EU soll Flüchtlingen aus Venezuela helfen
7. Juli 2018An der Simon-Bolivar-Brücke zwischen Kolumbien und Venezuela ist er unübersehbar - der Exodus. "An der Brücke konnten wir beobachten, dass die Menschen, die ihre Heimat in Richtung Kolumbien und Brasilien verlassen, vor allem dem allgegenwärtigen Mangel zu entkommen versuchen", sagt Beatriz Becerra. Die EU-Parlamentarierin war mit anderen Abgeordneten in das Grenzgebiet gereist, um sich ein Bild von der Lage zu machen. "Die Menschen, die ohne Unterlass die Brücke passieren, fliehen nicht vor einer Naturkatastrophe wie einer Dürre oder einem Orkan. Sie wollen den Folgen einer politischen Entscheidung entkommen. Die Flüchtlinge geben uns eine sehr deutliche Vorstellung von dem, was in Venezuela gerade geschieht", sagt Becerra im Gespräch mit der DW.
Die Vizepräsidentin der Menschenrechtskommission des EU-Parlaments hat gemeinsam mit anderen Abgeordneten eine Resolution zu Venezuela auf den Weg gebracht, die mittlerweile verabschiedet worden ist. Darin heißt es, aufgrund der schweren politischen und Wirtschaftskrise in dem Land litten immer mehr Menschen an Mangelernährung. Die Versorgungsengpässe sind so gravierend, dass sie nicht mehr ausreichend Nahrungsmittel und Trinkwasser, ärztliche Versorgung und Medikamente bekommen. Präsident Nicolás Maduro soll die Krise endlich eingestehen und Hilfsorganisationen ins Land lassen.
Die Resolution fordert auch Hilfe für die Nachbarländer, damit diese die Ankunft so vieler Flüchtlinge bewältigen können. Das ist umso wichtiger, weil vor allem Menschen fliehen, die bereits sehr wenig zum Leben haben.
Viele Venezolaner fliehen in Nachbarländer
Vor allem Kolumbien haben vorbildlich reagiert, sagt Agustín Díaz de Mera, der Vorsitzende der EU-Delegation. Die kolumbianischen Behörden hätten den Venezolanern Papiere ausgestellt, damit sie kurzzeitig einreisen und sich mit Dingen des täglichen Bedarfs versorgen könnten. Aber auch jene, die nicht mehr zurückkehren wollen, hätten die nötigen Dokumente bekommen. "Allerdings können die Kolumbianer die Krise nicht alleine bewältigen", so der Abgeordnete.
Die Zahl der Venezolaner, die außerhalb ihres Heimatlandes leben, ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Wohnten im Jahr 2005 noch knapp 440.000 Menschen im Ausland, sind es inzwischen über 1,6 Millionen.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verließen allein zwischen 2015 und 2017 rund 945.000 Venezolaner ihr Land. 820.000 von ihnen leben derzeit in Kolumbien. In Peru halten sich 400.000 Flüchtlinge auf, weitere 11.500 in Brasilien.
Zugleich machen sich immer mehr Venezolaner zu den Karibikinseln Aruba, Curaçao, Bonaire, Trinidad und Tobago auf. Auch Guyana wird mehr und mehr zum Fluchtziel.
Asylanträge auch in Europa
Außerdem ist Venezuela das einzige lateinamerikanische Land, dessen Bürger auch in Europa Asylanträge stellen. "Spanien hat im vergangenen Jahr eine dramatische Zunahme von Asylanträgen registriert", so Becerra zur DW. "Gestellt wurden sie von Venezolanern."
Einem Bericht der IOM zufolge wurden im Jahr 2017 in Spanien rund 200.000 Menschen aus Venezuela registriert. Knapp zwei Drittel von ihnen sind bereits im Besitz der spanischen Staatsangehörigkeit. Das sind Personen, die ursprünglich aus Spanien nach Südamerika ausgewandert sind und nun wieder nach Europa zurück wollen.
Auch Italien und Portugal registrieren mehr Einreisen venezolanischer Staatsbürger. Viele von ihnen bringen laut IOM alle Voraussetzungen mit, um die Staatsbürgerschaft eines europäischen Landes zu erhalten. Nicht alle stellen allerdings Asylanträge. Ein Teil der Migranten bemüht sich vorerst nur um eine Aufenthaltsgenehmigung. "Unsere Resolution fordert die EU-Länder auf, alle Instrumente zu nutzen, um den Venezolanern einen angemessenen Aufenthalt zu ermöglichen", so Díaz de Mera.
Haft in der Karibik
Kritisch ist derzeit die Situation der Venezolaner in der Karibik. Gemessen an den Menschenrechten ist die Lage der venezolanischen Flüchtlinge in Aruba und Curaçao heikel. Laut Hohem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), Amnesty International und Human Rights Watch werden dort sehr viele Flüchtlinge verhaftet. "Dabei handelt es sich um Menschen, die ohnehin bereits unter erbärmlichen Bedingungen ins Land gekommen sind", so Becerra. Da sie die Grenze ohne Aufenthaltsstatus passiert haben, werden sie zunächst in Haftzentren gebracht.
EU muss Verantwortung übernehmen
Die EU-Parlamentarier sehen auch Europa in der Pflicht. "Unsere Regierungen müssen die Verantwortung übernehmen und sich mit der Situation dieser Menschen auseinandersetzen", sagt Becerra. "Wir Europäer müssen zwar bereits auf die bestehenden Migrationsbewegungen reagieren. Aber die Flüchtlingszahlen zeigen uns, dass Europa nicht vor einer Krise steht. Die Zahl der Vertriebenen in Europa ist mit der an der venezolanischen Grenze nicht vergleichbar."
In Übereinstimmung mit einem Bericht der OAS plädieren die EU-Parlamentarier dafür, dass der Internationale Strafgerichtshof Ermittlungen gegen die Regierung von Nicolás Maduro wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einleitet. "Es ist unmenschlich", so Becerra, "eine Hungersnot und äußerste Notlage verursacht zu haben und keine humanitäre Hilfe zuzulassen."