EU-Kommission sagt Elektroschrott den Kampf an
7. November 2019Konzentriert zieht Techniker Christopher Olk das kaputte Laufwerk aus einem DVD-Players heraus und schiebt es wieder zurück. "Wenn es die Mechanik oder die Elektronik ist, kann ich das machen. Wenn der Chip oder das Kühlsystem betroffen ist, nicht. Da fehlen mir die Geräte und die Ersatzteile", sagt der 26-jährige, der in Aachen in Batterietechnik promoviert.
Olk ist einer von vier Technikern, die an diesem Samstag in einem kleinen Raum im Repaircafé des Kölner Bürgerzentrums versuchen, mit Schraubenschlüssel und Lötkolben defekten Geräten neues Leben einzuhauchen. Ob Rasierer, Toaster, Bildschirm oder Lampe, alles was die Menschen aus der Nachbarschaft herbringen, sehen sich die Tüftler an.
An kaputten Geräten mangelt nicht in Europa: Mit mehr als 12 Millionen Tonnen pro Jahr- das entspricht dem Gewicht von 30.000 Jumbojets - liegt Europa hinter Asien auf Platz zwei in der Rangliste der weltweiten Elektromüllproduzenten
, das zeigen Berechnungen der Plattform zur Beschleunigung der Kreislaufwirtschaft (PACE)
Hersteller müssen liefern
"Wir wollen Elektroschrott vermeiden und versuchen Menschen zu umweltbewusstem Handeln zu motivieren. Daran beißen sich zurzeit viele die Zähne aus", sagt Dunja Karabaic, eine der beiden Initiatorinnen des Kölner Repaircafés.
Längere Lebensdauer von Geräten - was im Repaircafé im Kleinen versucht wird, will die Europäische Kommission nun auf EU Ebene mit einer neuen Ökodesign-Verordnung umsetzen.
Die Kommission setzt dabei auf Regulierung. Ab 2021 werden Hersteller europaweit neben der genaueren Kennzeichnung des Energieverbrauchs erstmals dazu verpflichtet die Reparierbarkeit und Funktionsdauer von elektronischen Geräten wie Waschmaschinen, Kühlgeräten, Spülmaschinen, Elektromotoren, Lichtquellen und LED-Bildschirmen zu verbessern. Außerdem müssen die Hersteller Ersatzteile noch mindestens 10 Jahre nach dem Kauf zur Verfügung stellen. Allerdings fallen Laptops und Smartphones nicht unter die neuen Regeln, dazu später mehr.
Ökologisches Potenzial und das Recht zu reparieren
Die europäischen Kommission schätzt, dass so bis 2030 jährlich 167 Terrawattstunden Energie eingespart werden könnten. Das entspräche dem jährlichen Energieverbrauch von Dänemark mit seinen 5,8 Millionen Einwohnern. Der Effekt soll zum einen durch höhere Energieeffizienz der Geräte zustande kommen. Zum anderen müssten weniger Produkte neu produziert werden, wenn die Geräte länger halten. Bei Strom- und Anschaffungskosten sollen die EU-Bürger künftig 150€ pro Jahr sparen – so der Plan der Komission.
"Ökodesign ermöglicht es uns, unsere Ressourcen effizienter zu nutzen und klare wirtschaftliche und ökologische Vorteile zu erzielen", erklärt der Vizepräsident der Europäischen Kommission für Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit Jyrki Katainen in einem offiziellen Statement.
Auch Umweltorganisationen begrüßen die Verordnung. "Den Europäern das Recht einzuräumen, ihre eigenen Produkte zu reparieren, ist vernünftig", sagt Chloé Fayole, Direktorin für Programm und Strategie von derEuropäische Bürger- und Umweltorganisation ECOS.
Wie lange müssten Geräte nutzbar sein?
Wie viel länger die Geräte in Zukunft halten sollen und welche Effekte im Detail erwartet werden, ist nicht genau festgelegt. Doch wenn Geräte besser reparierbar seien, so Jean-Pierre Schweitzer Experte für die Ökodesign vom European Environmental Bureau (EEB) im DW Gespräch, "wird der Umsatz der Lagerbestände bei Produkten automatisch sinken, und das bedeutet, dass auch weniger Elektroschrott produziert wird. Aber es hat noch niemand im Modell getestet, ob dies in der Praxis auch wirklich so passieren wird."
Das EEB hat deshalb einen Bericht zu den Effekten von lebensverlängernden Maßnahmen bei elektronischen Geräten vorgelegt. Die Berechnungen zeigen: Würden Waschmaschinen in Europa ein Jahr länger genutzt als bisher, hätte das denselben positiven Effekt auf das Klima, als wenn 133.000 Autos weniger fahren würden.
