Eurogruppe verschiebt kniffelige Entscheidungen
8. Dezember 2014In der Haut seines griechischen Kollegen möchte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble derzeit nicht stecken. Er lächelt milde als er sagt, diese Verantwortung wolle er nicht haben: "Die Probleme anderer sind größer als unsere eigenen." Gikas Hardouvelis hat gerade einen umstrittenen Haushalt für 2015 durchs Parlament in Griechenland gebracht und muss nun den europäischen Kollegen in Brüssel erklären, ob und welche Hilfsgelder Griechenland in den kommenden Jahren noch in Anspruch nehmen will oder muss.
Griechenland geht in die Verlängerung
Schäuble ist wie die Mehrheit der Finanzminister in der 18-köpfigen Eurogruppe dafür, Griechenland mehr Zeit zu geben und Entscheidungen bis in den März 2015 zu verschieben. In einem ersten Schritt wird das laufende Hilfsprogramm über den Jahreswechsel hinaus gedehnt. Die als "technische Verlängerung" bezeichnete Extra-Zeit ist nötig, weil die laufende Kontrolle der Geldgeber-Troika erheblich verzögert ist.
Es geht um die Auszahlung der letzten Tranche in Höhe von 1,8 Milliarden Euro aus dem derzeitigen Hilfsprogramm. Die Troika sieht die Voraussetzungen nicht erfüllt, weil Reformen nicht umgesetzt wurden. Außerdem bemängeln die Geldgeber, dass der griechische Finanzminister den Haushalt 2015 als ausgeglichen ausweist, während die EU-Kommission eine Lücke von 2,5 Milliarden Euro klaffen sieht. Der Vorsitzende der 18 Euro-Staaten, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, ist einer der wenigen, die öffentlich ihr Unbehagen mit Griechenland und der Rücksichtnahme auf Wahltermine äußern. "Ich fühle mich überhaupt nicht wohl. Ich sorge mich sehr über den Zeitdruck. Alle Seiten sollten so weit wie möglich gehen, bevor das Jahr zu Ende geht", gab Dijsselbloem am Rande der Sitzung in Brüssel zu Protokoll.
Noch kein Vertrauen in Griechenland
Im Oktober hatte die griechische Regierung noch vollmundig erklärt, sie wolle überhaupt keine Finanzhilfen mehr aus Europa. Darauf hin war der Zinssatz für zehn Jahre laufende griechische Staatsanleihen auf nicht bezahlbare neun Prozent hochgeschnellt. Die Griechen mussten einsehen, dass die Finanzmärkte ihnen noch nicht zutrauen, langfristige Kredite aus eigener Kraft zurückzuzahlen. Insgesamt hat Griechenland aus europäischen Quellen und vom Internationalen Währungsfonds 240 Milliarden Euro an billigen Krediten erhalten. Hinzu kommt ein Schuldenschnitt für private Gläubiger im Wert von etwa 100 Milliarden Euro.
Die Wirtschaft in Griechenland wächst langsam wieder, allerdings bleiben die Arbeitslosigkeit sehr hoch und die Binnennachfrage schwach. Nach Schätzungen braucht Griechenland eine vorbeugende Kreditlinie von rund zehn Milliarden Euro. "Bei Griechenland haben wir in den letzten Jahren gesehen: Es dauert immer ein bisschen länger. Es ist immer schwierig, aber insgesamt ist Griechenland auf einem guten Weg. Wir haben ja gute Erfolge in den letzten Jahren erzielt und ich bin zuversichtlich, dass wir auch dafür einen Weg finden", sagte Schäuble in Brüssel.
"Griechenland muss weiterkämpfen"
Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras hatte seinen Wählern versprochen, die Griechen würden die ungeliebten Finanz-Kontrolleure der "Troika" aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zum Jahresende loswerden. Doch sollte Griechenland weiter Kredite in Anspruch nehmen, würde natürlich auch die Troika zur Kontrolle im Land bleiben. Da im Februar oder März in Griechenland Neuwahlen anstehen könnten, soll die Entscheidung hinausgezögert werden.
