Wieder juristischer Rückschlag für Orban
18. Juni 2020Das Gesetz, das Viktor Orban 2017 gegen die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen in Ungarn auf den Weg gebracht hatte, war von Anfang an auf Widerstand gestoßen. Der Regierungschef wolle der Zivilgesellschaft und ihren Organisationen damit Handschellen anlegen, sagten Kritiker.
Und es war auch klar, dass es der rechtlichen Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg nicht standhalten würde. Das Urteil vom Donnerstag bedeutet für Orban eine weitere juristische Niederlage.
Teil einer Strategie
Nach der Flüchtlingskrise 2015 hatte sich Viktor Orbans Feindschaft gegen die Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Ungarn noch einmal verschärft. Aber es ging um mehr als Flüchtlingshelfer. Das Gesetz zwang alle Organisationen, die mehr als 22.000 Euro an Unterstützung aus dem Ausland erhielten, sich zu registrieren und Zuwendungen detailliert zu veröffentlichen. Das aber sei eine unzulässige Diskriminierung, so argumentieren Europas oberste Richter und könne die gemeinnützige Arbeit der Organisationen gefährden.
Das Gesetz galt als "Lex Soros", das sich vor allem gegen den ungarisch-stämmigen Billionär und Spender George Soros richtete. Er hatte mit seiner "Open Society Foundation" große Summen für die Demokratisierung im früheren Osteuropa eingesetzt. Viktor Orban aber stilisiert seinen früheren Förderer längst als Staatsfeind und Vertreter einer anti-nationalen Globalisierungspolitik. Dabei scheute der Premier auch vor üblen antisemitischen Schmierkampagnen nicht zurück.
Aber das Gesetz traf alle, die in Ungarn den Minderheitenschutz oder andere demokratische Anliegen vertreten - die Antikorruptions-Organisation Transparency International ebenso wie Umweltschützer, Flüchtlingshelfer oder das "Helsinki Komitee", das von Soros finanziert, für die Verteidigung der Bürgerrechte eintritt.
Ein Regierungssprecher in Budapest erklärte inzwischen, man werde sich an das Urteil aus Luxemburg halten. Und das ist Teil der Strategie von Viktor Orban: Er testet immer wieder aus, wie weit er die Beschneidung demokratischer Rechte in seinem Land voran treiben kann. Dann zieht er die Maßnahmen teilweise zurück, wenn er juristischen Gegenwind aus der EU bekommt.
Wert der Zivilgesellschaft
Ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel sagte zu dem Urteil: "Eine starke und lebendige Zivilgesellschaft ist der Schlüssel, um die gemeinsamen europäischen Werte von Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Demokratie aufrecht zu erhalten".
Die "Zivilgesellschaftliche Allianz" Ungarns begrüßt den Richterspruch als eine für die ganze ungarische Gesellschaft wichtige Entscheidung, denn die Regierung versuche seit Jahren, ungarische Nichtregierungsorganisationen zu zerstören. Dafür habe sie das jetzt für unrechtmäßig erklärte Gesetz ebenso benutzt, wie Polizeikontrollen oder die Zwangs-Registrierung von Mitarbeitern. Die Regierung müsse jetzt das NGO-Gesetz zurückziehen und die Arbeit der Organisationen anerkennen, die Armen helfen, lokale Gemeinschaften stärken, die Umwelt und Bürgerrechte schützen.
Die europäische Dachorganisation "Civil Liberties" betont, das Zuständigkeit der EU im Kampf gegen autoritäre Einflüsse durch das Urteil bestärkt werde. Die Kommission in Brüssel müsse alle Angriffe gegen EU-Rechte abwehren und auch politische Sanktionen gegen Regierungen verhängen, die Gesetze und Werte der Gemeinschaft verletzen.
Sergey Lagodinky, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament, betont: "Putin-ähnliche Diskriminierungen von Nichtregierungsorganisationen nach der Herkunft ihrer Finanzierung haben in EU-Ländern nichts zu suchen". Die EU müsse dagegen die Zivilgesellschaft in Ungarn oder Polen finanziell und rechtlich stärken. "Den Kampf gegen Autoritäre und Illiberale in einzelnen EU-Ländern werden wir nur von innen und mit den lokalen Zivilgesellschaften gewinnen".
Juristische Siege, politische Fehlschläge
Die Regierung in Budapest hat bereits eine Reihe von Verfahren vor dem EuGH verloren, vor wenigen Wochen erklärten die Obersten Richter die Bedingungen für Flüchtlinge an der ungarisch-serbischen Grenze für unzulässig. Und weitere Verfahren sind in Luxemburg anhängig. Aber lässt sich der Kampf gegen die Entdemokratisierung von EU-Mitglied Ungarn juristisch gewinnen?
Der Versuch, Viktor Orban politisch beizukommen, erlitt gerade einen erneuten Rückschlag. Nach wie vor ist seine Fidesz-Partei Mitglied der konservativen EVP, also der größten politischen Gruppe im Europaparlament, der auch Angela Merkels CDU angehört. Und damit genießt er quasi politischen Artenschutz. Zwar ist die Fidesz-Mitgliedschaft seit Frühjahr 2019 ausgesetzt, aber der Versuch, den bekennenden "Illiberalen" Viktor Orban auszuschließen, ist gerade erneut gescheitert.
Als Orban im März wegen der Corona-Krise ein unbegrenztes Sonderdekret einführte, wonach er ohne Parlament regieren und Wahlen unbegrenzt aufschieben konnte, schlug die Empörung einmal mehr hoch. In dieser Woche nahm der ungarische Premier dann die Regelung teilweise zurück.
EVP-Abgeordnete besonders aus nordischen Ländern waren gegen den Ungarn Sturm gelaufen und forderten seinen Rauswurf: "Orban hat ein autoritäres Regime geschaffen", urteilte die finnische Konservative Aura Salla. Aber die Spitzen der politischen Gruppe reagierten nur mit einem allgemeinen Tweet über europäische Werte. Und ein Rat der Weisen - mit dem früheren Ratspräsidenten Donald Tusk, Ex-Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering und anderen - sollte das Problem lösen. Das EVP-Gremium konnte sich zuletzt nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.
Dreht den Geldhahn zu!
Ungarn ist pro Kopf größter Empfänger von EU-Hilfen in Europa. Viktor Orban hat die Milliarden aus Brüssel auch dazu genutzt, seinem inneren Zirkel Projekte und Einkünfte zuzuschieben. Seit Jahren wird schon gefordert, ihm den Geldhahn zuzudrehen.
Auch die deutsche Bundeskanzlerin verlangt seit dem Beginn der Debatte über den neuen EU-Haushalt, dass die Zahlungen an die Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedsländer gebunden werden müssten. Sie hat dabei Unterstützer wie Frankreich und Gegner wie die Visegrad-Staaten, zu denen Ungarn. Die drohen den ganzen Haushalt zu blockieren, wenn ihre Politik finanziell sanktioniert werden sollte.
Deutschland übernimmt Anfang Juli den Vorsitz des Europäischen Rates und könnte das Vorhaben verfolgen. Allerdings kam die Corona-Krise dazwischen und es ist unwahrscheinlich, dass sich die Bundeskanzlerin an dieser Front verkämpft. Es sieht so aus, als ob Viktor Orban - von gelegentlichen juristischen Rückschlägen abgesehen - den autoritären Klammergriff um sein Land weiter verengen könnte.