EU sucht eigenständige Verteidigungspolitik
7. Juni 2017Donald Trumps erster Besuch beim Brüsseler Hauptquartier der NATO wurde mit Spannung erwartet. Doch das erhoffte Bekenntnis zum Militärbündnis blieb aus. Stattdessen klagte der US-Präsident vor laufenden Kameras über zu geringe Rüstungsausgaben in Europa. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel ließ das nicht lange auf sich sitzen und rief dazu auf, Europa müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Die EU-Kommission stellte in Brüssel nun Ideen für eine gemeinsame, europäische Verteidigungspolitik vor. Ziel ist eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2025. Den ersten Schritt soll ein Fonds für Forschung und Beschaffung machen. Es sind Vorschläge, die auch angesichts des bevorstehenden "Brexit" auf fruchtbaren Boden fallen.
28 Mitgliedsstaaten, 178 Waffensysteme
"Wenn wir uns die Umfragen ansehen, dann ist klar, dass Europas Bürger eine gemeinsame EU-Verteidigungspolitik wollen", sagt EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Auch die nach einem Austritt Großbritanniens verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten wollten mehr Verantwortung übernehmen und enger kooperieren, bekräftigt Europas Spitzendiplomatin.
Potential für eine bessere Kooperation gäbe es reichlich. Die zersplitterte europäische Verteidigungspolitik der vergangenen Jahrzehnte führte zu Wildwuchs bei der Forschung und der Anschaffung neuen Materials. In 28 Mitgliedsstaaten gebe es 178 verschiedene Waffensysteme, rechnet die EU-Kommission vor. Etliche davon seien nicht kompatibel. 80 Prozent aller materiellen Anschaffungen und 90 Prozent der Investitionen in Verteidigungsforschung werden auf nationaler Ebene getätigt.
Für eine besser abgestimmte Verteidigungspolitik hat die EU-Kommission drei verschiedene Szenarien ausgearbeitet: In einer Minimalvariante sollen die Mitgliedsländer mehr Kooperation ohne rechtliche Bindung anstreben. Ein Mittelweg ist die sogenannte "geteilte Sicherheit und Verteidigung", also ein gemeinsamer Grenzschutz und gemeinsame Krisenbewältigung. Der dritte Vorschlag sieht die Schaffung einer "Sicherheits- und Verteidigungsunion" vor, in der die Armeen und Geheimdienste weitestmöglich zusammenarbeiten.
NATO nicht ersetzen
"Die EU-Kommission versucht seit Jahren, die Verteidigung in Europa besser zu koordinieren. Sie stieß aber immer auf den Widerstand der eigenen Mitgliedsstaaten", sagt Verteidigungsexpertin Judy Dempsey im Gespräch mit der DW. Durch den beabsichtigten Austritt Großbritanniens aus der EU verliere der Staatenblock eine seiner wichtigsten Militärmächte.
Und die US-Regierung unter Trump sei weiterhin unberechenbar in Sachen NATO. "Die EU-Mitgliedstaaten werden sich zunehmend bewusst, dass sie mehr in Sachen Verteidigung tun müssen", beobachtet Dempsey.
"Wir wollen die NATO weder ersetzen, noch kopieren oder mit ihr konkurrieren", hält die EU-Außenbeauftragte Mogherini in Brüssel fest. Es gehe darum, den Mehrwert der Europäischen Union besser zu nutzen und dadurch die NATO weiter zu stärken, sagt Mogherini.
Der Europaabgeordnete der Grünen Reinhard Bütikofer begrüßt zwar prinzipiell die Vorschläge der EU-Kommission, allerdings könne es "nicht darum gehen, neben der NATO eine Zweit-NATO unter dem Namen der EU anzustreben". Stattdessen müsse mehr Klarheit über gemeinsame Ziele in der Verteidigungspolitik geschaffen werden.
Verteidigungsfonds "der falsche Weg"
Um Anreize für eine engere Kooperation zu schaffen, will die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten Geld zur Verfügung stellen. Kooperationen in der Forschung und bei der Anschaffung neuer Geräte will die EU bereits ab 2019 mit bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr fördern. Später sollen den EU-Mitgliedsstaaten pro Jahr sogar eine Milliarde Euro für gemeinsame Projekte zur Verfügung gestellt werden.
"Der Verteidigungsfonds geht in die falsche Richtung", kritisiert der EU-Abgeordnete Bütikofer. Statt mehr Geld für Verteidigung auszugeben, sollten durch effizientere Zusammenarbeit Einsparungen erzielt werden. "Es ist der falsche Weg, der Rüstungslobby den Zugriff auf zahlreiche Gelder des EU-Haushalts anzudienen", sagt der EU-Abgeordnete.
Die drei Vorschläge der EU-Kommission sind bislang nur ein erster Schritt. Nun müssen sich die Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Linie einigen. Welcher Vorschlag EU-Recht wird, ist offen. Für Verteidigungsexpertin Judy Dempsey ist der Mittelweg mit einem starken gemeinsamen Schutz der Außengrenzen realistisch.
Für Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer hängt die Umsetzbarkeit der Kommissionsvorschläge von der Art der Debatte ab, die darüber in den nächsten Monaten geführt werde: "Wenn wir die Diskussion darauf beschränken, dass die Ausgaben für Verteidigung erhöht werden müssen, dann wird das scheitern." Rüstungsausgaben auf Kosten der Sozialleistungen zu erhöhen, dafür gebe es in Europas Bevölkerung kein Verständnis.