EU will Energieimporte aus Russland beenden
18. Mai 2022Es ist der Krieg in der Ukraine, der die EU-Kommission gezwungen hat, innerhalb von Wochen einen radikalen Umbau der Energieversorgung in Europa auszuarbeiten. "Putins Krieg hat den globalen Energiemarkt schwer gestört" und gezeigt, wie abhängig wir von fossilen Energieimporten sind und wie verletzbar uns das macht, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Bis 2027 solle die Europäische Union deshalb alle Energieimporte aus Russland weitgehend beenden. Bis zum Ende des Jahrzehnts will die EU dafür bis zu 300 Milliarden Euro investieren.
Ein neuer Energiemix - schnell
Der Plan setzt sich zusammen aus den vorhandenen Klimaschutzmaßnahmen des Programms Fit for 55 und neuen Vorschlägen, die spezifisch auf die Ablösung von fossiler Energie aus Russland abzielen. Er beruht auf drei Säulen: Einsparungen, Importe aus anderen Ländern und die schnellere Einführung erneuerbarer Energien.
So soll sich der Energiemix schneller ändern als geplant und der Anteil der Erneuerbaren bis Ende des Jahrzehnts auf 45 Prozent sowie die Energieeffizienz um 13 Prozent steigen. "Es ist dringender denn je, dass die EU Herrin ihres Schicksals wird, ihre Resilienz und ihre Souveränität stärkt und ihre globale Führung bei der Bewältigung der Klimakrise fortsetzt", sagte Klimakommissar Frans Timmermans.
Dabei könnte es allerdings zu einer vorübergehenden Erhöhung der Emissionen kommen, wenn zunächst mehr Kohle zur Elektrizitätserzeugung eingesetzt wird, um schneller von russischem Gas loszukommen. Bis Ende des Jahres könne diese Abhängigkeit um zwei Drittel gesenkt und in rund drei Jahren kein Gas aus Russland mehr eingeführt werden, so EU-Experten. Frans Timmermans glaubt jedoch nicht, dass durch diesen Plan Klimaschäden entstehen, weil durch die gleichzeitige Beschleunigung beim Ausbau erneuerbarer Energien die Balance bei den Emissionen wiederhergestellt werde.
Kurzfristig soll die Abkehr von russischer Energie durch eine europäische Einkaufsplattform erleichtert werden, mit der die Mitgliedsländer gemeinsam Flüssiggas etwa aus den USA, Kanada oder anderen Ländern mit langfristigen Lieferverträgen einführen können. Das könne sowohl zur Senkung der Preise als auch zum Ausgleich von Schwankungen am Energiemarkt dienen. "Wir müssen ehrlich sein", so Timmermans. Russisches Gas könne nicht sofort durch Erneuerbare Energien ersetzt werden, man müsse also weltweit dafür zunächst Ersatz finden.
Zu diesem Teil des Plans gehört auch, fehlende Pipeline-Verbindungen zwischen den EU-Ländern, wie etwa zwischen Spanien und Frankreich, schnell herzustellen und den Ausbau von LNG-Häfen und Plattformen, etwa in Polen und Griechenland, voranzutreiben. Dafür sollen kurzfristig rund zehn Milliarden Euro investiert und weitere zwei Milliarden Euro für den Ersatz von russischem Öl in den osteuropäischen Ländern eingesetzt werden, die quasi vollständig davon abhängen. Das bezieht sich etwa auf Tschechien, die Slowakei, besonders aber auf Ungarn, das nach wie vor das geplante EU-Ölembargo blockiert, weil es die Hilfen aus Brüssel bisher für ungenügend erklärt. Die letzten Forderungen aus Budapest beliefen sich auf zweistellige Milliardensummen.
Turbo für den „Grünen Deal"
So schnell wie möglich sollen jetzt der Ausbau von Wind- und Solarenergie und die Umstellung auf Wasserstoff vorangetrieben werden. So schlägt die EU-Kommission etwa eine Solardachpflicht für alle Neubauten vor. Den wichtigsten Hebel sieht Brüssel allerdings hier bei der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Sie dauern derzeit für Windanlagen bis zu neun Jahren, so EU-Fachleute, so viel Zeit habe man jetzt nicht mehr. Die Verfahren müssten radikal beschleunigt werden, etwa indem man sie als "Anlagen im öffentlichen Interesse" einstuft.
