EU bietet vorerst keine Beitrittsperspektiven
24. November 2017Der Präsident der EU-Kommission bemühte sich, die seiner Ansicht nach zu hohen Erwartungen im Partnerland Ukraine, ein wenig zu dämpfen. "Das hier ist kein Erweiterungsgipfel", meinte Jean-Claude Juncker gegenüber Reportern vor dem Gipfelgebäude in Brüssel. Das Gipfeltreffen mit sechs Partnerländern östlich der EU sollte nur die "europäischen Bestrebungen" der Ukraine, Georgiens und Moldawiens noch einmal anerkennen. Jedes Land könne wählen, wie weit es sich politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich an die Europäische Union annähern will, erklärten die Gipfelteilnehmer. Die Ukraine, Georgien und Moldawien haben bereits umfassende Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Armenien unterzeichnete beim Gipfeltreffen in Brüssel ein Partnerschaftsabkommen. Aserbaidschan startet die Verhandlungen über ein solches Abkommen. Mit Weißrussland (Belarus) haben gerade erst vorsichtige Annäherungen begonnen.
"Es muss für jedes Land maßgeschneiderte Lösungen geben", sagte der EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, Johannes Hahn, der DW. Der Präsident der Ukraine, Pedro Poroschenko, dessen Land sich im Konflikt mit dem großen Nachbarn Russland befindet, machte aus seinem Streben nach einer vollen EU-Mitgliedschaft keinen Hehl. Die sei aber im Moment "unrealistisch", meinten dazu EU-Diplomaten. Nicht alle 28 EU-Staaten seien zu einem solchen Schritt in absehbarer Zukunft bereit. In den Niederlanden konnte das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine nur unter großen Mühen und mit einem großen Risiko für die Regierung in Den Haag ratifiziert werden. Die EU-Kommission betonte in einer Stellungnahme zu den "Mythen" dieses Gipfels: "Assoziierung heißt nicht Beitrittsverhandlungen."
Schönheitswettbewerb mit Russland?
Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, sagte die Anerkennung der "europäischen Ambitionen" der Partnerländer sei wichtig, aber er persönlich hätte sich auch stärkere Aussagen vorstellen können. "Aber wir können ja nur machen, was von allen Gipfelteilnehmern auch mitgetragen wird." Tusk wies daraufhin, dass es bei der Ost-Partnerschaft nicht nur um Wirtschaftshilfen gehe, sondern auch um Sicherheitspolitik. Die "eingefrorenen Konflikte" mit Russland in der Ukraine oder in Georgien, aber auch der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, die russische Besetzung des moldawischen Landstriches Transnistrien, machten schnellere Fortschritte schwer. "Die EU", so Tusk, "verurteilt russische Einmischung und Gewalt in der Ukraine. Die Annexion der Krim-Halbinsel werden wir niemals anerkennen."
Die EU-Staaten und die sechs Partnerstaaten, alle ehemalige Sowjetrepubliken, betonen in ihrer Gipfelerklärung, dass sich die Partnerschaft nicht gegen Russland richtet, was der Kreml allerdings völlig anders sieht. "Es geht aber auch um unsere Sicherheit", merkte Bundeskanzlerin Angela Merkel an. "Allerdings ist das kein Schönheitswettbewerb zwischen der EU und Russland", sagte der EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk. Kein Land müsse hier wählen. In seiner Pressekonferenz meinte Tusk, der aus Polen stammt, aber auch: "Ich habe die Hälfte meines Lebens in einer kommunistischen Diktatur verbracht. Die andere Hälfte im freien Westen. Wenn es ein Schönheitswettbewerb wäre, dann wüsste ich ohne zu zögern, was ich wählen würde." Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Rande des Gipfels den ukrainischen Präsidenten zu einem Gespräch über den "Minsk-Friedensprozess" mit Russland traf, formuliert das etwas nüchterner: "In allen diesen Ländern ist klar, dass auch die Beziehungen zu Russland eine zentrale Rolle spielen."
