EU-Kandidatenstatus für Mazedonien: Politische Weitsicht
22. Dezember 2005Es ist wieder einmal ein typischer EU-Kompromiss zwischen Wollen und Können: Wenn man die internen Probleme nicht grundsätzlich lösen kann, dann will man aber auch nicht Unschuldige dafür bestrafen. Wirklich fit für neue Erweiterungen ist die EU auch nach diesem Gipfel nicht, der Haushalts-Streit wird früher oder später erneut auf die Tagesordnung kommen. Aber Mazedonien hat seine Hausaufgaben zur Zufriedenheit erfüllt - und das hat die EU nun zu Recht anerkannt und mit dem Beitrittskandidaten-Status honoriert.
Hätten die Staats- und Regierungschefs der Union das Balkan-Land weiter auf der Wartebank schmoren lassen, dann hätten sie nun ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn sie können nicht bei der Türkei und Kroatien, die gerade vor zwei Monaten den Kandidaten-Status erhalten haben, eine andere Messlatte ansetzen als nun bei Mazedonien. Und sie müssten befürchten, den noch immer nicht ganz stabilen Frieden zwischen der mazedonischen und albanischen Bevölkerung des Balkan-Landes zu gefährden, der ja auf ihren Druck hin zustande gekommen war. Wer nur Forderungen stellt, dann aber selbst zögert, gemachte Versprechen - nämlich eine Zukunft in der Europäischen Union - einzuhalten, der stärkt dort nur die extremen Nationalisten.
Klare Signalwirkung
So aber haben die 25 europäischen Staats- und Regierungschefs doch schließlich politischer Weitsicht den Vorrang gegeben: Für Mazedonien ist es weit mehr als eine symbolische Entscheidung, denn sie bedeutet auch mehr Finanzhilfen, zumindest längerfristig gesehen. Und sie hat eine klare Signalwirkung an jene, die sich noch nicht mit dem multiethnischen Staatskonzept, wie es dem Ohrider Friedensabkommen zugrunde liegt, abfinden wollen. Sie ist ebenso ein Warnsignal an alle Mazedonier, die die Zugeständnisse an die albanische Minderheit gerne rückgängig machen würden, wie auch an alle Albaner, die noch heimlich von einer Abspaltung träumen.
Dennoch: bevor man nun die Sektkorken knallen lässt, sollte man das Kleingedruckte lesen: Ein Datum für den Beginn der Gespräche mit Mazedonien gibt es noch nicht, zusätzliches Geld dafür ist in den Haushalten der kommenden Jahre auch noch nicht eingeplant. Noch mehr Sorgenfalten bekommt man aber nach der Ankündigung, dass die EU zunächst eine grundsätzliche Debatte darüber führen will, wie die künftige Erweiterungspolitik aussehen soll.
Erweiterungspolitik in der Diskussion
Dabei werden die wirtschaftlichen Aspekte in den Vordergrund rücken: Wie viele neuen Beitritte kann sich die EU mit welchem zeitlichen Abstand leisten? Rumänien und Bulgarien sind spätestens 2008 Mitglieder - das ist unwiderruflich. Aber wenn die EU es nicht schaffen sollte, ihre eigene Haushaltspolitik dauerhaft in den Griff zu bekommen, dann könnte das schon für Kroatien eine längere Warteschleife bedeuten. Obwohl das Land aufgrund seiner Größe nicht so sehr ins Gewicht fällt und auch ein Wunschkandidat vieler EU-Staaten ist. Und wenn Kroatien länger warten müsste, gälte dasselbe auch für Mazedonien. Von der Türkei ganz zu schweigen. Zudem dürfte es dann eine Neuauflage der Debatte um die geografische und kulturelle Zugehörigkeit des Landes am Bosporus zu Europa geben - da droht sich wieder jene Büchse der Pandora zu öffnen, die man doch gerade erst mit großer Mühe geschlossen hat.
Klar ist: Eine grundlegende Diskussion über die Erweiterungspolitik kann lange dauern. Viel entscheidender ist aber: Mit solchen Diskussionen kommt die Europäische Union letztlich nicht weiter, wenn sie ihre internen Probleme nur immer tiefer unter den Teppich zu kehren versucht. Reformen beim Thema Subventionen sind ebenso dringend nötig wie die Abschaffung des Britenrabatts. Nicht nur, um die EU fit zu machen für neue Erweiterungsrunden. Sondern auch, um als Staatengemeinschaft einen zukunftssicheren Weg einzuschlagen.
Klaus Dahmann
DW-RADIO, 17.12.2005, Fokus Ost-Südost