Juncker und die Frauen
7. August 2014Die Frist ist abgelaufen. Bis zum Stichtag am 1. August, zu dem die EU-Mitgliedsstaaten ihre Kandidaten für die neue EU-Kommission benennen sollten, hielten es fünf der 28 Regierungen nicht für nötig, einen Bewerber Richtung Brüssel zu schicken. Oder besser eine Bewerberin. Denn dem designierten Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, fehlen vor allem Frauen in seiner neuen EU-Regierungsmannschaft. Bislang waren neun der 28 EU-Kommissare weiblich. Das entspricht einer Quote von 33 Prozent. Diese Quote will Jean-Claude Juncker mindestens auch in seiner Kommission erreichen, besser mehr.
Die Europäische Union strebt ja zum Beispiel bis zum Jahr 2020 eine gesetzliche Frauenquote von 40 Prozent bei den Spitzenposten in der Wirtschaft an. Da sollte sie vielleicht mit gutem Beispiel vorangehen. Junckers Sprecherin, Natasha Bertaud, sagte in Brüssel, Juncker "arbeitet daran, die Zahl weiter zu steigern." Vor einer Woche hatte sie noch gewarnt, die Bildung der neuen EU-Kommission könne sich verzögern, wenn nicht genügend Frauen benannt würden. Nach den bis jetzt bestätigten Nominierungen kann Juncker im Moment mit vier, höchstens sechs weiblichen Führungskräften kalkulieren: Federica Mogherini (Italien), Kristalina Georgieva (Bulgarien), Cecilia Malmström (Schweden) und Vera Jourova (Tschechien), möglicherweise noch Connie Hedegaard (Dänemark). Außerdem eine slowenische Politikerin, die noch formal ernannt werden muss.
Drohungen aus dem Parlament
Das sind zu wenige, wenn Martin Schulz, der wiedergewählte Präsident des Europäischen Parlaments, seine Drohung Ernst meint. Er hat in Aussicht gestellt, dass das Parlament die gesamte Kommission bei der abschließenden Abstimmung im Oktober durchrasseln lässt, wenn der Frauenanteil nicht mindestens so hoch sei wie heute. Der SPD-Politiker hatte in mehreren Interviews gesagt, eine EU-Kommission mit drei Frauen "lassen wir nicht durchgehen". Martin Schulz, der im Wahlkampf gegen Jean-Claude Juncker angetreten war, hatte sogar eine Frauenquote von 50 Prozent versprochen, sollte er gewählt werden. Immerhin das Europäische Parlament kann darauf verweisen, dass nach der Europawahl im Mai der Anteil der weiblichen Abgeordneten leicht auf 36 Prozent gestiegen ist.
Die Regierungen der Mitgliedsstaaten haben alle Bitten, alles Flehen und Drohen von Jean-Claude Juncker bislang ignoriert. Eigentlich wollte der ehemalige luxemburgische Ministerpräsident erreichen, dass jeder Mitgliedstaat drei Kandidaten, davon mindestens eine Frau, benennt. Dann hätte Juncker bei der Zusammenstellung seiner Kommission frei schalten und walten können. Das hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beim letzten EU-Gipfel brüsk zurückgewiesen. "Von dieser Regelung ist mir nichts bekannt", sagte die Kanzlerin. Sie habe den jetzigen deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger noch einmal nominiert. Und dabei bleibe sie auch. "Der ist nun einmal keine Frau", so die Kanzlerin. Die einzige Regierung, die sich an Junckers Aufforderung gehalten hat, ist die slowenische. Sie schickte gleich drei weibliche Kandidaten zur politischen Brautschau, unter denen Juncker auswählen kann.
Eine Gleichung mit vielen Unbekannten
Das Puzzlespiel, dass Jean-Claude Juncker bis zum nächsten EU-Gipfel Ende August lösen soll, ist kompliziert. Es hat zwar nur 28 Teile, aber mehrere Dimensionen. Neben dem Geschlecht müssen auch die Aufgabenbereiche passen. Große Länder wollen wichtige Portfolios. Kleine Länder wollen nicht untergebuttert werden. Östliche Mitgliedsstaaten wollen ein wichtiges Ressort. Nördliche Staaten wollen keinen Südländer als Währungskommissar. Juncker hat in den vergangenen Wochen alle Wünsche mit den Regierungen durchgesprochen. Im Moment passen die Teile noch nicht zusammen.
Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi beharrt darauf, seine unerfahrene Außenministerin Federica Mogherini als EU-Außenbeauftragte zu installieren. Jean-Claude Juncker ist dagegen. Zum einen darf der EU-Kommissionspräsident die Ressorts eigenständig verteilen. Öffentliche Nominierungen stehen den Mitgliedsstaaten nach den - allerdings ungeschriebenen - Regeln des EU-Personalkarussells nicht zu. Einige osteuropäische Mitgliedsstaaten glauben, dass Federica Mogherini in der Ukraine-Krise zu freundlich gegenüber Russland agiert. Sie wollen lieber die Bulgarin Kristalina Georgieva auf den Außenministerposten hieven.
Jean Claude Juncker versuchte sich in einem Interview mit der Zeitung "Le Quotidien" aus seiner Heimat Luxemburg in Diplomatie: "Man muss verstehen, dass Italien traditionell immer ein gutes Verhältnis zu Russland hatte." Man denke nur an die Männerfreundschaft zwischen dem ehemaligen Ministerpräsidenten Berlusconi und dem russischen Präsident Putin, sagte Juncker. Andererseits sei auch klar, dass "die ost- und mitteleuropäischen Staaten immer noch traumatisiert sind" durch die Zeit unter sowjetischer Herrschaft. Juncker kann deshalb verstehen, dass diese Staaten den Posten gerne in ihren Reihen hätten. Angeblich ist der polnische Außenminister Radek Sikorski erpicht auf den Job, aber der ist nun auch keine Frau. Und damit wären wir wieder am Anfang des Puzzles.
Ein weiteres männliches Puzzleteil ist der ehemalige französische Finanzminister Pierre Moscovici, den der französische Staatspräsident Francois Hollande gerne als Währungskommissar sähe. Dann wäre Moscovici für die Überwachung des Stabilitätspaktes zuständig und könnte Frankreich vor Strafen wegen schlechter Haushaltsführung bewahren. Gegen diesen Plan hat angeblich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in Berlin ein Veto eingelegt. Er ist zwar mit dem Sozialisten Moscovici persönlich befreundet, doch dessen politische Forderung nach einer Aufweichung des Stabiltätspaktes hält der konservative Schäuble für falsch. Zu diesem Streit sagte der kommende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im "Le Quotidien": "Niemanden steht in diesen Fragen ein Veto zu. Ich betone noch einmal, es ist allein der Kommissionspräsident, der die Kommission zusammensetzt, es sind nicht die Regierungen der Mitgliedsstaaten."
Die Aufstellung der Kommission könnte also zu einer Machtprobe zwischen den Institutionen werden: der EU-Kommissionspräsident auf der einen Seite und der Rat, die Versammlung der Staats- und Regierungschefs auf der anderen Seite. Zwei Mitgliedsstaaten, Großbritannien und Ungarn, hatten Juncker als Chef der Kommission ohnehin abgelehnt. Ein erster Sondergipfel zu Personalfragen war am 16. Juli gescheitert. Die notwendigen parlamentarischen Anhörungen für die neuen EU-Kommissare sollen Ende September beginnen. Die neue Kommission müsste am 1. November ihr Amt antreten.