Italien muss im Haushaltsstreit nachsitzen
23. Oktober 2018Schon vor dieser Sitzung der EU-Kommission in Straßburg schien klar, dass man mit der ständig gegen Europa schimpfenden populistischen Regierung Italiens keine Nachsicht haben würde. Wie erwartet, wies die Kommission am Dienstag den Haushaltsplan mit einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent zurück, den die Regierung in Rom eingereicht hatte. Es ist das erste Mal, dass ein Mitgliedsstaat in dieser Weise gemaßregelt wird. Erst seit den Beschlüssen über den sogenannten "Sixpack" im Jahr 2011, als man sich auf eine Erweiterung der europäischen Befugnisse im Stabilitätspakt einigte, ist das überhaupt möglich.
Offener und bewusster Regelverstoß
"Ich bedauere, dass wir zum ersten Mal von einem Mitgliedsland verlangen mussten, seinen Haushaltsentwurf zu revidieren", sagt Valdis Dombrovskis, für den Euro zuständiger EU-Kommissar nach der Sitzung mit Grabesstimme. Emotionslosigkeit ist ein Markenzeichen des Politikers aus Lettland: "Die Klarstellungen, die wir in den letzten Tagen erhalten haben, waren nicht überzeugend. Hier handelt es sich um einen schweren Fall von Nicht-Einhaltung" der Regeln des Stabilitätspaktes, man habe keine Alternative gesehen.
Wenn ein Land "offen und bewusst" gegen diese Regeln verstoße, werde damit das Vertrauen in der Eurozone zerstört, und die ganze Union nehme Schaden. Italien überschreitet seit Jahren die erlaubte Neuverschuldungsgrenze von 60 Prozent und hatte sich verpflichtet, seine Ausgaben systematisch zu senken. 0,8 Prozent Neuverschuldung wären der Regierung in Rom demnach erlaubt gewesen. Sie überschreitet die Vorgabe um eineinhalb Prozentpunkte - das ist eine signifikante Abweichung, urteilt die EU-Kommission.
Dombrovskis zeigt sogar ein gewisses Verständnis für die italienische Regierung: So ein Haushaltsentwurf verschaffe "die Illusion, sich (von den Regeln) frei zu machen. Es ist verführerisch, Schulden mit noch mehr Schulden zu bekämpfen".
Dagegen stellt der Kommissar die nackten Zahlen. Italiens Schuldenstand sei der zweithöchste in der EU mit 131,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im vorigen Jahr. Damit ist Italien eines der am höchsten verschuldeten Länder der Welt. Die Zinszahlungen allein seien so hoch wie der ganze Bildungsetat des Landes, und die Schuldenlast habe pro Kopf in Italien 37.000 Euro betragen.
Die Kommission weist auch noch einmal darauf hin, dass Brüssel keinesfalls Italien den Geldhahn zugedreht habe. Rom habe als zweitgrößter Empfänger von EU-Strukturmitteln 45 Milliarden Euro erhalten, und darüber hinaus seien 8,5 Milliarden für Investitionen zur Verfügung gestellt worden.
Nächster Schritt: Defizitverfahren
Die Kommission hat bei dieser Sitzung die Einleitung eines Defizitverfahren gegen Italien noch aufgeschoben. Die Zurückweisung des Haushaltes sei der erste Schritt; jetzt habe die Regierung in Rom zunächst drei Wochen Zeit, entsprechende Änderungen vorzunehmen, hieß es dazu.
Die Antwort aus Rom ließ nicht lange auf sich warten. Er werde persönlich nach Brüssel zur Kommission fahren, erklärte Innenminister Matteo Salvini, Lega-Chef und starker Mann der italienischen Regierung, um dort zu erklären, wie die Wirtschaft in Italien dank diesem Haushalt wachsen werde. Aber eines sei klar: "Wir werden keinen einzigen Cent von diesem Haushalt abziehen."
Dieser Widerstand aus Rom war zu erwarten. Seit Wochen verteidigt die Koalitionsregierung ihren Haushaltsentwurf damit, dass man Versprechen gegenüber den Wählern einhalten müsse. Vorgesehen sind unter anderem eine Art Grundeinkommen für Arbeitslose und eine Senkung des Rentenalters.
Nach dieser fiskalischen Kriegserklärung an Rom muss die Kommission, nach Ablauf der Erklärungsfrist, den nächsten Schritt tun und ein Defizitverfahren einleiten. Sie kann sich etwas Zeit nehmen und ein gewisses Hin und Her von Erklärungen und Antworten akzeptieren, um "dem Dialog eine Chance" geben, wie Währungskommissar Pierre Moscovici erklärt.
Der Finanzminister, das Alibi Roms
Moscovici zitiert ausdrücklich den italienischen Finanzminister Giovanni Tria, der Italien trotz der gegenwärtigen Differenzen in der "Mitte Europas und im Euro" sehe. Das sei eine politisch wichtige Botschaft. Allerdings weiß man auch in Brüssel, dass Tria sein Amt schon einmal hinwerfen wollte und nur dank der Intervention von Staatspräsident Mattarella noch Minister ist. Er will den seriösen Wirtschaftsexperten sozusagen als fiskalisches Gewissen der Regierung auf dem Posten halten. Wie lange das gut geht, ist offen.
Ob die EU-Kommission vielleicht Vorurteile gegen die populistische Regierung in Rom habe und sie schärfer beurteile als früher Defizitsünder Deutschland oder Frankreich, fragen italienische Journalisten. "Wir mischen uns nicht in die Politik unserer Mitgliedsländer ein", erwidert Kommissar Dombrovskis trocken, man entscheide nur aufgrund von Fakten. Und Pierre Moscovici fügt auf die Frage nach der Schuldenpolitik des früheren französischen Präsidenten Hollande hinzu:"Sogar für Sozialdemokraten sind zu viel Schulden keine intelligente Strategie".
Stillschweigend hofft die Kommission wohl auf die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte. Bisher hält sich der Anstieg des Spread, der Kosten für italienische Staatsanleihen, noch in Grenzen. Wertet aber Ende der Woche die nächste Rating-Agentur italienische Bonds ab und steigt die Unsicherheit über die Zukunft vor allem der labilen italienischen Banken, kann sich das schnell ändern.
Wo liegt die Schmerzgrenze für Matteo Salvini? Er hatte bereits von einer Grenze von 4 Prozent gesprochen, an der man beginnen müsse nachzudenken. Nur zur Erinnerung: Ministerpräsident Silvio Berlusconi musste 2011 zurücktreten, als der Spread über 6 Prozent gestiegen war und alle Welt von einer gefährlichen Schuldenkrise in Italien sprach. Damals betrug die Staatsverschuldung noch 120 Prozent des Bruttosozialproduktes..