EU berät Sanktionen und Personal
29. August 2014Auf ihrem zweiten Sonder-Gipfel zu Personalfragen wollten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs hauptsächlich mit sich selbst beschäftigen. Doch daraus wird nichts. Der russische Präsident Wladimir Putin bringt mit seinem Vordringen in die Ostukraine die geplante Gipfel-Regie durcheinander. Die EU wird sich auch mit neuen Sanktionen gegen Russland befassen, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron am Donnerstag (28.09.2014) angekündigt.
Nach dem Abschuss der Passagiermaschine MH-17 mit fast 300 Toten über der Ukraine hatte die EU Ende Juli erste harte Wirtschaftssanktionen verhängt. Jetzt könnten die Staats- und Regierungschefs die Schraube weiter anziehen. Am schnellsten würden Sanktionen gegen russische Banken wirken, die in London, Frankfurt am Main oder auf Zypern aktiv sind, so EU-Diplomaten in Brüssel.
EU will Energie-Sektor aussparen
Die Verhandlung über konkrete Sanktionen könnte den nur für einige Stunden geplanten Gipfel am Samstag in die Länge ziehen, denn jedes Mitgliedsland will natürlich die Folgen für seine Volkswirtschaft abschätzen. Auch gilt es, russische Gegenmaßnahmen zu kalkulieren. Bislang hat Russland ein Importverbot für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Europa verhängt. Die EU ist deshalb gezwungen, ihren Obst-, Gemüse- und Milchbauern mit Ausgleichszahlungen unter die Arme zu greifen.
Der EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, der mit dem russischen Energieminister in Moskau über die Sicherheit von Gaslieferungen nach Europa und auch in die Ukraine verhandelt, verurteilt das russische Vorgehen in der Ostukraine scharf. Er sagte aber auch, dass aus Sicht der EU "Gas kein Instrument für Sanktionen und Eskalation sein kann". Das oberste Ziel müsse trotz Krise die Versorgungssicherheit der europäischen Verbraucher sein. Der Energie-Kommissar hatte zuvor vorsorglich angekündigt, er werde bis zum nächsten regulären EU-Gipfel im Oktober einen Notfallplan vorlegen, wie Europa ohne russische Lieferungen versorgt werden könnte.
Favoriten für die Spitzenposten: Mogherini und Tusk
In den letzten Tagen hat der scheidende Ratsvorsitzende der Europäischen Union, Herman Van Rompuy, in Telefongesprächen mit Regierungschefs versucht, ein Personalpaket für den Sonder-Gipfel zu schnüren. Offiziell gibt es dazu keine Erklärungen, aber nach Angaben von diplomatischen Quellen zeichnet sich ab, dass die italienische Außenministerin Federica Mogherini nun doch neue Hohe Beauftrage für Außen- und Sicherheitspolitik, also eine Art Außenministerin der EU, werden soll.
Angesichts der Krisen rund um die EU, vom Irak über Syrien bis zur Ukraine, müsse jetzt entschieden werden, so der EU-Experte Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik "European Policy Centre" in Brüssel. Das sei auch eine Frage der Handlungsfähigkeit. "Man braucht in einer derartigen Situation eine Person, die versucht, europäische Außenpolitik zu bündeln, zu kanalisieren, ihr vor und hinter den Kulissen eine Stimme zu geben. Deshalb braucht man eine starke Außenbeauftragte", so Emmanouilidis im Gespräch mit der DW.
Ob ausgerechnet Federica Mogherini die richtige Wahl für den Posten ist, war in der EU lange umstritten. Die osteuropäischen Mitgliedsstaaten kritisieren ihre Russland-freundlichen Äußerungen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU), hält Mogherini, die erst seit einem halben Jahr im Amt ist, für zu unerfahren. Allerdings unterstützen die sozialistischen Regierungschefs geschlossen die italienische Sozialistin Mogherini.
Vielen Mitgliedsstaaten, die in den letzten Jahren eigenständig an der EU-Außenbeauftragten vorbei ihre eigene Außenpolitik verfolgt haben, ist es wahrscheinlich ganz recht, wenn die neue Außenbeauftragte nicht allzu stark ist, mutmaßt EU-Experte Janis Emmanouilidis: "Aber gleichzeitig zeigt die Situation auch die Grenzen der europäischen Außenpolitik, wie schwierig es für die Mitgliedsstaaten ist, sich in diesen heiklen außenpolitischen Fragen zusammenzufinden."
