EU-Kommission für Verfahren gegen Italien
5. Juni 2019Die EU-Kommission droht Italien wegen des wachsenden Schuldenbergs mit einem Strafverfahren. Ein solches Vorgehen sei aufgrund der Entwicklung der öffentlichen Schulden des Landes gerechtfertigt, teilte die Kommission in Brüssel mit. Die Verpflichtungen des Landes hätten voriges Jahr 132,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreicht und damit weit über der Obergrenze von 60 Prozent gelegen. Gleichzeitig sei der dortigen Regierung der zugesagte Schuldenabbau nicht im versprochenem Ausmaß gelungen. Da zudem die Wirtschaft langsamer wachse, werde sich das Verhältnis von Schulden zu BIP dieses und nächstes Jahr noch verschlechtern.
Die EU-Finanzminister müssen der Eröffnung des Defizitverfahrens noch zustimmen, das am Ende zu einer milliardenschweren Geldbuße für Italien führen kann. Das Land entkam Ende vorigen Jahres nur knapp einem Strafverfahren aus Brüssel. In Rom regiert seit Sommer 2018 eine Koalitionen aus der weit rechts stehenden Lega und der linkspopulistischen 5-Sterne-Bewegung.
Salvini verspricht drastische Steuersenkungen
Zuvor hatte bereits die Zeitung "La Repubblica" berichtet, dass noch an diesem Mittwoch ein Brief an die Regierung in Rom verschickt werde. Darin heißt es, dass die fehlende Haushaltsdisziplin zu einem drastischen Vertrauensverlust an den Finanzmärkten führen könnte, wie das Blatt unter Berufung auf einen Entwurf des Schreibens zitiert. Demnach fordert die EU-Kommission von der Regierung in Rom Budgetkürzungen von drei bis vier Milliarden Euro, um Sanktionen zu vermeiden. Die EU-Kommission hatte bereits in der vergangenen Woche einen Mahnbrief nach Rom geschickt.
Nach wochenlangen Streitigkeiten und der Rücktrittsdrohung des parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte hatten sich die Koalitionspartner 5-Sterne und Lega zuletzt wieder aufeinander zu bewegt. Am Dienstag erörterten der Chef der 5-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, und der Vorsitzende der rechten Lega, Matteo Salvini, die Möglichkeit einer Verletzung der EU-Defizit-Regel, wie die Zeitung "Corriere della Sera" berichtete. Salvini hat drastische Steuersenkungen versprochen und schlägt deshalb die Forderungen der EU nach Haushaltsdisziplin in den Wind. Conte pocht dagegen darauf, dass Italien die Schuldenregeln der Europäischen Union einhalten soll. Der Streit hatte über die italienischen Grenzen hinaus Sorgen um die Finanzstabilität ausgelöst.
Mehr als 2,3 Billionen Euro Schulden
Italien hat eine der höchsten Staatsverschuldungen der Welt. Ende 2018 betrug sie mehr als 2,3 Billionen Euro. Das entspricht etwa 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In der Eurozone sind maximal 60 Prozent erlaubt. Liegt ein Staat darüber, muss er Gegenmaßnahmen ergreifen, um die Verschuldung in den Griff zu kriegen. Damit soll die Stabilität des gemeinsamen Währungsgebiets gesichert werden. Während der Finanzkrise, die Europa vor allem von 2010 an traf, brachten überhöhte Staatsverschuldungen das Währungsgebiet an den Rand des Zusammenbruchs und hatten verheerende Konsequenzen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.
Der Weg bis zu Strafen ist jedoch lang. Nach einer Empfehlung der EU-Kommission müssen Europas Finanzminister mehrheitlich für die Verfahrenseröffnung grünes Licht geben. Dieses kann sich dann über mehrere Jahre hinziehen. Bei jedem wichtigen Verfahrensschritt ist erneut die Zustimmung der Mehrheit der Mitgliedstaaten nötig.
Defizitverfahren gegen Spanien vor dem Ende
Zugleich mit der Entscheidung zu Italien empfahl die Kommission, das Defizitverfahren gegen Spanien einzustellen. Es sei an der Zeit, mit dem Verfahren gegen Spanien das letzte der seit der Finanzkrise vor rund zehn Jahren eröffneten Defizitverfahren einzustellen, sagte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici. Die Neuverschuldung Spaniens lag 2018 mit 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erstmals seit mehr als zehn Jahren unter der von der EU geforderten Drei-Prozent-Marke. Zum Höhepunkt der Finanz- und Schuldenkrise 2009 hatte Spanien innerhalb eines Jahres mehr als zehn Prozent seines BIP an neuen Verbindlichkeiten angehäuft.
Während der Finanzkrise und in den Jahren danach waren gegen 24 der damals 27 EU-Länder Verfahren wegen übermäßiger Neuverschuldung eingeleitet worden. Bisher wurde aber noch nie eine Geldbuße verhängt. 2016 wurde gegen Spanien und Portugal wegen jahrelanger Defizitverstöße erstmals überhaupt ein Bußgeldverfahren in Gang gesetzt. Kommission und EU-Finanzminister sahen dann aber von Geldstrafen ab. Begründet wurde dies mit der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage. Die Bundesregierung hatte zunächst noch auf eine Kürzung von Strukturhilfen gepocht, gab aber schließlich nach.
sti/pg (afp, dpa, rtr)