Klimaschutz über den Geldbeutel
13. September 2019"Wir haben unsere Kohlendioxid-Emissionen neutralisiert", behauptet die finnische Ratspräsidentschaft stolz auf großen blauen Bildschirmen in der Finlandia Hall in Helsinki, wo die Finanzminister der Europäischen Union an diesem Freitag berieten. Finnland zahlt einen Ausgleich für die vielen Flüge, die während der sechs Monate dauernden Ratspräsidentschaft nötig sind. Mit dem Geld sollen Klimaschutzprojekte gefördert und Bäume gepflanzt werden.
Ob sich die versammelten 28 Finanzminister der EU von diesen grünen Botschaften auf blauem Grund beeindrucken lassen, ist nicht unmittelbar klar. Denn beschlossen wird auf diesem informellen Treffen in Helsinki nichts. Es geht um eine grundsätzliche Diskussion.
Die EU müsse herausfinden, wie man zu einer sinnvollen Bepreisung von Kohlendioxid-Ausstoß kommt, und zwar am besten im internationalen Maßstab, meint der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD). "Ich glaube, wir sind im Moment in einer Situation, wo viele sagen, 'wir würden ja gerne national etwas machen, aber die anderen machen ja nichts'." Das sei der Moment, gemeinsam zu handeln und herauszufinden, ob man am Ende nicht zu ähnlichen Ansätzen kommen können. "Das wäre ein großer Fortschritt", sagte Scholz in der finnischen Hauptstadt.
Neue Zölle oder Steuern für den Klimaschutz?
Die EU-Kommission hat den Ministern eine ganze Palette von möglichen Methoden aufgeschrieben, um den Preis für klimaschädliche Gase zu ermitteln, das Geld einzusammeln und dann auch wieder zu investieren. Für den Kampf gegen den Klimawandel werden nach Einschätzung der EU in den kommenden Jahrzehnten nicht Milliarden, sondern Billarden fällig. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will in der nächsten Haushaltsperiode, die bis zum Jahr 2027 läuft, eine Billiarde in grüne Technologien investieren.
25 Prozent der Haushaltsmittel im EU-Budget sollen Ausgaben sein, die mit dem Klimaschutz zu tun haben. Dazu will die neue Kommission, die im November ihre Arbeit aufnimmt, erreichen, eine Art Zoll auf Kohlendioxid einzuführen. Importe aus Drittstaaten sollen nach ihrer Klimaverträglichkeit beurteilt und bei schlechter Bewertung mit entsprechenden Abgaben belegt werden.
Frankreich unterstützt diesen Plan, um die europäische Wirtschaft gegenüber Verschmutzern wie China oder den USA wettbewerbsfähig zu halten. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz ist kein Freund dieses möglicherweise sehr komplizierten Zollsystems, das wiederum zu neuen Handelskonflikten mit den USA oder China führen könnte. Der Lobbyverband der europäischen Wirtschaft "Businesseurope" kann sich einen Zoll oder eine Grenzsteuer für umweltschädliche Produkte allerdings als durchaus machbar vorstellen.
Emissionshandel ausweiten?
Auch der Finanzminister von Österreich, Eduard Müller, ist einem Zoll fürs Klima gegenüber nicht abgeneigt, warnt aber auch, dass noch ein weiter Weg zurückzulegen sei. "Wir haben eine Weltzollorganisation, wir haben bestehende Verträge. Das ist in einem sehr weiten Kontext zu sehen, aber nichtsdestotrotz: Die Diskussion muss beginnen."
Der deutsche Finanzminister Scholz setzt darauf, dass bestehende System des Handels mit Verschmutzungsrechten auszuweiten, und zwar auf kleinere Unternehmen und die Verbraucher selbst. "Wir haben das sehr erfolgreiche System des europäischen Emissionshandels, das sich an die großen Industrieunternehmen richtet. Wir sind dabei herauszufinden, wie wir den CO2-Verbrauch im Zusammenhang mit Mobilität, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft, Heizen und kleinen Industrieunternehmen begrenzen können."
Scholz kann sich auch eine EU-weite Abgabe auf Flugtickets vorstellen, die es in Deutschland bereits gibt. Außerdem denken die Finanzminister der Europäischen Union darüber nach, wie der Bahnverkehr steuerlich gefördert werden kann, etwa durch eine ermäßigte Mehrwertsteuer. Umweltschutz-Organisationen haben immer wieder kritisiert, dass in Deutschland Flüge ins Ausland von der Mehrwertsteuer befreit sind und auch das Flugbenzin viel geringer besteuert wird als Kraftstoff für Fahrzeuge.
Investitionen vom Defizit abziehen?
Einige südliche EU-Staaten regen an, staatliche Investitionen in den Klimaschutz, die durch neue Schulden finanziert werden, aus der Berechnung der Staatsschulden heraus zu nehmen. Der für die Stabilität des Euro zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis lehnt diesen Ansatz ab. "Wir können ja nicht so tun als seien grüne Schulden, keine Schulden." Die müssten in der Haushaltsbilanz und bei der Defizitberechnung auftauchen, meinte Dombrovskis.
Bei der Beurteilung der Rückzahlung dieser Schulden und ihrer Nachhaltigkeit, könne man aber eine "gewisse Flexiblität" zeigen. "Das haben wir in der Vergangenheit ja auch schon gemacht", sagt Dombrowski, "besonders im Falle Italiens."
Geld für zusätzliche Investitionen, auch in grüne und Klima-freundliche Projekte, sehen der französische und der luxemburgische Finanzminister vor allem in Deutschland. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz kommt unter Druck, den Überschuss aus dem deutschen Haushalt dafür einzusetzen.
Auch die Europäische Zentralbank ließ in Helsinki wissen, dass EU-Mitgliedsstaaten, die wie Deutschland fiskalisch gut da stehen, sollten ihr Geld jetzt auch für öffentliche Investitionen nutzen. Der deutsche Finanzminister ließ sich dazu öffentlich keine Stellungnahme entlocken. Im Bundestag hatte er in dieser Woche in der Haushaltsdebatte gesagt, sollte Deutschland in de Rezession gehen, habe er viele Milliarden in petto, um die Wirtschaft über öffentliche Investitionen anzukurbeln.
Bis zum Horizont
In einer Analyse für das Weltwirtschaftsforum in Davos kommt der Ökonom Zac Tate zu dem Schluss, dass die massiven Investitionen, die bis zum Jahr 2050 in Klima-freundliche Technologien zu erwarten sind, eine riesige Chance für die Wirtschaft darstellen. Die Internationale Energieagentur geht von einem Investitionsvolumen von 120 Billiarden Dollar bis 2050 aus. Investitionen würden in Zukunft immer stärker über die Ausgabe von "grünen Anleihen" finanziert werden, heißt es in der Analyse des Weltwirtschaftsforums. In den nächsten Jahren könnte deren Summe auf eine Billiarde Dollar jährlich in den wichtigsten Industriestaaten der Welt anwachsen. Beide, Staaten und private Unternehmen, seien beim Umbau der Wirtschaftsweise gefordert.
Nötig sei auf staatlicher und privatwirtschaftlicher Seite ein langer Atmen, meinte der Chef der britischen Zentralbank, Mark Carney, bereits seit 2015. Das kurzfristige Denken der Finanzmärkte und der nachhaltige Klimaschutz passten oft nicht zusammen, so Carney vor vier Jahren. Das sei "die Tragik des Horizonts", der vielen Akteuren oft fehle. Die EU-Finanzminister wollen in den nächsten Monaten versuchen, diesen Horizont zu erweitern.