Überraschungen nicht ausgeschlossen
Sollte Frau Mogherini Außenbeauftragte werden, bekommt ein Osteuropäer das eher unpolitische Amt des Ratsvorsitzenden, der die EU-Gipfel leitet und die EU nach außen vertritt. Lange zögerte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, den Posten anzutreten. Jetzt hat seine Sprecherin nach Agenturberichten in Warschau erklärt, es könne sein, dass Tusk doch überzeugt werden könnte.
Diese Paketlösung sieht auch Janis Emmanouilidis vom "European Policy Centre" als wahrscheinlich an. "Am Ende wird es ein komplexer Kompromiss sein. Kann man da ausbalancieren? Man könnte mutmaßen, dass, falls Federica Mogherini tatsächlich Außenbeauftragte wird, dass der Präsident des Europäischen Rates aus Zentral- oder Osteuropa kommt. Der kann in Fragen der Osteuropa-Politik dann einen Gegenpol darstellen."
Eine andere Lösung ist aber nicht ausgeschlossen, meint Emmanouilidis. Die Gruppendynamik während des Gipfels könne auch dazu führen, dass ein anderer Staats- und Regierungschefs aufstehe und sagt: "Ich mache es." Angeblich soll der britische Premierminister David Cameron den Polen als Ratspräsidenten unterstützen. Donald Tusk könnte auch ein Gegengewicht gegen den neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bilden. Juncker war gegen den Willen Großbritanniens und Ungarns installiert worden.
"Fische" will keiner machen
Zum Personalpaket gehören auch die weiteren Positionen, die in der neuen EU-Kommission zu vergeben sind. Der neue Chef der EU-Kommission, Jean Claude Juncker aus Luxemburg, arbeitet seit Wochen mit einem kleinen Übergangsteam daran, die nominierten Kandidaten aus den großen und kleinen Mitgliedsländern auf die Ressorts zu verteilen. "Fische oder Katastrophenschutz will niemand haben, alle wollen ein Wirtschaftsressort", sagt ein EU-Diplomat mit Blick auf die inoffizielle Liste der Wünsche, die die Mitgliedsstaaten bei Juncker angemeldet haben. Diese Liste liegt der DW vor. Der deutsche EU-Kommissar Günter Oettinger, der noch für Energie zuständig ist, möchte das Handelsressort. Auf das hat es allerdings auch der britische Kandidat Jonathan Hill abgesehen.
Frankreich möchte den Sozialisten Pierre Moscovici zum Währungskommissar machen. Das lehnt Deutschland ab, weil es eine Aufweichung des Sparkurses fürchtet. Das Puzzlespiel um die Kommission wird zusätzlich erschwert, weil die Mitgliedsstaaten zu wenige Frauen für die Spitzenposten nominiert haben. Jean-Claude Juncker wollte mindestens wieder ein Drittel Frauenanteil bei den 28 Kommissaren erreichen. Das wird er wohl nicht schaffen. Er drohte den Mitgliedsstaaten damit, dass die vier Frauen, die bislang offiziell benannt wurden, auch die wichtigsten Ressorts bekommen, also Wirtschaft, Handel, Binnenmarkt, Innenpolitik. Fische, Katastrophenschutz und Kultur, bislang klassische Ressorts der Damen, blieben dann für Oettinger, Moscovici, Hill und andere Herren aus den großen EU-Mitgliedsstaaten.
Am Ende werde die Besetzung der EU-Kommission nicht an der Frauen-Quote scheitern, glaubt EU-Experte Janis Emmanouilidis. Allerdings muss das Europäische Parlament der gesamten Mannschaft von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch zustimmen. Da werde es sicher ein oder zwei Bauernopfer geben müssen. Das Parlament wird die Kommission nicht so einfach durchwinken, weil es zeigen will, dass es auch Einfluss hat. Die neue EU-Kommission soll am 1. November ihre Arbeit aufnehmen.