EU will Flüchtlinge umsiedeln
27. Mai 2015Die EU-Kommission will zum ersten Mal überhaupt einen Paragrafen aus den EU-Verträgen aktivieren, der bei konkreten Notfällen, die Umsiedlung von Flüchtlingen innerhalb der EU erlauben würde. Italien und Griechenland seien mit der Zahl der Neuankömmlinge überfordert. Deshalb sollten über zwei Jahre 40.000 mögliche Asylbewerber nach einem festen Schlüssel auf andere Mitgliedsstaaten verteilt werden. Der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos muss allerdings noch eine Menge Überzeugungsarbeit für seinen Plan bei den Mitgliedsstaaten leisten. Großbritannien, Dänemark und Irland könnten sich von vorneherein aus der Notfall-Aktion zurückziehen, da sie spezielle Rechte genießen. Frankreich, Spanien, Ungarn, Portugal, Tschechien, die baltischen Staaten und die Slowakei haben sich bereits gegen eine Verteilung von Flüchtlingen nach fixen Quoten ausgesprochen. Deshalb ist die notwendige qualifizierte Mehrheit im EU-Rat der Innenminister wahrscheinlich kaum zu erreichen, schätzen EU-Diplomaten.
"Es geht um Solidarität"
Auch teilen nicht alle Mitgiedsstaaten die Annahme der EU-Kommission, dass Italien mit der Aufnahme der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, überfordert sei und ein Notfall vorliege. Deutschland zum Beispiel wirft Italien schon lange vor, die Flüchtlinge nicht ordnungsgemäß zu registrieren und sie nach Norden weiterreisen zu lassen. EU-Kommissar Avramopoulos bleibt trotz des Widerstands aus den Mitgliedsstaaten zuversichtlich: "Das ist ein ausgewogener Vorschlag für alle Staaten. Wir wollen nicht generell die Einwanderung nach Quoten regeln, sondern nur für eine faire Verteilung von Schutzsuchenden sorgen." Es gehe, so Avramopolous, im Kern um Solidarität der Staaten untereinander. Der nächste Innenminister-Rat, der sich mit den neuen Vorschlägen der Kommission zur Flüchtlingspolitik befassen kann, tagt Mitte Juni.
Die EU-Kommission schlägt vor, nur Asylsuchende umzusiedeln, die aus Syrien oder Eritrea stammen. Das sind die Personengruppen, deren Asylanträge zu 75 Prozent in der EU anerkannt werden. Für jeden Umgesiedelten aus Italien oder Griechenland würde der aufnehmende Staat eine "Prämie" von 6000 Euro erhalten. Der EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos sagte, es gebe Missverständnisse und falsche Deutungen. Die letztliche Entscheidung, wer Asyl erhalte und wer nicht, liege weiter bei den souveränen Mitgliedsstaaten. "Wir zwingen niemanden, Flüchtlinge nach festgelegten Quoten aufzunehmen. Wer mehr aufnehmen will, kann auch mehr aufnehmen." Die Mitarbeiter des Kommissars gehen allerdings schon davon aus, dass die Flüchtlinge nach Quoten verteilt werden, die sich aus der Größe und wirtschaftlichen Leistungsstärke des Mitgliedsstaat errechnen. Deutschland müsste nach dieser Rechnung in zwei Jahren rund 18 Prozent der Umsiedler aufnehmen, das wären ungefähr 8000 Menschen. "Das ist verkraftbar", sagt dazu die grüne Europaabgeordnete Ska Keller. "Dass sich eine Reihe von EU-Mitgliedsstaaten gegen den Vorschlag sperrt, kommt einer Fundamentalopposition gegen europäische Solidarität gleich."
Syrische "Kontingentflüchltinge" sollen aufgenommen werden
Neben den 40.000 Asylsuchenden, die aus Italien und Griechenland eventuell umgesiedelt werden, schlägt die EU-Kommission vor, dass 20.000 Flüchtlinge aus Syrien aus Flüchtlingslagern außerhalb der EU nach Europa geholt werden. Diese sogenannten "Kontingent-Flüchtlinge" sollen ebenfalls nach einem Quoten-System verteilt werden. Allerdings würde die Ansiedlung dieser Flüchtlinge auf freiwilliger Basis geschehen. Das Programm soll ebenfalls zwei Jahre laufen. Einige Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, haben bereits erklärt, dass sie Kontingent-Flüchtlinge aufnehmen würden. Diese Personen-Gruppe würde dann legal in die EU einreisen und wäre nicht auf Menschenschmuggler und illegale Überfahrten über das Mittelmeer angewiesen.
Seenotrettung wird ausgeweitet
Die EU-Kommission will die Umsiedlung von Asylsuchenden nach dem Notfall-Paragrafen nicht auf Italien oder Griechenland beschränken. Sollten sich die Migrationsrouten ändern, könnten auch andere EU-Staaten die Solidarität der anderen einfordern. Auch auf Malta ist die Belastung groß, allerdings ist die Zahl von Neuankömmlingen dort in den letzten Monaten stark zurückgegangen. Zur neuen Flüchtlingspolitik gehört auch, dass die Operation "Triton" ihr Einsatzgebiet ausweitet. Künftig soll die EU-Grenzschutzagentur "Frontex" das gesamte Seegebiet zwischen Libyen und Italien nach Flüchtlingsbooten absuchen und Seenotrettung veranlassen. Damit wird "Triton" genau so umfangreich wie die italienische Seenotrettungsmission "Mare Nostrum", die im Winter eingestellt wurde, weil Italien die Kosten nicht mehr tragen wollte.