EU will wieder in Kabul präsent sein
21. Januar 2022Die Europäische Union hat mit dem Wiederaufbau einer "Minimalpräsenz" in der afghanischen Hauptstadt Kabul begonnen. Die Vertretung diene dazu, die humanitäre Hilfe zu koordinieren und die Lage in dem Land zu beobachten, erklärte EU-Sprecher Peter Stano. "In keiner Weise" sei dies als "Anerkennung" der Taliban-Regierung zu verstehen. Gegenüber der "De-facto-Führung" des Landes habe man das "klar kommuniziert".
Ein Sprecher des afghanischen Außenministeriums hatte zuvor auf Twitter erklärt, die EU habe wieder "eine Botschaft" in Kabul und damit erstmals seit fünf Monaten wieder eine "permanente Präsenz" in Afghanistan. Aus EU-Kreisen heißt es indes, ein Botschafter werde nicht vor Ort sein.
Vermögenswerte eingefroren
Westliche Regierungen und die EU hatten nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban im August die internationalen Hilfen für Afghanistan gestoppt und im Ausland befindliche afghanische Vermögenswerte in Milliardenhöhe eingefroren. Bisher hat kein Land die Taliban-Regierung offiziell anerkannt. Einige Staaten, darunter China, Russland, die Türkei und der Iran, verfügen aber weiterhin über Botschaften in Kabul.
Deutschland und andere EU-Mitglieder hatten angekündigt, die Taliban "an ihren Taten messen" zu wollen. Die Islamisten selbst geben an, eine modernere Sicht auf das islamische Recht zu vertreten als während ihrer brutalen Herrschaft in Afghanistan zwischen 1996 und 2001. Damals waren Frauen und ethnische Minderheiten massiv unterdrückt worden.
Frauen ohne berufliche Chancen
Trotz der Zusicherungen der Taliban sind Frauen in Afghanistan auch aktuell weitgehend vom Berufsleben ausgeschlossen. Die meisten weiterführenden Schulen für Mädchen sind seit der Machtübernahme der Islamisten geschlossen.
Das seit langem von internationalen Hilfen abhängige Afghanistan befindet sich in einer schweren humanitären Krise. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt, in diesem Jahr würden dort voraussichtlich 4,7 Millionen Menschen an Unterernährung leiden. Angesichts der Notlage hatte der UN-Sicherheitsrat im Dezember einstimmig den Weg für humanitäre Hilfe am Hindukusch freigemacht. Allerdings sollen die Taliban davon nicht profitieren.
Beratungen in Skandinavien
Norwegen will am Sonntag Abgesandte der Taliban zu Gesprächen empfangen. Wie das Außenministerium in Oslo mitteilte, soll bei dem mehrtägigen Treffen auch die Menschenrechtslage erörtert werden. In der Hauptstadt werden die Taliban voraussichtlich mit Vertretern der norwegischen Behörden und anderer Verbündeter sowie mit Vertretern der afghanischen Zivilbevölkerung zusammenkommen.
"Wir sind äußerst besorgt über die ernste humanitäre Situation in Afghanistan, wo Millionen von Menschen vor einer humanitären Katastrophe großen Ausmaßes stehen", erklärte die norwegische Außenministerin Anniken Huitfeldt. Um den Menschen helfen zu können, sei ein Dialog zwischen Vertretern der internationalen Gemeinschaft, Afghanen und den Taliban "von entscheidender Bedeutung".
"Keine Legitimation der Taliban"
Norwegen werde seine Erwartungen "klar" formulieren, insbesondere mit Blick auf die Bildung von Mädchen und Frauen und die Menschenrechte, betonte Huitfeldt. Das Treffen stelle "keine Legitimation oder Anerkennung der Taliban" dar. "Aber wir müssen mit den Behörden sprechen, die de facto das Land regieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass die politische Situation in eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe mündet."
jj/sti (dpa, afp, rtr)