EU-Kommissar Pierre Moscovici will Samaras entgegenkommen und beschied: "Heute gibt es keine Entscheidung zur Verlängerung des Programms für Griechenland. Wir wollen weiter in eine Richtung gehen, die einen Ausweg für Griechenland eröffnet." Der finanzpolitische Experte der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Markus Ferber (CSU), ist skeptisch, ob sich die Griechen auf dem richtigen Pfad bewegen. "Ich verstehe, dass ein Land wie Griechenland nach fünf Jahren Krise etwas ermüdet, aber für Ermüdung gibt es keine Gelegenheit. Es muss weiter gekämpft und gearbeitet werden, sonst wird Griechenland nicht dauerhaft an die Finanzmärkte zurückkehren können", sagte Ferber der DW.
"Schiedsrichter wendet die Regeln nicht an"
Neben Griechenland berieten die Finanzminister über die zu hohen Defizite oder strukturellen Ungleichgewichte in den nationalen Haushalten von Frankreich, Italien und Belgien. Obwohl die Staaten nach den neuen schärferen Regeln der EU zur Haushaltskontrolle bis zum November Nachbesserungen hätten vorlegen müssen, will die neue EU-Kommission den gefährdeten Staaten noch Zeit bis zum März 2015 einräumen. Der finanzpolitisch versierte Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) kritisiert diese politische Nachsichtigkeit durch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Gespräch mit der DW. Er habe kein Verständnis, dass beim ersten strengen Anwendungsfall der Regeln schon Ausnahmen gemacht würden: "Das ist kein Signal der Stärke, sondern das ist ein Signal des Unter-Druck-gesetzt-werdens. Wir hatten bewusst die EU-Kommission gestärkt in der Hoffnung, dass sie ein fairer Schiedsrichter sein würde. Wenn aber der Schiedsrichter schon die Spielregeln nicht zur Anwendung bringt, darf man es von den Spielern schon gar nicht erwarten."
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach sich wie der Rest der Euro-Staaten für Nachsicht aus. "Das Entscheidende ist, dass die Zeit genutzt wird, um die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen", sagte Schäuble. Italien habe eine tiefgreifende Arbeitsmarktreform verabschiedet. Frankreich habe ständig zusätzliche Maßnahmen und Reformen umgesetzt. "Wir sind alle auf dem richtigen Weg. Wir in Deutschland müssen uns ja auch anstrengen."
Kritik aus Italien und Frankreich
Am Wochenende hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Zeitungsinterview ähnlich argumentiert und weitere Reformen in Frankreich und Italien angemahnt. Dafür wurde sie sowohl aus Italien als auch aus Frankreich scharf kritisiert. Der italienische Europa-Staatssekretär Sandro Gozi sagte laut italienischen Medienberichten, Frau Merkel solle sich lieber auf Deutschland und seinen Mangel an Investitionen konzentrieren. Darauf warte Europa schon lange. In die gleiche Kerbe schlug der sozialistische Europaabgeordnete Jean-Luc Melenchon aus Frankreich. "Maul zu, Frau Merkel!" twitterte Melenchon auf Deutsch. Deutschland solle sich lieber um seine kaputte Infrastruktur kümmern. Den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble regen solche Anwürfe wenig auf. Er sagte in Brüssel lediglich, Frankreich sei halt eine große und stolze Nation.
Der französische EU-Kommissar Pierre Moscovici, der für die Haushaltsüberwachung in Europa zuständig ist, versuchte die Wogen zu glätten. Er lobte, dass die neuen Regeln, die nach der Finanzkrise verabschiedet wurden, nun in Kraft seien. "Wir haben jetzt wenigstes einmal ganz offen über alles gesprochen", sagte Moscovici in einer Pressekonferenz. Im März soll nun endgültig über mögliche verschärfte Defizitverfahren gegen Frankreich oder vorbeugende Verfahren gegen Italien entschieden werden.