1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
RechtsstaatlichkeitEuropa

EU-Kommissionsbericht: Wie geht es der Rechtsstaatlichkeit?

24. Juli 2024

Die EU-Kommission hat ihren jährlichen Bericht zur Rechtsstaatlichkeit vorgelegt. Neben Mahnungen und Sorgen findet sie auch Grund zur Freude. Doch was bewirkt der Bericht?

https://p.dw.com/p/4igkU
Eine Statue der Justitia steht vor blauem Himmel
Die Rechtstaatlichkeitsbericht ist ein Grundwert in der EU Bild: Andreas Pulwey/picture alliance

Mehr als 1000 Seiten lang sei der jüngste Rechtsstaatlichkeitsbericht der Europäischen Union (EU) geworden, berichtet die Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourova bei dessen Vorstellung diesen Mittwoch in Brüssel. Bereits zum fünften Mal prüft die Europäische Kommission den Zustand der nationalen Justizsysteme, der Anti-Korruptionsregeln, der Medienfreiheit und andere institutionelle Kontrollmechanismen - und sie spricht Empfehlungen an die 27 Mitgliedstaaten aus. Zum ersten Mal dabei auch die Beitrittskandidaten Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Für den Bericht hätten mehr als 640 Online-Treffen stattgefunden, es sei mit mehr als 930 Beamten, Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft gesprochen worden, so Jourova bei der Pressekonferenz

Ungarn: altbekanntes "Sorgenkind" der EU

Kein gutes Zeugnis stellt die EUUngarn - welches momentan dierotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat - aus. In keinem der bereits 2023 angekreideten Bereiche habe das Land Fortschritte gemacht. Dies ist beispielsweise der Fall im Justizwesen oder bei der die Stärkung der Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien.

Für Ungarn könnte dieser Bericht von Bedeutung sein, da die EU-Kommission nach wie vor Gelder zurückhält - wegen Bedenken über die Rechtsstaatlichkeit Ungarns. Nach einer Justizreform in dem Land wurde im letzten Jahr nur rund ein Drittel der eingefrorenen Gelder freigegeben.

Ungarn und die EU-Milliarden

EU-Kommission droht Slowakei mit möglichen Konsequenzen

Auch die Slowakei, die seit 2023 erneut von dem Russland-freundlichen Linkspopulisten Robert Fico regiert wird, kommt nicht gut weg. Lediglich in einem Bereich, der körperlichen Sicherheit von Journalisten, stellt die Kommission Fortschritte im Vergleich zum Vorjahr fest. Sorge äußert die Kommission auch mit Blick auf dem Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in dem Land. Die Slowakei solle Regeln zur Wiederherstellung und zum Schutz der öffentlich-rechtlichen Medien stärken. Ein neues Gesetz zu dem Thema werde derzeit noch durch die EU-Kommission geprüft, erläuterte Jourova vor der Presse.

Die EU-Kommission droht der Slowakei auch mit juristischen Schritten wegen ihres geplanten NGO-Gesetzes. Nichtregierungsorganisationen, die auch Gelder aus den Ausland erhalten, sollen sich als "Organisation mit ausländischer Unterstützung" bezeichnen. Die EU befürchtet, diese Etikettierung könne eine abschreckende Wirkung auf die Slowaken haben. Sollte das gegen EU-Gesetze verstoßen, wäre ein Vertragsverletzungsverfahren möglich. 

Slowakei: Wie der Hass ein Land zerfrisst

Medienfreiheit bleibt in vielen EU-Staaten ein Thema

Rumänien, Polen und Malta mahnte die Kommission, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Hinblick auf dessen redaktionelle Unabhängigkeit und die Verwaltung zu stärken.

Italien fordert sie dazu auf, Regeln und Mechanismen sicherzustellen, die die Finanzierung der öffentlichen Medien gewährleisten und ihre Unabhängigkeit garantieren. Dies fordert die Kommission auch von Irland, Tschechien und Slowenien.

In Italien hatten Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Senders RAI in diesem Jahr gestreikt - wegen Personalmangels, aber auch weil sie der Regierung Einmischung vorwarfen.

Trotz der Umsetzung einiger Reformen mache sich die Kommission um die Unabhängigkeit der Justiz der in einigen Mitgliedstaaten weiterhin Sorgen, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders auf der Pressekonferenz. Um den Beruf des Richters attraktiver zu machen, habe die Kommission den Mitgliedstaaten empfohlen, in das Personalwesen zu investieren.

Auch Deutschland muss bei der Rechtsstaatlichkeit nacharbeiten

Die Bezahlung von Richtern ist einer der Punkte, den die Kommission mit Blick auf Deutschland anmahnt. So solle das Land Maßnahmen ergreifen, um eine angemessene Bezahlung von Richtern und Staatsanwälten sicherzustellen.

Außerdem muss Deutschland aus Sicht der Kommission etwas gegen den sogenannten "Drehtüreffekt" tun – dem raschen Wechsel ehemaliger Politiker in die Wirtschaft. Sie schlägt vor, dass aus dem Amt scheidende Minister und Staatssekretäre länger warten müssen, bevor sie in die Wirtschaft wechseln. Deutschland müsse außerdem mit dem Plan vorankommen, ein Informationsrecht für Journalisten gegenüber Bundesbehörden einzuführen.

Ein Richterhammer liegt auf einem Tisch in einem Gericht
Die EU-Kommission ruft die Mitgliedstaaten dazu au,f den Richterberuf mit Blick auf die Bezahlung attraktiver zu machenBild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Kommission verbucht auch Erfolge  

Insgesamt zieht die Kommission eine positive Bilanz über die fünf Jahre, seitdem sie den Rechtsstaatlichkeitsbericht veröffentlicht. Auf der Pressekonferenz freut sich Vizepräsidentin Jourova explizit über zwei Erfolge: einerseits über Polen. Im Anschluss an den Regierungswechsel wurde in diesem Frühjahr ein EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen eingestellt. Außerdem nannte sie Spanien. Dort sei die Blockade des Generalrates der Justiz nun nach fünf Jahren überwunden. Der Generalrat ist zuständig für die Ernennung wichtiger Richterposten.

Was bewirkt der Rechtsstaatlichkeitsbericht?

Der Rechtsstaatlichkeitsbericht sei ein "präventives Mittel" erklärt Jourova.  "Es geht darum, Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit frühzeitig zu erkennen", so die EU-Vizekommissionspräsidentin. Nach ihren Angaben wurden 68 Prozent der Empfehlungen aus dem letzten Jahr umgesetzt.

Die Wirkung des Berichts könne nicht isoliert bewertet werden, meint John Morijn, Juraprofessor an der Universität Groningen. Vielmehr hänge diese von anderen, schlagkräftigeren Verfahren ab, wie etwa dem Einfrieren von EU- Fördergeldern. 

Seine Kritik: Im Detail gebe es zwischen den EU-Staaten deutliche Unterschiede. Wenn man aber alle 27 sehr unterschiedliche Länder in einem gemeinsamen Bericht behandele, gingen die besonders problematischen Fälle in der Masse unter. 

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel