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PolitikSpanien

Europa: Anti-Putin-Koalition trifft sich in Granada

Bernd Riegert aus Granada, Spanien
4. Oktober 2023

Europas Staats- und Regierungschefs sprechen in Spanien über drängende Fragen. Was sollen die Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft und der EU bringen?

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Alhambra in Granada
Kulisse mit bewegter Geschichte für den Gipfel: Alhambra-Palast in Granada, SpanienBild: Pedro Salaverria/Colourbox

Die Gipfeltreffen im spanischen Granada kommen im Doppelpack: Erst kommen am Donnerstag 47 europäische Staaten - alle außer Russland und Belarus - zusammen: die "Europäische Politische Gemeinschaft", gegründet vor einem Jahr in Prag als Allianz gegen den russischen Angriff auf die Ukraine. Dann folgt am Freitag ein informelles Treffen der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die einen Berg Problemen vor sich herschiebt, allen voran die Steuerung der Migration.

"Politisches Speeddating"

Bei beiden Gipfeln werden die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs keine formalen Entscheidungen fällen. Vor allem die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG), erfunden vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, ist ein lockerer Klub ohne feste Strukturen. Und das ist auch gut so, meint Steven Blockmans vom Center für Europäische Politikstudien (CEPS), einer Denkfabrik in Brüssel. Er nennt die dritte Zusammenkunft dieser Art, nach Prag 2022 und Chisinau im Juni 2023, politisches "Speeddating". Ohne Tagesordnung, ohne Zwang, Erklärungen auszuhandeln und in lockeren Arbeitskreisen gibt es viele Möglichkeiten, sich zu treffen.

Andalusien Spanien
Lustwandeln oder Tacheles in den Gärten von Granada: Sechs Stunden haben die Staatenlenker Zeit zu redenBild: picture-alliance/dpa/N.Westwater

Hier könnten Chefs und Chefinnen miteinander reden, die sich sonst eher selten sehen, meint die Politikwissenschaftlerin Vessela Tcherneva von der Denkfabrik "Europäischer Rat für Außenpolitik" in Sofia. "Das gilt für 20 Länder, die nicht EU-Mitglieder sind, die sich nicht jeden Monat treffen, wie die EU-Mitgliedsstaaten. Die brauchen eben ein Forum, wo man sich wirklich unterhalten kann, und zwar auf Ebene der Staats- und Regierungschef. Deswegen, denke ich, war das sehr nützlich."

Wohl kein Treffen zwischen Aserbaidschan und Armenien

Für die Konfliktparteien Aserbaidschan und Armenien wäre der informelle Gipfel zum Beispiel theoretisch eine Gelegenheit, über einen Ausweg aus der humanitären Krise in Berg-Karabach zu sprechen, das 120.000 Armenier nach militärischer Besetzung durch Aserbaidschan fluchtartig verlassen haben. Steven Blockmans, Politikwissenschaftler in der Denkfabrik CEPS, mahnt an, dass in Richtung Aserbaidschan klare Worte gefunden werden müssten. Territoriale Streitigkeiten dürfe man in Europa nicht mit Gewalt lösen. Das gelte für den russischen Machthaber Putin genauso wie für Aserbaidschans Präsidenten Alijew. "Wenn Aserbaidschan in diesem Zusammenhang im Abseits steht, dann muss das so sein. Zumindest würde der Rest Europas zeigen, dass es vereint ist bei der Auslegung seiner eigenen fundamentalen Prinzipen."

Doch die staatliche aserbaidschanische Nachrichtenagentur APA meldete nun, Alijew habe sich gegen eine Begegnung mit armenischen Vertretern entschieden. 

Gibt es mehr als nur ein Familienfoto?

Hauptthema der Europäischen Politischen Gemeinschaft wird wohl erneut die Lage in der Ukraine und der russische Angriffskrieg sein. Ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich nach Granada reist, wird noch geheim gehalten.

Republik Moldau Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft | Maia Sandu und Wolodymyr Selenskyj
In Moldau schüttelte Ukraines Präsident Selenskyj (li.) Gastgeberin Sandu persönlich die Hand: Kommt er diesmal auch? (Archiv Juni 2023)Bild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Vom Prager Gipfel vor einem Jahr ging klar das Signal an Russland aus, dass Europa geschlossen hinter der Ukraine steht. In der Republik Moldau war die Botschaft, dass Europa die gesamte Region und auch bedrohte Staaten wie Moldau unterstützt. Was soll in Grenada, im weit westlich gelegenen Spanien herauskommen? "Das ist dieses Mal natürlich, bei der dritten Runde, ein bisschen schwieriger", meint der Politikexperte Steven Blockmans im Gespräch mit der DW. "Ein großes Familienfoto wird wohl nicht mehr ausreichen, um eine kraftvolle Botschaft zu senden. Es wird immer klarer, dass ein paar handfeste Resultate bei diesem Treffen nötig sind."

