur möglich, sondern notwendig", unterstreicht er und fügt hinzu: "Russland ist heute ein Aggressor gegen die Ukraine, und mit einem Aggressor kann es keine Zusammenarbeit geben."

Staatschefs müssen verhandeln

Merkel mit Putin und Poroschenko (Foto: REUTERS/Kevin Lamarque)
Experten raten zu Verhandlungen zwischen den Präsidenten Petro Poroschenko (l.) und Wladimir Putin (r.)Bild: Reuters

Wie viel Gas die Ukraine aus Europa importieren kann, davon wird in der Tat viel abhängen, meint Alexej Kokin, Energieexperte der russischen Investitionsgesellschaft Uralsib Capital. Er glaubt allerdings nicht, dass genügend Gaslieferungen aus Europa an die Ukraine möglich sind. "Die Probleme für alle Konfliktparteien - die Ukraine, Russland und die EU - werden beginnen, wenn die Temperaturen sinken werden und die Nachfrage nach Gas in Europa und der Ukraine steigen wird", sagt Kokin der DW. Dies sei in der Regel Ende Oktober oder im November der Fall.

Eine endgültige Lösung des Problems werden ihm zufolge nicht die Chefs von Gazprom und Naftogaz finden können. Das könnten nur die Staatschefs. Die Ukraine wolle vor allem im Gasvertrag eine neue Preisformel festlegen. "Das ist einer der Punkte, wie ich es verstehe, der die Unstimmigkeiten verursacht", so der Experte. Denn nach den Ereignissen auf der Krim habe Russland einseitig den Gasrabatt für die Stationierung seiner Flotte gestrichen.

Stillstand bis zum Herbst

Alexander Kornilow, Energieexperte der russischen Alfa-Bank, betont, der Streit um den Gaspreis habe keine wirtschaftliche, sondern politische Hintergründe. "Wie man diesen Knoten lösen soll, ist eine große Frage", sagt er im Gespräch mit der DW. Das erfordere Bemühungen nicht nur von Gazprom und Naftogaz, sondern auch, dass die Staatschefs Russlands und der Ukraine aufeinander zugehen, betont auch Kornilow.

Was jedoch baldige weitere Verhandlungen angeht, da ist Kornilow skeptisch. "Es ist Sommer, der Gasverbrauch in Europa und in der Ukraine ist nicht hoch. Wahrscheinlich wird es erst im Herbst wieder Verhandlungen geben", sagt er. Bis dahin könnte auch eine Entscheidung aus Stockholm vorliegen.