EU verklagt Deutschland wegen Gülle
7. November 2016Die EU-Kommission macht ihre Drohung von April diesen Jahres wahr: Damit muss Deutschland sich wegen mutmaßlicher Versäumnisse beim Grundwasserschutz vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten. Eine Geldstrafe droht.
Laut einer EU-Richtlinie hätten der Bund und die Bundesländer bis spätestens 2012 die Vorschriften zum Schutz der Gewässer vor zu viel Nitrat aus der Landwirtschaft verschärfen müssen, heißt es in der Klageschrift.
In Deutschland ist das Grundwasser an vielen Orten zu stark mit Nitrat belastet. Laut Bundesumweltministerium betrifft das etwa ein Drittel der Fläche Deutschlands. Dort wird der festgelegte Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter überschritten.
Für Mensch und Umwelt ist Nitrat im Wasser ein Problem: Es kann vom Körper in krebserregendes Nitrit umgewandelt werden. Zudem bilden sich durch Nitrat Algen vor allem in Seen und an den Küsten. Viele Gewässerlebewesen sterben dadurch ab.
Und die Belastung im Grundwasser steigt gegenüber den Vorjahren weiter. Experten befürchten jetzt, dass die Grenzwertüberschreitungen auch in den nächsten Jahren nicht zurückgehen. Nitrate aus der Gülle brauchen auf dem Weg vom Ackerboden ins Grundwasser oft zehn Jahre und mehr.
Problem seit langem bekannt
Neben Malta hat Deutschland in der EU die höchsten Nitratkonzentrationen im Grundwasser. Hauptverursacher für die hohe Belastung ist vor allem die Massentierhaltung. Die Exkremente von über 27 Millionen Schweinen und 13 Millionen Rindern aus deutschen Mastbetrieben werden auf den deutschen Ackerflächen verteilt.
Hinzu kommt dann auch noch die Gülle von Tieren aus den Niederlanden und aus Dänemark, die in Deutschland ebenso verrieselt wird. Doch nur ein Teil der Nutzpflanzen können den tierischen Dünger überhaupt aufnehmen. "Es gibt zu viel Vieh und zu wenig Böden", erklärt Landwirtschaftsexpertin Reinhild Benning von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Der überschüssige Dünger gerät in die Oberflächengewässer und in das Grundwasser.
Die Gefahren sind seit langem bekannt. Die kommunalen Wasserversorger warnen, dass bald nicht mehr genügend unbelastetes Grundwasser für die Trinkwasserversorgung zur Verfügung steht und fordern Maßnahmen von der Politik. "Wir und künftige Generationen brauchen wirksame Regelungen, um das Trinkwasser zu schützen", sagt Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU).
Durch die Verunreinigung des Grundwassers wird die Versorgung mit Trinkwasser technisch immer aufwendiger und teurer. Nach Berechnungen des Bundesumweltamtes könnten dadurch die Wasserkosten um bis zu 50 Prozent steigen.
EU verklagt Deutschland wegen Untätigkeit
Um die Verunreinigung von Grund- und Oberflächenwasser durch Nitrat aus der Landwirtschaft zu verhindern und die Wasserqualität in Europa zu verbessern, vereinbarten die EU-Staaten die sogenannte Nitrat-Richtlinie. Sie verpflichtet alle EU-Staaten zu entsprechenden Schutzmaßnahmen.
Weil Deutschland es nach Auffassung der Europäischen Kommission jedoch "versäumt hat strengere Maßnahmen gegen die Gewässerverunreinigung durch Nitrat zu ergreifen", reichte die EU-Kommission Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof ein. Deutschland drohen nun Strafzahlungen von "mehreren Hundert Millionen Euro", warnt der Agrarexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Priesmeier.
Experten aus Wissenschaft und Politik fordern schon seit Jahren klare Vorgaben, Kontrollen und auch Bußgelder bei Verstößen in der Landwirtschaft, damit die Überdüngung der Felder und die damit verbundene Gewässerbelastung in Deutschland ein Ende hat.
Als wirksames Instrument gilt die sogenannte Hoftorbilanz. Landwirte sollen in dieser Bilanz den Umgang mit Gülle dokumentieren und so die Überdüngung auf den Ackerflächen stoppen. Wer dann schummelt - so die Hoffnung - wird eher entdeckt und soll auch mit Strafzahlungen rechnen. Als Vorbild für eine sparsamere Düngung und verbesserten Wasserschutz gelten inzwischen Dänemark, Frankreich und die Niederlande.
Massentierhaltung oder Trinkwasserqualität?
Bei den Maßnahmen zum Schutz der Wasserqualität geht es zugleich auch um die Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik. Während das von Christian Schmidt (CSU) geführte Landwirtschaftsministerium sich eher schützend vor die Agrarindustrie stellt und mit der geplanten Düngeverordnung einen "angemessenen Ausgleich zwischen Umweltinteressen und praktikablen Lösungen für die Landwirtschaft" anstrebt, wollen vor allem Umweltexperten grundsätzliche Korrekturen.
Eine Neuausrichtung der Agrarpolitik fordert Bundesumweltministerin Hendricks (SPD) und will die ökologische und naturnahe Bewirtschaftung deutlich stärken. Zustimmung erhält sie hier auch von den Grünen: "Es gibt zu viele Tiere, deren Verkauf zu wenig einbringt. Diesen Trend müssen wir umkehren, damit weniger Gülle auf die Felder kommt", sagt die Umweltpolitikerin Bärbel Höhn. Der Boden dürfe nur so viel Dünger bekommen, "wie er auch vertragen kann, ohne dabei das ökologische Gleichgewicht durcheinander zu bringen."