EU-Parlament fordert Reformen von Pakistan
11. Mai 2021Pakistan hat trotz der harten Bestimmungen seines Blasphemie-Gesetzes noch niemanden wegen Gotteslästerung oder Herbwürdigung des Korans hingerichtet. Aber die Anklagen, Prozessführung und Haftbedingungen in diesen Fällen spotten jedem rechtsstaatlichen Standard; viele Verurteilte warten jahre- wenn nicht jahrzehntelang auf ihr Berufungsverfahren. Nicht zu reden von den im Vergleich zu Gerichtsurteilen viel häufigeren Lynchmorden und gesellschaftlichem Mobbing wegen angeblicher Gotteslästerung.
Wegen dieser Zustände, aber auch wegen der "alarmierenden Zunahme von Blasphemie-Anschuldigungen inner- und außerhalb sozialer Netzwerke im vergangenen Jahr, die sich oftmals gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Künstler und gesellschaftliche Randgruppen richten", sind die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Ende April aktiv geworden. In ihrer jüngsten Resolution zu Pakistan fordern sie Pakistan unter anderem zur Abschaffung von Todesstrafe und lebenslanger Haft in seinem Blasphemie-Gesetz auf. Außerdem fordern sie die EU-Kommission und den außenpolitische Arm der EU auf, die Pakistan seit 2014 gewährten Handelspräferenzen (GSP+) zu überprüfen und zu suspendieren.
"Die EU steht für Werte und Prinzipien"
Angestoßen wurde die Parlamentsresolution durch das Schicksal von Shagufta Kausar and Shafqat Emmanuel. Das christliche Paar wurde 2013 wegen angeblicher Blasphemie verhaftet. Im April 2014 wurden beide auf Grundlage der pakistanischen Blasphemie-Gesetze zum Tode verurteilt. Der Berufungsprozess hat bis heute nicht begonnen. In ihrer Resolution fordern die Parlamentarier die sofortige Freilassung der Beschuldigten und Annullierung des Todesurteils.
Die EU habe die Achtung der Menschenrechte und des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu einem grundlegenden Bestandteil ihrer Außenpolitik gemacht, begründet der europäische Parlamentsabgeordnete Emmanuel Maurel, Mitglieder der Fraktion Die Linke im EU-Parlament, die Resolution. Das GSP+-Programm sehe die Möglichkeit vor, Handelspräferenzen im Falle von Verstößen gegen internationale Konventionen zu Menschenrechten, einschließlich der Religionsfreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung, auszusetzen, so Maurel gegenüber der DW. "Man darf hoffen, dass dieser Druck die pakistanische Politik verändern wird." Die EU habe nicht das Recht, den Handel mit einem Land zu fördern, das seine Bürger weiterhin wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. "Die EU steht für Werte und Prinzipien, sie ist nicht nur ein Supermarkt."
"Partnerschaft mit Pakistan keine Einbahnstraße"
Ähnlich sieht es Reinhard Bütikofer von der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament.
Die Resolution sei ein "klares politisches Signal", dass die Partnerschaft bei GSP+ keine Einbahnstraße sei. "Es beruht auf der Voraussetzung, dass die Partnerländer Kriterien wie Menschenrechten, Transparenz, Verantwortlichkeit verpflichtet sind", so Bütikofer im DW-Interview.
Die Parlamentarier wollten durchaus eine Partnerschaft mit Pakistan. "Aber sie darf nicht als Einbahnstraße funktionieren. Es geht nicht, dass eine Seite die Vorteile des anderen in Anspruch nimmt, ohne im Gegenzug die grundlegenden Werte dieser Partnerschaft zu beachten."
Die Forderung des EU-Parlaments, Pakistans Vorzugsbehandlung im Handel mit der EU auszusetzen, sei ein guter Schritt, sagt Fréderic Grare, Südasien-Experte am Think Tank "European Council on Foreign Relations". GSP+ sei dazu gedacht, schwächere Länder zu Reformen zu ermutigen. "Die bleiben in Pakistan aber weitgehend aus." Darum komme der Schritt zur richtigen Zeit und werde in Pakistan auch genau verstanden, so Grare im DW-Interview. "Das Land ist wirtschaftlich schwach. Schwerwiegende ökonomische Differenzen mit seinen Partnern kann es sich kaum leisten."
Rolle von Premier Imran Khan
Dennoch hatte der pakistanische Premier Imran Khan Anfang Mai erklärt, dass das Blasphemiegesetz seines Landes bestehen bleibe. GSP+ habe keinerlei Bezug zu religiösen Fragen, sagte er regionalen Medien zufolge. Mitte April hatte Khan erklärt, er werde sich zusammen mit "anderen" Politikern der islamischen Welt für ein Blasphemiegesetz in Europa einsetzen. Wenn europäische Politiker "negative Kommentare" über den Holocaust unter Strafe stellten, müssten sie das Gleiche auch in Bezug auf Beleidigungen des islamischen Propheten Mohammed tun, forderte er auf Twitter.
