EU schließt die Außengrenzen
18. März 2020Gut drei Stunden dauerte der zweite Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs - die Öffnung und Schließung von Grenzen gehört zu den strittigsten Themen in der Union. Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen ist zufrieden, dass die Mitgliedsländer ihrer Empfehlung vom Montag jetzt folgen: "Wir haben die volle Zustimmung für unsere Richtlinien erhalten", sagte sie.
Für die Umsetzung, das heißt die konkrete Schließung der Grenzen, sind die Länder selbst zuständig. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Maßnahme am Montagabend schon angekündigt, Deutschland ist am Dienstag gefolgt. Bundeskanzlerin Angela Merkel bestätigte, dass die Grenzschließung zunächst für 30 Tage gelten solle. Jetzt wollen alle anderen Länder offenbar nachziehen.
Einzige Ausnahme ist hier Großbritannien, das zwar eine generelle Reisewarnung an seine Bürger erlassen hat, aber seine internationalen Verbindungen wohl noch nicht kappen will. Das gleiche gilt deshalb auch für Irland - beide bilden eine gemeinsame Reisezone.
Gleichzeitig unterstützt die EU-Kommission die Länder, die noch Urlauber von außerhalb Europas zurückholen müssen. Die Bundesrepublik hat die Sache inzwischen selbst in die Hand genommen und damit begonnen, weltweite Rückflüge mehr als 100.000 Touristen zu organisieren.
Binnengrenzen - nur schrittweise Erleichterungen
Von der Leyen formuliert aber vorsichtig, wenn es um die Abstimmung unter den Mitgliedsländern bei den Binnengrenzen geht. Seit Tagen machen hier alle, was sie wollen. Das ist zwar in der jetzigen Notsituation auch nach den Schengen-Regeln möglich, aber die Kommissionspräsidentin leistet seit Tagen Überzeugungsarbeit, damit sich die Nachbarländer wenigstens abstimmen. Vor allem sei es äußerst wichtig, den Binnenmarkt für Güter zu erhalten: "Es gab große Zustimmung für die schnellen Spuren, die sogenannten grünen Spuren für Lastwagen", erläuterte sie.
Aber wie schnell die Mitgliedsländer hier die Laster wieder ins Rollen bringen, liegt in der Hand der jeweiligen Regierungen. Polen hatte seit Montag durch Schließungen und Kontrollen für einen 40 Kilometer langen Stau auf der deutschen Grenze gesorgt. Wie einsichtig ist Warschau nach der Diskussion mit den EU-Kollegen? Sie habe mit dem polnischen Premier telefoniert, so von der Leyen, und er habe versprochen, das Problem zu lösen. Dazu gehöre auch, die Durchreise für Bürger der baltischen Staaten wieder zu genehmigen, die zurück nach Hause wollten. Solche eigentlich einfachen Schritte können derzeit am nationalen Eigensinn mancher EU-Länder scheitern oder sich unnötig verzögern.
EU mit eigener Expertengruppe
Die Regierungen hätten auch begrüßt, dass die EU-Kommission jetzt eine eigene Corona-Expertengruppe von Virologen und Epidemiologen gebildet habe, um die Mitgliedsländer zu beraten und ihnen in Zweifelsfällen eine zweite Meinung anzubieten. Sie bestätigten jedoch bisher die Richtigkeit der EU-weiten Pläne, die Ausbreitung des Virus wo weit wie möglich zu verlangsamen, auch wenn das mit schweren Einschränkungen für das tägliche Leben und drastischen Folgen für die Wirtschaft verbunden sei.
Als hoffungsvolle Botschaft wiederholte von der Leyen, dass die Forscher der Biotech-Firma Curevac aus Tübingen einen Impfstoff möglicherweise bereits in einigen Monaten zur Verfügung stellen wollten. Auch wenn das normalerweise 12 bis 18 Monate dauern könne - das Unternehmen habe derzeit die Nase vorn. Die EU-Kommission hat inzwischen die nötige Finanzierung zugesagt, nachdem US-Päsident Donald Trump die Firma wohl aufkaufen wollte. "Wir wollen, dass sie in Europa bleibt", bekräftigte von der Leyen erneut. Und wegen der Krise werde es auch eine Beschleunigung beim Verfahren und bei den Zulassungsbehörden geben.
Außerdem habe sie am Montag eine EU-weite Ausschreibung für Beatmungsgeräte sowie eine weitere für Schutzkleidung und medizinisches Material auf den Weg gebracht. Bereits in sechs Tagen sollen die betreffenden Firmen mit der Produktion beginnen. Die Ausrüstung soll dann allen EU-Ländern zur Verfügung stehen - allerdings wird eine Exportsperre für Drittländer gelten.
Schwere wirtschaftliche Folgen
Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte jetzt, wie auch die EU-Spitzen und zuvor die EU-Finanzminister, vor den "schweren wirtschaftlichen Folgen" der Coronakrise. Das meistgenutzte Zitat in diesem Zusammenhang stammt von Ex-EZB-Chef Mario Draghi aus den Zeiten der Eurokrise. Man werde tun, "was immer nötig ist", wiederholte jetzt auch EU-Ratspräsident Charles Michel, um die Folgen zu bewältigen und europäischen Firmen wie auch einzelnen Bürgern zu helfen.
Die Vorschriften für Staatshilfen sollen dabei flexibel gehandhabt werden, ebenso wie die Schuldenobergrenze in der Eurozone - nach Jahren der strikten Sparpolitik werden in der Coronakrise alle Regeln über den Haufen geworfen. Frankreichs Präsident Macron beispielsweise kündigte bereits an, kein Unternehmen solle deswegen untergehen. Er will sie alle retten, große wie kleine Firmen. Seine Regierung geht bereits davon aus, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr auf 3,9 Prozent steigen wird.
Auch Italien will mit massiver Staatshilfe den Zusammenbruch seiner Wirtschaft stoppen. Wie viel Geld dafür aus der Eurozone beigesteuert werden muss, wagt derzeit noch niemand auszurechnen. Zunächst sollen rund 400 Milliarden aus dem ESM (Europäischer Stabilitäts-Mechanismus) bereitgestellt werden, um die Corona-Folgen aufzufangen. Darüber hinaus will sich bisher noch kein Regierungschef oder Minister festlegen, wie viel Geld am Ende nötig sein wird, um die europäische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
Nach einem extrem holprigen, unkoordinierten Start zu Beginn der Coronakrise und einem Bild des weitgehenden Chaos wollen die EU-Regierungen jetzt im ständigen Kontakt bleiben, um auftretende Probleme laufend zu lösen: Der nächste Video-Gipfel soll bereits in der kommenden Woche stattfinden.