EU soll gegen Sozialtourismus vorgehen
11. März 2013Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte vor allem Klagen mit nach Brüssel gebracht: Klagen über die angebliche Unreife des rumänischen und bulgarischen Staatswesens für einen Schengen-Beitritt, und Klagen über sogenannte Armutseinwanderung aus denselben zwei EU-Ländern. Beide Themen wollte er in Brüssel ausdrücklich getrennt wissen. In der öffentlichen Wahrnehmung haben sie sich aber vermischt. So fühlen sich Rumänien und Bulgarien vor allem von Deutschland brüskiert. Beide wollen dem grenzkontrollfreien Schengen-Raum beitreten, werden aber seit Jahren hingehalten. Auch nach der heutigen (07.03.2013) Sitzung sind sie ihrem Ziel nicht nähergekommen.
Schengen-Beitritt auf unbestimmte Zeit verschoben
Der bulgarischer Innnenminister Tsvetan Tsvetanov vertrat erneut die Position seines Landes, die auch die Rumäniens ist: "Bulgarien erfüllt alle Kriterien für einen Schengen-Beitritt." Was die rein technische Sicherung der Schengen-Außengrenzen betrifft, wird das kaum bestritten. Einige Staaten bemängeln aber, die rein technisch-organisatorische Seite nütze nicht viel, solange die beiden Staaten Korruption und Mängel im Justizsystem duldeten. Friedrich sieht hier weiterhin "Schwachstellen, die uns nicht in die Lage versetzen zu sagen: 'Jetzt weg mit den Grenzkontrollen!'" Die Zeit sei noch nicht reif. Das sei keine Polemik, sondern "eine sachliche Feststellung, die übrigens viele meiner Kollegen teilen." Damit scheint er recht zu haben, auch wenn sich niemand so weit aus dem Fenster lehnt wie Friedrich. Die schweizerische Justiz- und Polizeiministerin Simonetta Sommaruga, deren Land zwar kein EU-, aber Schengen-Mitglied ist, gab sich versöhnlicher, stellte sich allerdings in der Sache hinter Friedrich: "Wir haben Verständnis für diese kritischen Stimmen, aber auch für diese beiden Staaten, die jetzt beträchtlich frustiert sind." Entscheidend sei aber eine Lösung, durch die die Schengen-Außengrenzen geschützt würden, denn "das brauchen wir, damit das ganze System glaubwürdig bleibt."
Friedrich fordert Wiedereinreisesperre
Es war auch vor allem der deutsche Minister, der das Thema der sogenannten Armutseinwanderung auf die Brüsseler Bühne getragen hat. Zahlreiche deutsche Städte klagen über die Zuwanderung Tausender Menschen aus Rumänien und Bulgarien, viele von ihnen sind Roma. Sie bildeten Ghettos, und es gehe ihnen oft nur um staatliche Sozialleistungen. Friedrich fragte rhetorisch: "Bedeutet Freizügigkeit in Europa, dass Menschen überall aus Europa, die glauben, dass sie von Sozialhilfe in Deutschland besser leben können als in ihren eigenen Ländern, nach Deutschland kommen?" Das dürfe nicht passieren. Friedrich befürchtet eine weitere Zunahme, wenn 2014 die vollständige Freizügigkeit besteht. Jeder EU-Bürger dürfe in jedem anderen EU-Land Arbeit aufnehmen. Doch es wäre ein Missbrauch dieser Freizügigkeit, "wenn jemand in ein anderes Land geht, nur um dort Sozialhilfe zu bekommen." Rechtlich ist das allerdings auch heute nicht möglich. Man muss für einen längeren Aufenthalt in einem anderen EU-Land Arbeit oder ein regelmäßiges Einkommen nachweisen. Friedrich schlägt nun eine "Wiedereinreisesperre" für ein, zwei Jahre für Menschen vor, die nur wegen der Sozialleistungen ins Land kommen. Die gibt es bisher nur, wenn sich jemand schwerer Verbrechen schuldig macht. Friedrich will dies auch bei Sozialbetrug einführen.
Die Kommission kann kein Problem erkennen
Doch er erntet viel Widerspruch. Die Kommission will keine Vorschläge zur Eindämmung eines "Sozialtourismus" machen, weil das gar kein Problem sei, sondern in manchen Ländern nur fälschlicherweise so wahrgenommen werde. Viele werfen Friedrich auch eine Verbindung des Schengen-Themas mit dem der Armutsflüchtlinge vor, obwohl beide nichts direkt miteinander zu tun haben. Josef Winkler, Sprecher für Flüchtlingspolitik der Grünenfraktion im Bundestag, schreibt in einer Reaktion: "Seine Verknüpfung der Schengen-Beitrittsfrage mit der Unterstellung von Sozialmissbrauch durch Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien ist unverantwortlich." Roma müssten inzwischen "als Sündenböcke für die stockenden Schengen-Beitrittsverhandlungen herhalten." Friedrich kann jedenfalls darauf verweisen, dass er mit seiner Sorge nicht allein ist. Auch Großbritannien, die Niederlande und Österreich wollen den Zustrom bremsen. Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hält es für das Wichtigste, "dass man vor Ort gute Lebensbedingungen vorfindet", damit die Menschen gar nicht erst ihre Heimat verließen. Die Angleichung der Lebensverhältnisse ist tatsächlich eine der grundlegenden Aufgaben, die sich die EU auf die Fahnen geschrieben hat. Doch einmal geht es hier um ein sehr langfristiges und teures Projekt. Und gerade durch die geplanten Kürzungen im EU-Budget wird die Umsetzung dieser Aufgabe infragegestellt.