EU-Parlament geißelt Gängelung der Medien
10. März 2021"Die Realität ist, dass die Zuständigkeiten der EU-Kommission sehr begrenzt sind", räumt Kommissarin Vera Jourova gleich zu Beginn der Debatte im Europaparlament über die Lage der Pressefreiheitin Ungarn, Polen und Slowenien ein. Eine Mehrheit der Abgeordneten sieht diese in allen drei Ländern akut bedroht - und fordert von der EU-Kommission, etwasgegen diesen Trendzu tun.
Die zuständige Kommissarin aber fürchtet, ihr fehlten die politischen und rechtlichen Mittel. Man müsse über neue Werkzeuge nachdenken, wie man freie Medien, diese "wichtige Säule von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" besser schützen könne, erklärt Jourova. Sie wolle etwa die Sicherheit von Journalisten verbessern, missbräuchliche Verfolgung durch Gerichte abstellen und für finanzielle Unterstützung sorgen.
Freie Medien unter Druck - oder schon tot
Mehrere Redner zitieren in der Debatte im Europaparlament aus einem leidenschaftlichen Plädoyer, das Adam Michnik, Chefredakteur der polnischen Gazeta Wyborcza, Anfang der Woche veröffentlicht hatte: "Der Angriff auf die die freien Medien ist nur eine der vielen Fronten, die das herrschende Lager in seinem Krieg gegen die polnische Demokratie und Zivilgesellschaft eröffnet hat. (...) Der Angriff gegen die Medienfreiheit in Polen macht den Weg frei für eine umfassende Attacke gegen die Werte, auf denen die europäische Union begründet ist".
Michnik weiß, wovon er spricht, er gehörte in den achtziger Jahren zur demokratischen Opposition gegen das kommunistische Regime in Polen. Die meisten Redebeiträge von polnischen Abgeordneten waren Variationen dieses Themas. "Der wahre politische Führer in Polen, Jaroslaw Kaczynski, will aus Warschau ein weiteres Budapest machen", erklärt etwa Radoslaw Sikorski, Außenminister in der letzten Mitte-Regierung des Landes.
Und der Sozialdemokrat Leszek Miller, früherer polnischer Ministerpräsident, stellt fest, die polnische Regierung werde immer autoritärer, sie sehe "europäische Werte nicht mehr als ihre Werte". Er kritisiert die EU-Kommission, weil sie nicht gehandelt und keine deutlichen Antworten auf die Angriffe gegen die Pressefreiheit parat habe.
Eine seiner Amtsnachfolgerinnen, die Ex-Ministerpräsidentin der PiS-Partei, Beata Szydlo, verteidigt dagegen die Parteilinie. Die Medienfreiheit sei in der polnischen Verfassung verankert und das umstrittene Gesetz zur Besteuerung von Werbeeinnahmen, von dem unabhängige Medien den ökonomischen Tod befürchten, sei bisher nur ein Vorschlag. "Diese Debatte hier ist Fake News", erklärt Szydlo.
Das Vorbild ist Orban
"Die Todesanzeigen für unabhängige Medien (in Ungarn) werden jedes Jahr länger, Viktor Orban benutzt alle Mittel, um unabhängige Medien zu unterdrücken", sagt Gwendoline Delbos-Corfield von den Grünen. Dazu gehörten Schmutzkampagnen und der Aufkauf durch eigene Parteigänger.
Und die ungarische Abgeordnete Anna Donath erklärt: "In den vergangenen zehn Jahren hat Orban die ungarischen Medien zum Schweigen gebracht. Die Übernahme der Nachrichten-Website Index und die Schließung von Klubradio sind nur zwei Beispiele. Die Fidesz-Partei hat Zeitungen aufgekauft und die öffentlichen Sender in Propaganda-Kanäle verwandelt". Die EU müsse dagegen aufstehen und die Bürger gegen diese Autokraten schützen.
Ihr Landsmann Csaba Molnar spottet, die ungarische Regierung könne mit Nordkorea gemeinsam Propaganda machen. Es sei unglaublich, wie destruktiv für die Demokratie Viktor Orban als Regierungschef gewirkt habe. Vertreter der angegriffenen Fidesz-Partei, die gerade erst die Fraktion der Christdemokraten im EP verlassen musste, schießen zurück und nennen die ganze Debatte eine "kollektive Hysterie, an der die EU-Kommission teilnimmt".
Und Abgeordnete von der Fraktion der nationalistischen und rechtspopulistischen Parteien benutzen Formeln aus dem politischen Kulturkampf: Im Europaparlament werde die Zensur der politisch Korrekten betrieben oder es gehe der EU nur noch um LGBTQ-Rechte.
Auch Slowenien auf abschüssigem Kurs
Es waren persönliche Angriffe des slowenischen Premiers Janez Jansa per Twitter gegen eine Brüsseler Journalistin, die kritisch über die Pressefreiheit in seinem Land geschrieben hatte, die plötzlich das Augenmerk auf das kleine mitteleuropäische Land lenkten. Slowenien übernimmt in der zweiten Jahreshälfte den Vorsitz im europäischen Rat, der Versammlung der EU-Regierungen. Die Aussicht, dass dann ein ausgewiesener Anti-Demokrat auf dem Präsidentensessel könnte, bereitet vielen EU-Politikern Unbehagen.
Die sozialdemokratische Abgeordnete Tanja Fajon sagt, sie sei immer stolz gewesen auf ihr Land, aber inzwischen versuche die Regierung, freie Medien zum Schweigen zu bringen. "Der Premier bezeichnet zwei kritische Journalistinnen auf Twitter als abgehalfterte Prostituierte, der Nachrichtenagentur soll die Finanzierung entzogen werden - der Preis, den wie für das politische Geiselnahme der freien Medien zahlen, wird hoch sein".
Und ihre Kollegin Irene Joveva mahnt, die EU könne es sich nicht erlauben, ein drittes Mitglied in ihrem Club der "Illiberalen" zu haben. Das langsame und sichere Abwürgen der freien Presse führe zu autoritärer Herrschaft. Wogegen Abgeordnete der slowenischen Regierungspartei behaupten, 80 Prozent der Presse im Land sei von den Linken dominiert und die EU habe nicht das Recht, die Regierung anzuklagen.
Eine große Mehrheit im Parlament fordert von der Kommission, das laufende Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn endlich voranzutreiben und Journalisten in den betreffenden Ländern, wo die Pressefreiheit abgebaut wird, mit konkreten Maßnahmen zu helfen, etwa mit Geld oder juristischem Schutz. Viele Abgeordnete zeigten sich enttäuscht von der schwachen Reaktion bei der Kommission und im Rat der Regierungen.
Die NGO "Liberties" schreibt aus diesem Anlass: "Die EU hat einen entscheidenden Fehler gemacht, als sie bei Orbans Angriffen auf die Demokratie wegguckte. Die Probleme sind nicht weggegangen, sondern größer geworden und haben autoritäre Machthaber in Polen und Slowenien veranlasst, in seinen Spuren zu folgen. Jetzt steht die EU vor einer Krise der Demokratie in ihrem eigenen Hinterhof".