Europäische Verkehrsplanung in der Kritik
18. August 2005Im Rahmen der neuen Nachbarschaftspolitik der erweiterten Europäischen Union will die Kommission in Brüssel gezielt den Bau einiger Verkehrsachsen voranbringen. Dafür arbeiten sechs Sonderkoordinatoren - darunter ehemalige EU-Kommissare wie Loyola de Palacio oder Karel van Miert. Durch diese Nachbarschaftspolitik will die erweiterte EU gute Beziehungen zu den Staaten pflegen, die an den Außengrenzen der Gemeinschaft liegen.
Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik
Herwig Nowak vom Sekretariat des Paneuropäischen Korridors IV, der Westeuropa mit Südosteuropa verbinden soll, sieht dieser Entwicklung skeptisch entgegen. Die bisherige Infrastrukturpolitik der EU werde durch die "Korridor-Politik" nur noch partiell fortgeführt, fürchtet er. Nowak sagte: „Ich halte so einen Paradigmenwechsel einfach für sehr leichtfertig, weil in die Korridore viel Geld geflossen ist – nationale Gelder, EU-Geld, Geld der Weltbank – und man ihre Fertigstellung abwarten müsste und nicht jetzt neue Vorgaben für neue Verkehrswege kreieren sollte.“
Bleiben Rumänien und Bulgarien auf der Strecke?
Im Klartext: Die Sonderkoordinatoren wollen den bestehenden Korridor IV auf eine neue Südostachse verlegen, die dann aber nicht mehr durch alle Regionen oder Länder führt, die bisher Teil der Planung waren. Die neue Achse führt von Budapest über Belgrad und Nis nach Sofia und dann - verzweigt - weiter nach Griechenland bzw. in die Türkei. Somit werden West- und Südrumänien sowie der nördliche Teil Bulgariens nicht mehr, wie bisher, angebunden.
Ist es unter den gegebenen Umständen sinnvoll, wenn die betroffenen Länder gegen diese Pläne politisch vorgehen? Herwig Nowak meint: „Man könnte Rumänien und Bulgarien durchaus nur ermuntern, sich diesem Thema sehr kritisch zuzuwenden, denn das ist existentiell. Sie sollten sich gegen die Verlagerung des Korridors IV aus ihren Ländern wehren, weil sie ja dann keinen Anschluss an Zentraleuropa mehr haben, der Korridor ist ja weg.“
Finanzierung nicht gesichert
Insgesamt belaufen sich die Kosten für 30 europäische Verkehrs-Großprojekte, die bis 2020 fertig gestellt werden sollen, auf rund 225 Milliarden Euro. Die EU-Kommission will davon fünf Projekte bevorzugt behandeln und hat für den Zeitraum finanzielle Unterstützung in Höhe von 20 Milliarden Euro vorgeschlagen. Die Bewilligung der Summe ist allerdings wegen der geplanten Haushaltskürzungen eher unwahrscheinlich.
Einer der heftigsten Kritiker der neuen Verkehrspolitik der EU-Kommission ist Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament. Die Änderung bestehender Trassen und Planungen, wie im Falle des paneuropäischen Korridors IV, sieht er problematisch: „Das ist natürlich falsch. Sie müssen alle benannten Trassen vollständig umsetzen – da geht es um Straßenausbau; Schienenausbau mit bestimmten Destinationen. Der Korridor IV ist genau so wichtig wie der Nr. I oder Nr. VI, die jetzt besonders betreut werden. Gerade für Rumänien und Bulgarien stehen entsprechende Mittel zur Verfügung, um diesen Korridor auch auszubauen.“
Die Kritik Ferbers geht noch weiter. Er fürchtet eine neue Bürokratie von Koordinatoren, die im Wesentlichen mit ehemaligen Kommissaren bestückt werden und die sich auf diese Weise ein kleines Zubrot verdienen können. Doch dies, so Ferber weiter, könne nicht Aufgabe der EU-Kommission sein: „ Meine Sorge ist einfach, dass wir uns eine zusätzliche Bürokratie schaffen, obwohl für den Ausbau der Verkehrswege nicht die EU-Kommission, sondern die Mitgliedstaaten zuständig sind.“
Robert Schwartz
DW-RADIO/Rumänisch, 18.8.2005, Fokus Ost-Südost