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EU: Grenzschutz umkrempeln?

Bernd Riegert11. Dezember 2015

Die EU-Außengrenzen haben Löcher wie ein Schweizer Käse. Die EU-Kommission will deshalb eine eigene Grenzschutztruppe. Das gefällt nicht allen Mitgliedsstaaten. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Lampedusa Triton Patrouillenschiff Viana do Castelo. Foto: Bernd Riegert, DW,
Im Auftrag von "Frontex": Portugiesisches Patrouillenschiff im MittelmeerBild: DW/B. Riegert

Für den Schutz ihrer Grenzen sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bislang alleine zuständig. Darauf haben sie auch immer großen Wert gelegt, denn schließlich gehört die Kontrolle der Außengrenzen zu den ureigenen Aufgaben eines souveränen Staates. Das will die Europäische Kommission jetzt ändern. Wegen der chaotischen Lage an den Außengrenzen, besonders in Griechenland, Kroatien und Italien schlägt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon seit September vor, eine neue EU-Behörde für den Grenz- und Küstenschutz mit weit reichenden Befugnissen zu schaffen. Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten hatten diesen Plan im Prinzip bei einem ihren vielen Gipfeltreffen zu Flüchtlingen und Migration im Herbst gebilligt.

Ein "mutiger" Plan?

Am kommenden Dienstag wird die EU-Kommission während der Sitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg nun einen ersten Gesetzesentwurf für den EU-Grenzschutz vorlegen. Der Sprecher der EU-Kommission Margaritis Schinas bestätigte am Freitag in Brüssel einen entsprechenden Bericht der Zeitung "Financial Times". "Da wir im Sommer angekündigt hatten, wir würden bis zum Ende des Jahres liefern und die EU-Kommission nur noch einmal im auslaufenden Jahr tagt, war es nicht schwer zu erraten, dass das nächste Woche passieren wird," erklärte Shinas. Einzelheiten zum neuen Grenzschutz, der wesentlich mehr Befugnisse haben soll als die bisherige Grenzschutz-Agentur "Frontex" in Warschau, wollte die EU-Kommission heute nicht nennen. "Sie können davon ausgehen, dass dies ein wichtiger und mutiger Vorschlag sein wird", sagte der Kommissionsprecher. "Eine effektive Kontrolle der Grenze ist zwingend nötig, um zu verhindern, dass Schengen bedroht wird."

Infografik: Die Staaten des Schengener Abkommens Deutsch Stand September 2015

In der Schengen-Zone sind 22 EU-Staaten (ohne Großbritannien, Irland, Zypern, Kroatien, Bulgarien, Rumänien) sowie Island, Norwegen, die Schweiz und Lichtenstein zusammengeschlossen. Sie verzichten an ihren Binnengrenzen auf systematische Personen- und Warenkontrollen. Diese Reisefreiheit kann aber nur funktionieren, wenn bei der Einreise in den Schengen-Zone erfasst wird, wer einreist. Angesichts der Hunderttausenden von unregistrierten Flüchtlingen, die in den letzten Monaten über Griechenland und Italien in die Schengen-Zone gekommen sind, sei das nicht mehr sichergestellt, kritisiert zum Bespiel der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere. Eigentlich wären nach den EU-Verträgen Griechenland und Italien für die Einreisekontrollen zuständig. Die Grenzschutzagentur "Frontex" hat aber gerade Zahlen veröffentlicht, nach denen in Griechenland nur 20 Prozent der Flüchtlinge überhaupt erfasst werden.

Eigenständiger EU-Grenzschutz gefordert

Die Financial Times berichtet, dass die neue Grenzschutz-Behörde jetzt eigenes Personal bekommen soll, das hoheitliche Aufgaben wahrnehmen kann. Notfalls sollten die EU-Grenzschützer auch gegen den Willen einzelner Mitgliedsstaaten eingesetzt werden. Bislang konnte "Frontex" Einsätze nur koordinieren und war auf die freiwillige Abordnung von Personal aus den Mitgliedsstaaten angewiesen. Wie viel Personal, wie viele Fahrzeuge und Schiffe ein eigenständiger EU-Küsten- und Grenzschutz bräuchte, ist ebenso wie die Finanzierung unklar. "Über das Kleingedruckte und Einzelheiten wird noch in der EU-Kommission verhandelt", sagte EU-Kommissionssprecher Schinas. Bis Dienstag werde der Vorschlag aber stehen.

Hotspot auf Lesbos völlig überlaufen

"Die Nationalstaaten sollten in dieser Hinsicht ihre Souveränitätsrechte ganz oder zumindest teilweise abtreten", forderte der Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag, Volker Kauder, in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur. Auch der deutsche und der französische Innenminister hatten per Brief die EU-Kommission aufgefordert, einen schlagkräftigen, eigentständigen EU-Grenzschutz zu formen und die bisherige Grenzschutz-Agentur "Frontex" weiter zu entwickeln. Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, hat für kommende Woche zum regelmäßigen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs eingeladen. Auch da soll die bessere Kontrolle der Außengrenzen eine große Rolle spielen. Tusk tritt dafür ein, Migranten an den Außengrenzen länger festzuhalten, bevor sie in den Schengenraum einreisen dürfen. Diese Anregung hatte für viel Kritik gesorgt, weil Länder wie Griechenland, die jetzt schon heillos überfordert sind, fürchten, Hunderttausende von Menschen versorgen zu müssen.

Grenze Bulgarien Türkei Sicherheitszaun. Foto: EPA/VASSIL DONEV, dpa
Außengrenze der EU: Grenzzaun zwischen Bulgarien und der TürkeiBild: picture-alliance/dpa/V. Donev

Verzichten die Staaten auf Souveränität?

Griechenland hatte erst vor einigen Tagen zugestimmt, dass überhaupt "Frontex"-Mitarbeiter aus anderen EU-Staaten ins Land kommen. Das geschieht mit einem Notfall-Mechanismus, der zu schnellen Ergebnissen führen soll. Ob das zusätzlich notwendige Personal, Polizeibeamte, Zöllner aus anderen EU-Staaten dafür schnell zur Verfügung stehen wird, bezweifelt "Frontex" selbst. Auf ihrer Webseite beklagt, die Agentur, dass vom Personalbedarf, der bereits im Oktober angemeldet wurde, gerade mal die Hälfte von den EU-Staaten auch abgedeckt wird.

Auch wegen dieser knappen Ressourcen dürfte es bis zu einem wirklich eigenständigen EU-Grenzschutz noch ein weiter Weg sein, meinen EU-Diplomaten, die mit der Materie vertraut sind. Außerdem gibt es einige rechtliche Hürden. Unklar ist auch, ob die Mitgliedsstaaten wirklich auf souveräne Rechte verzichten werden, um diese einer zentralen Behörde der EU zu übertragen "Bis das Ding fliegt, werden noch einige Jahre vergehen", unkte ein EU-Diplomat in Brüssel. Etwa fünf Staaten hätten starke Bedenken.