Kann die Ukraine auf Fortschritte beim EU-Beitritt hoffen?

Bei ihrer Reise nach Kiew am vergangenen Montag haben die Außenminister der EU schon angedeutet, in welche Richtung die Botschaft des Doppelgipfels von Grenada gehen könnte. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach davon, dass das Herz Europas in der angegriffenen Ukraine am stärksten schlage. Die europäische "Gemeinschaft der Freiheit" müsse von Lissabon bis Luhansk in der Ostukraine reichen, hatte Baerbock angekündigt. Das war in der Ukraine durchaus so verstanden worden, dass das Kandidatenland Ukraine der Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der EU schnell näher rückt.

"Ja, ich glaube, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Ukraine eben auch ein Datum für Beginn der Verhandlungen bekommt, im Dezember", schätzt Vessela Tcherneva vom bulgarischen Büro der Denkfabrik "Europäischer Rat für Außenpolitik". "Das läuft für die Ukraine parallel zur militärischen und finanziellen Unterstützung," Und über die werde auf beiden Gipfeltreffen auch gesprochen, auch vor dem Hintergrund, dass in der Slowakei womöglich ein Russland-freundlicher Premier eine Regierung bilden werde und die Unterstützung aus den USA durch einen Haushaltsstreit im Kongress blockiert werden könnte.

Wird die EU beim Streit um Migration weiterkommen?

Beim anschließenden informellen Gipfel der 27 EU-Mitglieder wollte der Präsident des Rates, Charles Michel, gerne über strategische Fragen, europäische Autonomie, Infrastruktur und Energie sprechen. Doch wegen der steigenden Zahlen von Migranten drängt nicht nur Italien darauf, über kurzfristige Lösungen zu beraten. Die Berater von Charles Michel wollen sich auf die "externe Dimension" der Migration beschränken, also die Zusammenarbeit mit Dritt-Staaten wie der Türkei oder Tunesien, die die Migranten möglichst an der Weiterreise nach Europa hindern sollen. Doch in die Gipfelvorbereitung platzte die Nachricht, dass der tunesische Präsident Saied die frisch geschlossene Vereinbarung mit der EU nicht umsetzen will. Die EU hatte Wirtschaftshilfe gegen das Zurückhalten von Migranten geboten. Kais Saied lehnt die langfristig zugesagten 1,1 Milliarden Euro als "Almosen" ab. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni war an den Verhandlungen mit Tunesien maßgeblich beteiligt. Die Frage ist nun, wie sie reagieren wird. Der neue Migrationspakt der EU mit kürzeren Asylverfahren, mehr Abschiebungen und einem Verteilschlüssel für alle EU-Staaten ist immer noch in der Schwebe, weil sich Deutschland und Italien in wesentlichen Punkten nicht einigen können.

Slowenien | Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel
EU-Ratspräsident Charles: Was machen wir, wie und wer zahlt?Bild: Daniel Novakovic/Slovenian Government Press Service/AP/picture alliance

Ist die EU fit für eine Erweiterungsrunde?

Beim EU-Gipfel will Ratspräsident Charles Michel schließlich eine politische Diskussion über Reformen innerhalb der Union anstoßen, um sie fit zu machen für die angestrebte Aufnahme von sechs Westbalkanstaaten sowie der Ukraine und Moldau. Man müsse sich über die Konsequenzen dieses Schrittes für die neuen Mitglieder, aber vor allem für die EU klar werden, fordert Michel in seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs. "Es ist lebenswichtig, die zukünftige Dynamik der Union zu überdenken, unsere Entscheidungsprozesse neben anderen Fragen, um weiter unseren Erfolg zu garantieren. Es geht um dieses kritischen Fragen: Was machen wir zusammen? Wie entscheiden wir? Wie bekommen wir Finanzen und Ziele unter einen Hut?", fragt Charles Michel. Die Diskussionen um die Auswirkung der Erweiterungsrunden auf das EU-Budget werden noch spannend. Sollte die Ukraine beitreten, sie ist der ärmste Staat in Europa, könnten heutige Nettoempfänger in Ost- und Mitteleuropa wie Ungarn oder Polen schlagartig zu Nettozahlern werden.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union