EU nach Flüchtlingsdrama unter Druck
20. April 2015Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini fühlte sich am Ende aufgerufen als Mensch und als Mutter zu sprechen: "Wir alle teilen ein Gefühl der Frustration", sagte sie auf die Frage eines Journalisten, warum es erst zu einem Massensterben im Mittelmeer kommen musste, damit die EU beginne zu handeln. "Zu oft haben wir schon gesagt, so etwas dürfe sich nie wiederholen. Wir müssen unserer Öffentlichkeit in Europa gegenübertreten und mutige Antworten auf die Tragödien geben", so die Italienerin.
Man dürfe nicht dem Ruf der Populisten folgen, die die Flüchtlinge einfach zurück schicken wollen. "Sie zurück zu schicken bedeute nur, sie auf andere Weise zu töten", sagte Mogherini. Beklagte aber auch, dass die EU eine große, komplizierte Maschine sei: "Solche großen Apparate brauchen Zeit, bis sie sich bewegen."
Schluss mit den Schuldzuweisungen
Der politische und moralische Druck aber war seit dem Wochenende dermaßen angewachsen - so gab man in Luxemburg offen zu - dass Europa sich schließlich doch bewegt. Einen Zehn-Punkte-Plan hatte die EU-Kommission mitgebracht, der auf die überwältigende Zustimmung der Außen- und Innenminister gestoßen sei, so erklärte der zuständige Flüchtlingskommissar Dimitri Avramopoulos. "Hören wir auf, mit dem Finger aufeinander zu zeigen und uns gegenseitig die Schuld zu zuschieben", rief er. Nur um dann darzulegen, dass die Europäische Kommission ja schon früh die Flüchtlingskrise als sehr wichtiges Thema angesehen habe. Bereits Mitte Mai will sie einen Vorschlag für eine grundlegend neue Migrations- und Flüchtlingspolitik machen, die zehn Punkte von Luxemburg sind ein Auszug daraus.
Frontex soll EU-Seenotrettung betreiben
Zunächst die Sofortmaßnahmen: Die Frontex-Mission "Triton", soll mehr Schiffe im Mittelmehr und mehr Geld bekommen, sowie ein neues Mandat. Das bedeutet faktisch den Umbau zu einer EU-Seenotrettungsmission, denn "Triton" müsste demnach bald auch vor der Küste Libyens patrouillieren, um Flüchtlinge von kenternden Booten zu holen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach von einer Verdoppelung der Mittel, aber das Geld dürfte gegenwärtig keine Rolle spielen. Etwas schwieriger aber wird wohl die Umsetzung seines besonderen Anliegens: "Wir müssen die Boote der Menschenhändler zerstören", so der Minister. Dafür braucht man Militär, und die EU könnte von der erfolgreichen Anti-Piraterie-Mission "Atalanta" vor Somalia lernen, wie so ein Einsatz aussehen kann. Italien kündigte übrigens an, man wolle mit gezielten Militärschlägen gegen einzelne Banden von Menschenhändlern in Libyen vorgehen. Denn alle Rufe nach einer Stabilisierung Libyens sind folgenlos, solange die Gespräche über die Bildung einer Einheitsregierung nicht vorankommen. Das Übel an der Wurzel zu packen, die Flüchtlingsströme an ihrem Ursprungsort zu stoppen, so fordern alle europäischen Außen- und Innenminister. Aber das ist derzeit unmöglich, das wissen sie auch: Gewalt und Chaos in Libyen entziehen sich ihrem Einfluss.
Hilfe bei der Aufnahme
Konkreter werden die Pläne wieder, wenn es um Hilfen für die Erst-Aufnahmeländer im Süden geht: Italien und Griechenland brauchen Geld und personelle Unterstützung. "Die Flüchtlinge müssen anständig aufgenommen werden", sagte dazu de Maizière. Er betonte dabei auch die Notwendigkeit, alle Ankömmlinge zu registrieren. Und EU-Kommissar Avramopoulos will dafür sorgen, dass künftig alle ihre Fingerabdrücke abgeben müssten. Schließlich sollen diejenigen, für die es kein Bleiberecht gibt, in ihre Heimat zurückgebracht werden, notfalls durch finanzielle Anreize. Er verspricht darüber hinaus, dass die Bearbeitung von Asylanträgen künftig in weniger als zwei Monaten vonstatten gehen soll. Das ist ein kühnes Ziel, zog sich dieser Prozess doch bisher jahrelang hin. Und wer diese Anträge dann wo bearbeitet und nach welchen Kriterien darüber entscheidet, das war auf EU-Ebene ein bisher gänzlich unlösbares Problem.
Ein Verteilungsschlüssel für Kontingentflüchtlinge
Fortschritt aber soll es für die Kriegsflüchtlinge geben, die nach internationalem Recht Anspruch auf Schutz haben. In einem Pilotprojekt sollen die ersten 5000 von ihnen nach einem Schlüssel auf die EU-Länder verteilt werden. Deutschland würde auch bei der Umsiedlung von bis zu 10.000 Flüchtlingen mitmachen, sagte der Bundesinnenminister dazu, obwohl man bereits überproportional viele von ihnen aufgenommen habe. Das soll ein Zeichen des guten Willens aus Berlin sein, um andere zur Nachahmung zu animieren.
Denn an der Frage: Wohin mit den Flüchtlingen nach ihrer Rettung sind in der EU bislang alle Versuche gescheitert, zu einer gerechteren Lastenteilung zu kommen. Am Donnerstag werden sich die europäischen Regierungschefs bei ihrem Krisengipfel mit dem Thema befassen. Nur sie können die Abkehr von dem Prinzip beschließen, das in der EU als Dublin II bekannt ist: Der Grundsatz, das ein Flüchtling in dem Land bleiben muss, in dem er ankommt. Ein Prinzip das seit Jahren nicht mehr funktioniert und das längste reformbedürftig ist.