Das führt zu Kritik von Umweltverbänden. Der BUND etwa hält das REPower- Projekt für einen richtigen Schritt, es dürften aber beim Ausbau der Erneuerbaren nicht "Umwelt- und Naturschutzrechte de facto aufgehoben und die Bürgermitwirkung geschwächt werden". Extrem kritisch äußerte sich auch Greenpeace, weil die Kommission kurzfristig auf den Ersatz schmutziger fossiler Energien aus Russland durch solche aus anderen Lieferländern setze.
Der Umbau der europäischen Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien soll bis 2027 mit 210 Milliarden Euro finanziert werden. Das Geld soll vor allem aus ungenutzten Krediten des EU-Wiederaufbaufonds, aus dem Emissionshandel und aus Umschichtungen zum Beispiel aus den EU-Kohäsionsfonds kommen.
Die Pläne wurden im Europaparlament überwiegend freundlich aufgenommen. "Mit dieser Initiative rückt der Ausbau der Erneuerbaren als einziger Weg raus aus der russischen Abhängigkeit ins Zentrum der europäischen Ambitionen. Die Pläne sind ein wichtiger Schritt, um den aktuellen Entwicklungen im Energiebereich und dem russischen Angriffskrieg zu begegnen", erklärt Jens Geier für die Sozialdemokraten. Rasmus Andresen für die Grünen begrüßt die Pläne, stellt allerdings die Finanzierungsfrage: "Wir brauchen einen EU-Zukunftsfonds, der die Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen sicherstellt." Die Mitgliedsländer dürften die Ziele und deren Finanzierung nicht torpedieren. Sie müssen dem Plan der Kommission ebenso wie das EP noch zustimmen.
Neue EU Energiepolitik
Das REPower Paket werde nicht nur die europäische Wirtschaft und den Energiekonsum grundlegend verändern, es werde auch die Beziehungen mit den Nachbarn und die globalen politischen Prioritäten der EU neu definieren, sagt Susi Dennison vom Thinktank ECFR (European Council on Foreign Relations). Einerseits werde die Reduzierung von fossiler Energie große Auswirkungen auf den globalen Markt haben, andererseits werde ein grüneres Europa abhängiger von anderen Produkten und Materialien wie etwa seltenen Erden aus China für die Batterieproduktion. Dafür brauche man eine robuste außenpolitische Strategie und ein neues Konzept von Energiesicherheit.
In dem Zusammenhang fordert die EU-Kommission die Förderung neuer Technologien und den Bau etwa von Solarzellen in Europa, um sich nicht in erneute Exportabhängigkeiten zu begeben.
Zu dem Paket gehören auch Vorschläge für eine vorübergehende Deckelung von Energiepreisen für die Verbraucher in der EU, die Einführung einer Windfall-Tax für Energieunternehmen und andere Maßnahmen, um die Preisentwicklung sozial aufzufangen. Und Experten der EU-Kommission räumten auch ein, dass man trotz aller geplanten Gegenmaßnahmen "vor einem schwierigen Winter" stehen könne.
Frischer Wind von der Nordsee
Um das REPower-Projekt in der Praxis zu zeigen, fand am Mittwoch im dänischen Esbjerg gleichzeitig ein Gipfeltreffen der Regierungschefs aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Dänemark mit Industrievertretern statt, um das Potential der Nordsee als grüner Energiequelle zu betonen. Nach Jahren der Diskussion werde man angesichts des Kriegs in der Ukraine den Ausbau der Windenergie im Norden jetzt wirklich voranbringen, bekräftigte der niederländische Premier Mark Rutte.
Auch Bundekanzler Olaf Scholz betonte, es gehe nicht mehr um Deklarationen, sondern um eine "Handlungsanleitung für das, was wir jetzt tun müssen und wir werden damit anfangen". Geplant ist, bis 2050 die Kapazitäten aus Offshore-Windenergie zu verzehnfachen und auf 150 Gigawatt zu steigern. Das bedeute den Bau von 4000-5000 neuen Turbinen noch in diesem Jahrzehnt. Damit könnten mehr als 200 Millionen europäische Haushalte versorgt werden und die Nordsee zur Energiezentrale für Europa werden.
"Wir haben das Meer, den Wind, die Unternehmen, die privaten Investitionen und den politischen Willen", fügte die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen hinzu, jetzt gehe es darum, so schnell wie möglich zu starten, denn durch den Krieg in der Ukraine habe Europa keine Zeit mehr zu verlieren.