EU: Noch keine Lösung im Getreidestreit
20. April 2023Die EU-Kommission verhandelt weiter mit fünf Mitgliedsstaaten über Importverbote für Getreide und landwirtschaftliche Produkte aus der kriegsgebeutelten Ukraine. Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Slowakei haben genau damit gedroht oder es bereits umgesetzt, weil ihre Landwirte angeblich unter billiger Konkurrenz aus der Ukraine litten. Nun hat der EU-Kommissar für Wirtschaft, Valdis Dombrovskis, den fünf Ländern weitere Entschädigungszahlungen von 100 Millionen Euro angeboten. Bereits im März hatte die EU Polen, Ungarn und Bulgarien 56 Millionen Euro bewilligt.
Geld nur bei Rücknahme der Importverbote
Das Geld werde aber nur fließen, wenn die fünf Staaten zuvor ihre Importverbote wieder aufheben, erklärte Dombrovskis. Denn die fünf Staaten verstießen offensichtlich gegen geltendes EU-Recht, wenn sie Importe aus der Ukraine bilateral blockierten, erläuterte der Sprecher der EU-Kommission Eric Mamer.
Mit der Ukraine hatte die EU schon vor dem russischen Angriffskrieg ein Freihandelsabkommen geschlossen, das das Auslaufen der meisten Zölle auf landwirtschaftliche Einfuhren bis Ende 2022 vorsah. Wegen der Belastungen durch den Krieg gewährt die EU die Zollfreiheit aber bereits seit Juni letzten Jahres. Dieses Vorgehen hatten alle Mitgliedsstaaten, inklusive der fünf östlichen Mitglieder, ausdrücklich gebilligt, um der Ukraine Exporte auch in Drittländer zu erleichtern, da Russlands Angriffe Ausfuhren über die Häfen am Schwarzen Meer verhinderten.
Transit von Getreide aus der Ukraine
Polen und die Ukraine hatten sich am Dienstag darauf geeinigt, dass Getreide aus der Ukraine künftig nicht mehr in Polen verkauft werden kann, sondern nur noch der kontrollierte Transit in Drittstaaten oder zu polnischen Häfen für den Weitertransport zulässig ist. Auch die übrigen vier Staaten, Ungarn, Slowakei, Rumänen und Bulgarien wollen eine solche Transitregelung für Getreide durchsetzen, das auf den Weltmarkt geliefert werden soll.
Allerdings dürfen Handelsbeschränkungen und Importverbote nur von der Europäischen Union insgesamt für den gemeinsamen Binnenmarkt verhängt werden, nicht aber von einzelnen Mitgliedsstaaten. Dennoch hat die EU-Kommission angeboten, diese Transitregelung zu überwachen und zu organisieren. Die Voraussetzung dafür ist, dass die fünf betroffenen Staaten ihre - nach Auffassung der Kommission illegalen - bilateralen Importverbote zuvor aufheben.
"Russland profitiert"
Ein Verfahren wegen Vertragsverletzung wolle die EU-Kommission vorerst nicht auslösen: "Wenn wir die Wahl haben, entweder vor Gericht zu ziehen oder eine europäische Lösung zu finden, dann werden wir natürlich versuchen, eine Lösung zu finden und diesen Weg zu gehen", sagte Kommissionssprecher Mamer. Dafür sei die EU bereit, den betroffenen Bauern in den östlichen Mitgliedsstaaten zu helfen.
Wie schon am Montag stellte Mamer aber auch klar, dass es sich um eine außergewöhnliche Lage handele, weil sich die Ukraine im Krieg befinde und auf die Einnahmen aus den landwirtschaftlichen Exporten dringend angewiesen sei: "Man muss einmal daran erinnern, wer von dem ganzen Vorgang profitiert: Russland. Es ist extrem wichtig, die Ukraine weiter zu unterstützen", sagte der Kommissionssprecher in Brüssel. "Wir müssen hier Probleme lösen, die vollständig von Russland durch die Blockade im Schwarzen Meer geschaffen worden sind."
Ungarn und Polen verschärfen den Bann
Trotz der Verhandlungen mit der EU-Kommission hat die ungarische Regierung ihren Importstopp auf Honig und einige Fleischprodukte aus der Ukraine ausgeweitet. Der Stabschef von Premierminister Viktor Orban, Staatsminister Gergely Gulyas, erklärte in Budapest, die Zollfreiheit für ukrainische Waren habe die ungarische Wirtschaft ruiniert. Man wolle zwar der Ukraine helfen, aber Solidarität dürfe nicht die ungarischen Bauern schädigen. Getreide aus der Ukraine dürfe weiter durch Ungarn transportiert werden, wenn es für Drittstaaten bestimmt sei.
Unter den EU-Regierungen nimmt die ungarische die freundlichste Haltung gegenüber Russland ein. Sanktionen der EU gegen Russland werden zwar mitgetragen, aber heftig kritisiert. Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt Ungarn ab. Der Staat bezieht weiterhin verbilligte Energie aus Russland. Russische Firmen bauen in Ungarn ein Atomkraftwerk. Der polnische Landwirtschaftsminister Robert Telus will Milch, Geflügel und Honig auf die Liste von Waren setzen, die vorübergehend nicht mehr aus der Ukraine eingeführt werden dürfen.
Alle wollten Zollfreiheit
Die Verhandlungen mit der EU-Kommission sollen Anfang nächster Woche weitergehen. Die Kommission hat angekündigt, die Zollfreiheit für Waren aus der Ukraine um ein weiteres Jahr bis Ende Mai 2024 verlängern zu wollen. Die sogenannten "Solidaritäts-Spuren" für den Warenverkehr an den EU-Grenzen zur Ukraine sollten ausgebaut werden. Alle Mitgliedsstaaten der EU hatten im vergangenen Jahr dieser Solidaritätsaktion zugestimmt, um zollfreien Warenverkehr ohne Kontrollen an den Grenzen zu ermöglichen. Am Dienstag beraten in Luxemburg die Agrarminister der EU. Dort könnten weitere Staaten Bedenken gegen bestimmte Importe aus der Ukraine vorbringen, vermuten EU-Beamte in Brüssel.
Die Slowakei hatte Importe aus der Ukraine verboten, weil der Weizen mit zu vielen Pestiziden belastet sei. Der Landwirtschaftsminister des benachbarten Tschechien widersprach. Zdenek Nekula sagte in Prag, im ukrainischen Getreide und in Futtermitteln habe man bei eigenen Kontrollen keine unzulässigen Schadstoffe festgestellt. Er sehe keine Grunde für "unnötige Panik", so Nekula.
EU-Diplomaten befürchten in Brüssel, der Streit um ukrainische Importe könnte sich auf die laufenden Diskussionen um neue EU-Sanktionen gegen Russland auswirken. Ungarn und andere Staaten könnten die Verhandlungen bremsen bis eine Lösung in ihrem Sinne gefunden sei. Es wäre nicht das erste Mal, dass Ungarn diesen Hebel einsetzt. EU-Sanktionen können nur einstimmig verhängt werden.