Imran Khan sehe sich einer Reihe von Problemen gegenüber, sagt Südasien-Experte Christian Wagner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Zur anhaltenden Wirtschaftskrise ist nun noch die Corona-Pandemie gekommen. Hinzu kommen die seit Monaten anhaltenden Kundgebungen der Islamisten. All das setzt ihn unter Druck."
Die Forderung nach einem Blasphemiegesetz in Europa richte Khan vor allem an das pakistanische Publikum, vermutet Wagner. Khan sei 2018 mit dem Versprechen angetreten, einen islamischen Wohlfahrtsstaat zu begründen. "Dies ist ihm aufgrund der schwachen Wirtschaftslage Pakistans nicht gelungen. Insofern soll dieser Appell die Demonstranten wohl beruhigen."
Sollte die EU die Handelspräferenzen für Pakistan tatsächlich aufheben bzw. aussetzen, wäre für das Land ein schwerer Rückschlag, sagt Wagner. "Insbesondere die pakistanische Textilindustrie führt große Teile ihrer Produktion nach Europa aus und ist auf die Einnahmen aus diesen Exporten dringend angewiesen." Auf ein Ende dieses Privilegs werde es die Regierung nicht ankommen lassen. "Insofern hat die EU einen mächtigen Hebel in der Hand."
Über anti-französische Kampagne erbost
Neben der anhaltenden Inhaftierung von Shagufta Kausar and Shafqat Emmanuel spielten für das EU-Parlament auch die seit dem vergangenen Herbst anhaltenden antifranzösischen Massenproteste eine Rolle. Nicht nur in Pakistan sondern auch in anderen islamischen Ländern hatten Äußerungen des französischen Präsidenten Macron zur Meinungsfreiheit vom vergangenen Herbst, die auch das Zeigen von Mohammed-Karikaturen beinhalte, zu anti-französischen Protesten geführt. In Pakistan wurden die Proteste von der fundamentalistischen Bewegung Tehreek-e-Labbaik (TLP) angeführt. Auf deren Druck nahm das Parlament in Islamabad wenige Tage vor der Resolution des EU-Parlaments einen Antrag auf die Tagesordnung, wonach der französische Botschafter in Islamabad ausgewiesen werden sollte. Die Debatte wurde dann auf unbestimmte Zeit vertagt. Premier Khan drang offenbar mit dem Argument durch, dass eine solche Maßnahme Pakistan weit mehr schaden würde als Frankreich.
"Wir haben mit einiger Bestürzung zur Kenntnis genommen, dass es in Pakistan eine sehr starke und ich muss sagen völlig ungerechtfertigte Massenmobilisierung gegen Frankreich gegeben hat. Das schätzen wir nicht", macht Reinhard Bütikofer klar. Sein Parlamentskollege Emmanuel Maurel sekundiert: "Als Franzose hätte ich mir eine entschiedenere Antwort des pakistanischen Ministerpräsidenten gewünscht." Das von der pakistanischen Regierung angekündigte Verbot der TLP als terroristische Vereinigung sei nicht als Antwort auf die anti-französische Kampagne erfolgt. "Europa muss seinerseits sehr entschlossen sein und gezielte Sanktionen gegen die Anführer dieser abscheulichen Kundgebungen ins Auge fassen", fordert Maurel.
Schwieriger Weg vorwärts
Wie kann es nun weitergehen? Pakistan sei ein schwieriger Partner, sagt Fréderic Grare. Die EU habe sich lange um gute Beziehungen zu dem südostasiatischen Land bemüht. "Bislang sind die Ergebnisse allerdings bescheiden. Es scheint, als würden sich die beiden Seiten nun voneinander entfernen. Man sollte Pakistan aber kein Diktat aufzwingen."
Immerhin gebe es auch in Pakistan Versuche, extremistische Kräfte zurückzudrängen, sagt Christian Wagner. "Die EU könnte die moderaten Kräfte des Landes unterstützen. Es gibt ja bereits einige entsprechende Programme. Allerdings ist deren Umsetzung schwierig.".
Die Europäische Union sei immer offen für Gespräche, sagt Emmanuel Maurel. Er glaube, dass ein konstruktiver Dialog mit Pakistan möglich ist. "Doch dazu bedarf es zunächst einer Überarbeitung des Anti-Blasphemie-Gesetzes und einer eindeutigen Verurteilung von Gewalt und Diskriminierung gegen religiöse Minderheiten durch die pakistanische Regierung."