Druck auf Russland ja, Sanktionen nein
17. Oktober 2016"Wir haben nicht viele wirksame Druckmittel gegenüber Russland", beschreibt ein ungenannt bleibend wollender EU-Diplomat die Lage im Syrien-Konflikt. Diese Aussage schwebt wie ein Motto über der Tagung der EU-Außenminister in Luxemburg. Ein Teil der Minister spricht sich für Sanktionen gegen Russland aus. Ein anderer Teil ist dagegen. Wo die Mehrheit liegt, ist schwer auszumachen. Auf jeden Fall reicht es nicht für einen Beschluss.
Sanktionen der EU können nur einstimmig verhängt und auch wieder aufgehoben werden. "Da sind wir lange noch nicht", so der EU-Diplomat. Die Debatte nimmt an Fahrt auf, seit am Wochenende die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angeblich erklärte, sie wolle beim kommenden EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel über neue Sanktionen gegen Russland wegen der Verfehlungen in Syrien sprechen.
Den Zeitungsbericht über Merkels Plan wollte ihr Sprecher am Montag aber nicht bestätigen. "Diplomatie habe Vorrang", hieß es aus Berlin. Merkels Außenminister Frank-Walter Steinmeier gibt sich zurückhaltend. Schließlich ist seine sozialdemokratische Partei als Juniorpartner in der Großen Koalition in Berlin gegen neue Sanktionen. "Ich sehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, wie möglicherweise langfristig wirkende Sanktionen zur Verbesserung der Versorgung der Zivilbevölkerung beitragen sollen. Ich bin nicht der Einzige, der in diesem Falle bei Sanktionen eher skeptisch ist", sagte Steinmeier in Luxemburg. Ihm gehe es vor allem, um einen Zugang zu den Eingeschlossenen in Aleppo und sonst wo in Syrien.
Druck ja, Sanktionen nein
Der nach gescheiterten Waffenstillstands-Verhandlungen zutiefst frustrierte amerikanische Außenminister John Kerry hat sich am Wochenende bei einem Zwischenstopp in London für "einen Weg hin zu möglichen Sanktionen" gegen Russland ausgesprochen. Sein britischer Amtskollege Boris Johnson pflichtet ihm bei. "Ich appelliere an den Großmut des russischen Volkes, damit es einen anderen Weg einschlägt und diese Sache in Aleppo beendet", sagte Johnson in Luxemburg beim EU-Außenministertreffen und meinte die Bombardierung von Zivilisten in der syrischen Stadt. Neue Sanktionen erwähnte er nicht ausdrücklich. Es gäbe verschiedene "Optionen".
Johnsons Problem ist allerdings, dass ihn im Kreise der Außenminister so recht keiner Ernst nimmt. Zum einen verlässt Großbritannien die EU spätestens in zweieinhalb Jahren, zum anderen gilt Johnson als wenig glaubwürdig, nachdem bekannt wurde, dass er im Frühjahr innerhalb weniger Tage seine Haltung von leidenschaftlich gegen den Brexit um 180 Grad auf leidenschaftlich für den Austritt Großbritanniens aus der EU schwenkte.
Auch die französische Regierung hatte immer mal wieder Sanktionen ins Gespräch gebracht. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault wollte sich dazu in Luxemburg nicht konkret äußern. Nur so viel: "Wir prüfen alle Optionen, die dazu führen, Druck auf Moskau auszuüben." Frankreich möchte die Verantwortlichen für die Bombardements in Aleppo so schnell wie möglich vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bringen.
"Wir sind uns nicht einig"
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn ist so etwas wie der Sprecher der Sanktions-Skeptiker in der EU. "Ich glaube nicht, dass es jetzt sinnvoll ist, wieder stundenlang darüber zu diskutieren, ob und wann wir Sanktionen gegen Russland beschließen", mahnte Asselborn. Die EU werde dazu keinen Konsens finden. Außerdem seien Sanktionen zum jetzigen Zeitpunkt eher kontraproduktiv. Es müsse einen Waffenstillstand in der "Hölle von Aleppo" geben. "Die EU hat aber keinen Knopf, auf den wir drücken können, damit das aufhört."
Der Nahost-Experte Volker Perthes von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" sieht es ähnlich wie Asselborn. Sanktionen würden die russische Haltung und die Politik der Assad-Regierung nicht ändern. Sie brächten den syrischen Zivilisten in Aleppo wenig, erklärte Perthes im Deutschlandfunk. Neben Luxemburg sind auch Griechenland, Zypern und Ungarn gegen neue Sanktionen.
Wenn überhaupt, welche Sanktionen kämen denn in Frage? Dazu gibt es im Auswärtigen Dienst der EU Überlegungen, die aber nicht offiziell bestätigt werden. Die Liste der Personen, die nicht in die EU reisen dürfen und deren Vermögen eingefroren wird, ließe sich ausweiten. Wirtschaftszweige wie die IT- und Steuerungstechnik oder Flugzeugtechnik könnten mit Exportverboten belegt werden. Ein Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 könnte angedroht werden. Einen gewissen Zusammenhang zum Syrien-Konflikt sollten die Strafmaßnahmen allerdings schon haben, denn sie müssen unter Umständen einer Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof standhalten. Gegen Sanktionen der EU können Betroffene nämlich in Luxemburg klagen.
Die EU hat gegen russische Staatsbürger, Firmen und einzelne Wirtschaftszweige bereits Sanktionen wegen der Annexion der Krim und der russischen Verwicklung in den Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine verhängt. Russland hat mit Gegen-Sanktionen reagiert. Parallel dazu haben Deutschland und Frankreich mit der russischen und der ukrainischen Führung in Minsk Friedenspläne ausgearbeitet, die aber bislang nicht umgesetzt wurden. "Neue Sanktionen wegen Syrien würden sich nicht positiv auf den Minsk-Prozess auswirken", meint ein EU-Diplomat. "Da wird der Kreml noch gebraucht." Eine Lockerung der Sanktionen war erwogen worden, falls die Minsk-Vereinbarung umgesetzt würde. Danach sieht es im Moment nicht aus. Die nächste Verlängerung dieser Sanktionen steht spätestens im Januar an.