"Wir kommen voran"
Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, setzt darauf, dass sich die Partnerstaaten jetzt nicht so sehr mit möglichen Forderungen für die Zukunft, sondern mit den erreichten Abkommen und 20 konkreten Projekten beschäftigen. Sie wurden am Freitag beschlossen und sollen bis zum Jahr 2020 umgesetzt werden. Dazu gehört zum Beispiel eine Ausweitung des Studentenaustausches, eine Reduzierung der Roaming-Kosten und ein EU-Kreditprogramm für Exportunternehmen in lokaler Währung. "Die Östliche Partnerschaft sollte eine Partnerschaft der Völker sein, die die Menschen zusammenbringt", so Juncker. Es sei erfreulich, dass die Staatenlenker bei diesem fünften Ost-Gipfel erstmals frei miteinander diskutiert hätten, ohne nur ihre Reden vorzulesen. Junckers Fazit: Der Weg über Reformen zur guten Regierungsführung sei lang. "Es ist noch nicht alles perfekt, aber wir kommen voran."
Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite kommt aus einem EU-Land, das an Weißrussland und Russland grenzt. Sie forderte die Partnerländer auf, sich stärker anzustrengen, statt wie im Fall der Ukraine nach neuen Finanzinstrumenten zu rufen. "Die EU bietet eine Menge an. Jetzt liegt es an der Ukraine, wie schnell sie das annehmen kann und wie schnell sie selbst Reformen liefert. Wir haben eine ganze Reihe von finanziellen Hilfen aufgelegt, die die Ukraine im Moment gar nicht in vollem Umfang nutzen kann." Die Ukraine müsse, so Grybauskaite, ihren Teil der Bedingungen erfüllen.
Merkel war da, Macron nicht
Bundeskanzlerin Angela Merkel war trotz der laufenden Bemühungen in Berlin, eine Regierungskoalition zu bilden, nach Brüssel gekommen. Ihr liege das Thema Ostpartnerschaft sehr am Herzen, hieß es von Diplomaten. Merkels Auftritt wurde vom EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn als "starkes Signal" gewertet. "Wir kommen unseren Verpflichtungen voll nach, auch als geschäftsführende Bundesregierung", sagte Merkel. Ihr sei es wichtig, europäische Verantwortung mitzutragen.
Durch Abwesenheit glänzte diesmal der französische Präsident Emmanuel Macron. Der traf sich in Paris lieber mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras. Die deutsche Seite hätte gerne gesehen, wenn Merkel und Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko hätten sprechen können. Schließlich sind Frankreich und Deutschland Vermittler im Konflikt mit Russland.
Brexit: Guter Rat aus Weißrussland
Die Ansicht, vornehmlich in der britischen Presse, Bundeskanzlerin Merkel sei durch die schleppende Regierungsbildung zuhause auf EU-Ebene nicht handlungsfähig, wurde von Diplomaten in Brüssel zurückgewiesen. In Sachen "Brexit" ändere sich am Kurs der EU durch die Formschwäche Deutschlands gar nichts. Die EU erwartet am 4.Dezember konkrete Vorschläge der Briten zur Brexit-Rechnung und zur Gestaltung der irisch-britischen Landgrenze. Dann wird wenig später beim EU-Gipfel entschieden, ob und wie es mit den Brexit-Verhandlungen weitergeht. An diesem Fahrplan habe sich, Koalitionsränke in Berlin hin oder her, nichts geändert. Die 27 EU-Staaten stehen "absolut" zusammen, sagte die stellvertretende bulgarische Europaministerin Monika Panayotova in Brüssel.
Ausgerechnet der Außenminister aus Weißrussland, das von vielen EU-Staaten als Diktatur angesehen wird, hatte für die Briten einen guten Rat. Vladimir Makei sagte, die Briten sollten lieber bleiben. "Wir unterstützen diesen Brexit-Kurs nicht, weil wir glauben, dass eine stabile Union in der Welt viel besser da steht." Weißrussland ist eines der sechs Ostpartnerländer und möchte sich der EU im Gegensatz zum Vereinigten Königreich möglichst annähern.