EU-Erweiterung in der Sackgasse
8. Dezember 2020"Wir sind nicht da angekommen, wo wir längst hätten sein sollen", räumte der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, in Berlin ein. Enttäuscht bestätigte Roth, der die Videokonferenz der Europaminister leitete, dass sich die EU abermals nicht darauf einigen konnte, die überfälligen Beitrittsverhandlungen mit den Ländern Nordmazedonien und Albanienzu beginnen.
Als einziges von 27 Mitgliedsstaaten in der EU blockiert Bulgarien die Eröffnung einer sogenannten Regierungskonferenz zur förmlichen Aufnahme von Verhandlungen. "Das ist ein schwerer Schlag", sagte Staatsminister Roth. Das münzte er sowohl auf die Beitrittskandidaten als auch auf die zu Ende gehende deutsche Ratspräsidentschaft in der EU. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich persönlich bei den Bulgaren für Nordmazedonien eingesetzt. Ohne Erfolg. Er sei "sehr enttäuscht", meinte Roth.
Einspruch aus Sofia
Das Nein der Bulgaren lasse Zweifel an den Zusagen der EU aufkommen, so der Staatsminister weiter. Eine weitere Blockade sei auch gefährlich für die Stabilität und Sicherheit in der ganzen Region. Bereits im März 2020 hatten sich alle EU-Staaten inklusive Bulgarien für Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten Nordmazedonien und Albanien ausgesprochen. Nur das Datum wollte man noch nicht festlegen.
Im Sommer forderte Bulgarien plötzlich, dass Nordmazedonien anerkennen müsse, dass die mazedonische Sprache eigentlich ein bulgarischer Dialekt sei. Nordmazedonien lehnt diesen Verzicht auf nationale Identität ab. Die Spannungen zwischen Nordmazedonien und Bulgarien sind für die übrigen EU-Staaten nur schwer nachzuvollziehen, so EU-Diplomaten in Brüssel, denn beide Staaten verbindet seit 2017 ein Freundschaftsvertrag.
Der deutsche Staatsminister Michael Roth wies noch einmal daraufhin, dass Nordmazedonien sich im Laufe des bisherigen Beitrittsprozesses sehr angestrengt und gewandelt habe. Sogar der Staatsname wurde von Mazedonien in Nordmazedonien abgeändert, um einen Jahrzehnte währenden Streit mit Griechenland um nationale Identitätsfragen zu schlichten. Nordmazedonien ist bereits seit 2005 Kandidat für einen Beitritt.
Skopje soll nicht aufgeben
Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, der von Brüssel aus an der Videokonferenz teilnahm, beschwor Nordmazedonier und Albaner den Mut nicht sinken zu lassen. "Es geht nicht um das Ob von Beitrittsverhandlungen, sondern nur noch um das Wann", sagte Sefcovic.
Auch Michael Roth forderte die Regierung in Skopje auf, sich nicht entmutigen zu lassen. "Es geht nur um ein einziges Land, das in der Opposition ist." Im nächsten Jahr werde man dann unter portugiesischer Präsidentschaft einen Durchbruch erzielen.
Wirklich nur ein einziges Land? EU-Diplomaten berichten aus den Verhandlungen, dass die Niederlande nach wie vor Bedenken dagegen haben, Beitrittsverhandlungen mit Albanien aufzunehmen. "Das sagen sie im Moment nicht öffentlich, sondern ducken sich lieber hinter Bulgarien weg", meinte ein Diplomat. Die Niederlande hatten im November verlangt, dass Albanien noch rechtsstaatliche Reformen durchziehen müsse, obwohl die EU-Kommission sowohl Albanien als auch Mazedonien "Beitrittsreife" bescheinigt hat.
Bei den Ländern auf dem westlichen Balkan, die bereits verhandeln, hat sich unter deutscher Ratspräsidentschaft wenig getan. Serbien zum Beispiel konnte kein einziges der insgesamt 35 Verhandlungskapitel neu eröffnen.
"Der Fortschritt in den Verhandlungen liegt ja nicht an uns, sondern hauptsächlich bei den Beitrittskandidaten", ließ Staatsminister Michael Roth wissen. Serbiens Fortschritte bei rechtsstaatlichen Reformen, freien Medien und der Lösung regionaler Konflikte waren eher nicht zufriedenstellend.
Polen und Ungarn blockieren Haushalt
Blockaden und Vetos machen der deutschen Ratspräsidentschaft auch bei einem anderen Thema das Leben schwer. Die Verhandlungen um den mehrjährigen EU-Haushalt, den Corona-Hilfsfonds und den Mechanismus zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit treten auch zwei Tage vor dem entscheidenden EU-Gipfel auf der Stelle.
Ungarn und Polen blockieren eine Einigung, weil sie die Überprüfung ihrer Rechtsstaatlichkeit als Zumutung betrachten. Eine ursprünglich für Dienstag angesetzte Frist zur Einigung verstrich ohne Folgen.
"Hinter den Kulissen" werde weiter gearbeitet, sicherte der deutsche Staatsminister Michael Roth (SPD) zu. "Wir lassen nichts unversucht." Klar sei aber, dass der Text des Rechtsstaatsmechanismus und das gesamte Haushaltspaket nicht mehr verändert werden könnten.
Die EU-Kommission prüft unterdessen einen Plan B: Sollte ein Haushaltsrahmen blockiert werden, könnten 25 EU-Staaten ohne Polen und Ungarn einen Corona-Hilfsfonds schaffen, um 750 Milliarden Euro in den nächsten Jahren für den Aufbau der Wirtschaft zu investieren.