"Diplomatischer Unsinn"
7. August 2016Österreichs Außenminister Sebastian Kurz kündigte ein Veto gegen das Eröffnen weiterer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei an. "Ich habe Sitz und Stimme im Außenministerrat. Dort geht es darum, ob neue Verhandlungskapitel mit der Türkei (einstimmig) eröffnet werden. Und da bin ich dagegen", sagte der Politiker der Volkspartei (ÖVP) der Wiener Tageszeitung "Kurier". Einmal mehr bekräftigte der Konservative, dass alle Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgebrochen werden sollten. Außerdem erfülle die Türkei derzeit auch keine Kriterien für eine Visaliberalisierung, so der Außenminister.
Möglichkeit eines direkten Austauschs
Der Europaparlamentarier Elmar Brok (CDU) bezeichnete ein sofortiges Aussetzen der Verhandlungen in der "Welt am Sonntag" als "diplomatischen Unsinn". Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament gab aber zu, dass die Gespräche zum gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei nicht zu einem Erfolg führen würden und plädierte dafür, der Türkei langfristig einen Status wie Norwegen zu gewähren.
Das Nicht-EU-Mitglied Norwegen ist über das EWR-Abkommen für den "Europäischen Wirtschaftsraum" eng mit der Union verbunden. Trotz des EWR-Abkommens besitzt Norwegen innerhalb der EU in den entscheidenden Organen kein Stimmrecht.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Rebecca Harms, warnte ihrerseits in der Zeitung davor, die Türkei im Stich zu lassen. "Ich fände es verantwortungslos, wenn wir in dieser akuten Situation die bisherigen Beziehungen zur Türkei komplett aufgeben würden, ohne zu wissen, wohin wir wollen", sagte Harms. Die Gespräche seien eine der wenigen Möglichkeiten, zum Schutz vieler Türken auf Rechtsstaatlichkeit zu drängen. "Europa darf nicht die aufgeklärten, demokratieorientierten Türken, die sich auf die EU verlassen haben, im Stich lassen. Wir sollten auf Forderungen im Affekt verzichten", sagte Harms.
Die EU und die Türkei verhandeln seit 2005 über einen Beitritt. Wegen der repressiven Reaktion der türkischen Regierung auf den Putschversuch hatten in den letzten Wochen viele europäische Politiker den Sinn dieser Verhandlungen in Frage gestellt.
In Deutschland sprach sich der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, für einen sofortigen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen aus. "Eine Regierung, die Journalisten verfolgt, die Justiz gleichschaltet, Oppositionelle in die Gefängnisse wirft und Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, kann man nicht in die EU aufnehmen", sagte der Oppositionspolitiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Kauder: Keine Abstriche bei Visa-Vereinbarung
Mit Blick auf den EU-Türkei-Flüchtlingspakt hat der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, zu größerer Gelassenheit aufgerufen. "Die Türkei hält sich beim Flüchtlingsabkommen an ihre Abmachungen mit der Europäischen Union." Sie versorge nach wie vor die rund drei Millionen Flüchtlinge, die dort Aufnahme gefunden hätten, und sie unterbinde das Schlepperwesen. Ankara selbst habe ein Interesse daran, das Flüchtlingsabkommen nicht aufzukündigen, betonte Kauder. Präsident Recep Tayyip Erdogan wisse, dass die Türkei "in wirtschaftlicher Hinsicht stark von Investitionen aus Europa abhängig ist".
Bei den Bedingungen für eine Visafreiheit für Türken wird die EU Ankara nach Einschätzung Kauders nicht entgegenkommen. "Sie hat es doch selbst in der Hand, ihren Bürgern die Reisen in die EU zu erleichtern", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der "Funke-Mediengruppe". Die Türkei müsse nur noch die letzten fünf der 72 Kriterien erfüllen, die Voraussetzungen für die Einreiseerleichterungen seien. "Daran kann die EU allerdings keine Abstriche machen." Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte Anfang August gesagt, sein Land werde das EU-Flüchtlingsabkommen beenden, wenn die EU der Türkei nicht bis Mitte Oktober die Visafreiheit zubillige.
qu/sti (dpa,afp)