Durchschnittlich hält eine Waschmaschine derzeit rund 11 Jahre. Doch laut den Experten müsste sie mindestens 20 Jahre genutzt werden, bis sich der Kauf eines neuen Gerätes aus Umweltsicht lohnt.
"So lange spart es Ressourcen ein altes Gerät zu benutzen - und zu reparieren", sagt Rasmus Prieß, Experte für Produktnachhhaltigkeit vom Öko-Institut in Freiburg.
Betrachtet man die Energiebilanz für Herstellung und Betrieb, müsste ein Laptop bis zu 44 Jahre genutzt werden und ein Smartphone sogar bis zu 232 Jahren. Sie fallen allerdings nicht unter die neuen EU-Regeln für bessere Reparierbarkeit, ebenso wenig wie Klimaanlagen und kleine Haushaltsgeräte wie Rasierer, Mixer oder Toaster. Diese Produkte sollen in den nächsten Schritten aufgenommen werden. Auch der DVD-Player, den Christopher Olk im Kölner Repaircafé repariert, ist noch nicht auf der Liste der EU-Kommission.
Regeln mit Lücken
Er hat alleine 30 Minuten gebraucht, um das Gehäuse des Gerätes zu entfernen, um einen Blick ins Innere zu werfen. Letztendlich ging es nur mit Gewalt. "Sehen sie das alte Radio da drüben", sagt er und zeigt auf ein antikes senfgelbes Transistorradio, dass wohl schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat. "Da drunter befindet sich eine Anleitung, wie man es öffnet und einzelne Teile herausnimmt. Allein sowas würde schon helfen."
Auch das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) hat in Brüssel mitverhandelt. Man habe sich dafür eingesetzt, dass einfache Reparaturen vom Kunden selber durchgeführt werden können, schwierige und gefährliche hingegen weiterhin vom Fachmann erledigt werden müssen, heißt es in einem Statement gegenüber der DW.
Auch die Preise für Ersatzteile könnten den Erfolg der neuen Regelungen schmälern. Denn eine Preisbremse für Ersatzteile sieht die Regelung bisher nicht vor. Jean-Pierre Schweitzer vom EEB sieht das Risiko, "dass es einen wirtschaftlichen Anreiz gibt, dass man Ersatzteile sehr teuer macht oder Produkte herstellt die regelmäßig kaputtgehen."
Dabei hatte das Joint Research Center der EU Kommission in einer Analyse festgestellt, dass "der Hauptgrund, dass eine Waschmaschine oder ein Geschirrspüler nicht repariert wird ist, dass die Reparatur vom Verbraucher alszu teuer angesehen wurde."
Paolo Falcioni, Generaldirektor des europäischen Branchenverbandes für Haushaltsgeräteindustrie APLLIA, lobt die Verordnung dennoch als "eine ausgewogene Darstellung der Interessen." Aber er sieht auch einige Nachteile. Zum einen fürchtet der Verband, dass wegen der Verordnung weniger Geräte für den europäischen Markt zugelassen werden könnten, zum anderen wolle man Wettbewerbsverzerrung unbedingt vermeiden, so Falcioni.
"Reparieren viel wichtiger als Recycling"
Auch wenn es noch Nachbesserungsbedarf gebe, insgesamt sei es "bahnbrechend" dass durch die neue Gesetzgebung "das Reparieren als etwas angesehen wird, was viel wichtiger ist als Recycling", sagt Jean-Pierre Schweizer vom EEB. "Wenn wir über eine Kreislaufwirtschaft sprechen, ist Reparieren ein sehr effizienter Punkt, mit dem man echte Ressourcen und Emissionen sparen kann. Und das ist nur ein Anfang, wir sollten die positiven Aspekte dieser Gesetzgebung wirklich hervorheben."
Im Repaircafé in Köln hat Christopher Olk inzwischen aufgegeben, der defekte DVD-Player ist nicht mehr zu retten. Das ist nicht selten in der kleinen Nachbarschaftswerkstatt. Auch Braco Sladakovic, der seinen LED Fernseher hergebracht hatte, war nicht erfolgreich. Die Hintergrundbeleuchtung tut's nicht mehr. "Wir haben es versucht, es war zu kompliziert. Das lohnt sich nicht mehr, leider". Das Ersatzteil ist zwar günstig zu ersetzen, allerdings wäre die Reparatur zu schwierig und teuer.
Jetzt wird er den defekten Fernseher vielleicht noch für ein paar Euro an einen Bastler los oder er bringt ihn doch zum Elektroschrott.