EU-Türkei-Abkommen: Der Euro hilft
17. März 2017Inmitten ständiger Beschimpfungen zwischen der Türkei und einigen europäischen Staaten gerät leicht in Vergessenheit, dass seit der Unterzeichnung des EU-Türkei-Abkommens vor einem Jahr die irreguläre Migration nach Griechenland dramatisch zurückgegangen ist, bis heute. Seit Beginn dieses Jahres sind nach Zahlen der Internationalen Organisation für Migration nur etwa 2.800 Menschen von der Türkei aus nach Griechenland übergesetzt, im Vergleich zu rund 143.000 im Vorjahreszeitraum.
Trotz der immer aggressiveren Rhetorik funktioniert das Drei-Milliarden-Euro-Abkommen auf einer technischen und finanziellen Ebene. Die Hälfte der zugesagten Mittel wurde inzwischen vergeben, so Jane Lewis vom Türkischen Büro des Europäischen Amts für Humanitäre Hilfe.
Das Abkommen hatte zweifellos Schwächen. Als Gegenleistung für verbesserten Grenzschutz durch die türkische Seite hatte die EU neben Finanzhilfen für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei auch eine Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger und die Wiederbelebung der seit langem auf Eis liegenden EU-Beitrittsverhandlungen zugesagt. Die beiden letzten Punkte wurden bisher wegen Meinungsverschiedenheiten nicht erfüllt.
Gleichzeitig, so Lewis im Gespräch mit der Deutschen Welle, sind aber beispiellose humanitäre Hilfsprogramme angelaufen, mit denen die EU Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung für die rund drei Millionen in der Türkei lebenden Flüchtlinge verbessert. Vor dem Hintergrund, dass viele Syrer und Iraker jahrelang in der Türkei bleiben könnten, ist es das Ziel der EU-Finanzierung, die langfristige Integration der Flüchtlinge in die türkische Gesellschaft zu fördern, sagt Lewis. Inzwischen sind 777 Millionen der insgesamt drei Milliarden Euro ausgezahlt. Der größte Teil dieses Geldes soll die Hindernisse beseitigen helfen, die der Integration dieser Menschen noch im Wege stehen; es geht um Bildung und Arbeitsmarktzugang.
Geldüberweisungen und Bildungsanreize
Das umfangreichste Programm, das die EU mitfinanziert, besteht in einer Geldüberweisung an eine Million Flüchtlinge. Das Welternährungsprogramm (WFP) arbeitet bei der Identifizierung und Registrierung besonders schutzbedürftiger Flüchtlingsfamilien mit den türkischen Ministerien zusammen. Das sind vor allem Haushalte mit alleinerziehenden Müttern, alten Menschen oder Behinderten. Diese Familien bekommen Bankkarten, mit denen sie in Geschäften einkaufen und an Bankautomaten Bargeld ziehen können.
Eine Karte pro Familie wird ausgegeben und ein monatliches Guthaben aufgeladen. Der Betrag hängt von der Größe des Haushalts ab. Jedes Familienmitglied bekommt pro Monat 100 türkische Lira, das sind rund 25 Euro, eine vierköpfige Familie hat also 100 Euro zur Verfügung. Kritikern dieser bedingungslosen Geldauszahlung hält Lewis entgegen, andere Unterstützungsmaßnahmen wie Bildungsangebote oder berufliche Ausbildungsprogramme funktionierten nicht, solange die Grundbedürfnisse der Menschen nicht befriedigt seien. Bis heute kommen 260.000 Menschen in den Genuss der Auszahlungen.
Bis 2018, hofft Jonathan Campbell, der stellvertretende Länderdirektor des WFP in der Türkei, soll das Geld an die anvisierte Zahl von einer Million Empfängern fließen. Campbell sagt, dass sich die Antwort auf die Flüchtlingskrise inzwischen von einer Nothilfe zu nachhaltigen Projekten hin verschiebt. "Bis 2016 gab es sehr wenig Unterstützung für Menschen außerhalb der Flüchtlingslager", sagt Campbell. "Wir versuchen, ihre Situation zu stabilisieren und nach Möglichkeit zu verbessern." Von Mai an will das Kinderhilfswerk UNICEF auch ein Bildungsprogramm im Umfang von 34 Millionen Euro auflegen. Geld wird dann unter der Bedingung an Familien ausgezahlt, dass ihre Kinder türkische Schulen besuchen. 230.000 Flüchtlingskinder sollen davon profitieren.
Investition in die Zukunft
Wegen Geldmangels gehen schätzungsweise 370.000 Flüchtlingskinder in der Türkei nicht zur Schule. Ein Teil von ihnen arbeitet stattdessen in schlecht bezahlten Jobs. An sie richtet sich die Bildungsinitiative.
Hilfsgüter werden ebenso verteilt, auch wenn das nicht immer einfach ist. Die türkischen Behörden haben kürzlich der Hilfsorganisation Mercy Corps, die im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens fünf Millionen Euro erhält, die weitere Arbeit untersagt. Die Gründe sind unklar, türkische Ministerien haben auf Anfragen nach einer Stellungnahme nicht geantwortet. Aitor Zabalgogeazkoa von der Organisation Ärzte ohne Grenzen sagt, die humanitäre Arbeit in der Türkei werde schwieriger, doch würden Hilfslieferungen vorläufig weitergehen. "Die türkische Gesellschaft hat gezeigt, dass sie mit der Situation fertig wird", so Zabalgogeazkoa im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Die Lage der Flüchtlinge in der Türkei ist nicht so schlecht wie beispielsweise in Griechenland, wo 60.000 Flüchtlinge festsitzen und keinerlei Zukunftsaussichten haben."