EU-Haushalt wider Willen
30. Mai 2017Für Günther Oettinger ist es der erste Haushaltsentwurf als EU-Kommissar. Er war erst Anfang des Jahres ins Amt gekommen - mit ehrgeizigen Zielen: Mehr Investitionen soll die EU leisten, neue Arbeitsplätze sollen entstehen, vor allem der Jugendarbeitslosigkeit will Oettinger den Kampf ansagen: "Wir versuchen dafür zu sorgen, dass mehr junge Menschen in Europa Arbeit finden und mehr wichtige Investitionen vor Ort getätigt werden", sagte Oettinger bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs in Brüssel. Auch die Terrorbekämpfung wird im Etatentwurf 2018 berücksichtigt, genau wie die Situation der Flüchtlinge. Sogar ein eigenes Kapitel für eine gemeinsame EU-Verteidigungspolitik will Oettinger eröffnen. Das alles soll rund 145 Milliarden Euro kosten, so beschreibt es der Entwurf.
Der EU-Haushalt als Brexit-Verhandlungsmasse
Doch ob das Papier jemals so abgesegnet wird, ist unklar. Denn die Briten weigern sich, dem Haushaltsentwurf für 2018 zuzustimmen. Die Britische Regierung habe mitgeteilt, dass es in Großbritannien einen Grundsatz gebe: Eine Regierung treffe während eines Wahlkampfes keine Entscheidungen von politischer Bedeutung. Oettinger bezog sich darauf. Offiziell geht es also nur um politische Grundsätze - der Wahlkampf um das Unterhaus sei schuld an der Blockadehaltung. Sobald eine neue Regierung im Amt ist, solle diese sich mit dem EU-Haushalt befassen, so die Verlautbarung aus London. Also alles nur "business as usual". Aber auf EU-Seite machen sich Sorgen breit, dass sich Theresa May auch bei ihrer Wiederwahl mit einer Zusage zurückhalten könnte.
Denn in den nahenden Brexit-Verhandlungen wird es um große Summen Geld gehen. Von EU-Vertretern gibt es zwar bislang keine offiziellen Angaben zur Höhe der "Brexit-Bill", aber Schätzungen belaufen sich auf eine Rechnung in Höhe von 60 bis 100 Milliarden Euro. Diese Summe könnte den Briten auferlegt werden - und da könnte der EU-Haushalt schnell zur Verhandlungsmasse werden, so die Befürchtung in Brüssel. Hinter der Haushaltsblockade könnten durchaus verhandlungstaktische Überlegungen stehen, sagt Guntram Wolff, Leiter des Brüsseler Think-Tanks Bruegel. Die Briten machten vor Beginn der Brexit-Verhandlungen keinen Hehl daraus, dass sie nichts davon halten, große Summen für ihren Austritt an die EU zu überweisen.
Oettinger warnt vor den Folgen eines Vetos
Bei geplanten Ausgaben in Oettingers Haushalt von 145 Milliarden Euro wird schnell klar, dass die Versuchung nahe liegt, den EU-Haushalt mit Brexit-Forderungen der EU zu verrechnen. Denn wenn das EU-Budget nicht voll ausgegeben wird, fließt es zurück an die Mitgliedsstaaten. Es könnte daher im Interesse der Briten sein, das EU-Budget möglichst niedrig zu halten oder gar möglichst viel Geld aus dem EU-Haushalt zurückzubekommen, sagt Wolff. Der jetzige Haushaltsentwurf liegt mit acht Prozent Mehrausgaben deutlich über dem letzten, was im Hinblick auf die sich abzeichnenden Brexit-Kosten sicher nicht für Begeisterung in London sorgen dürfte. Zudem zählt Großbritannien trotz eines "Briten-Rabatts" zu den größten Nettozahlern der EU.
Diese Zusammenhänge erkennt auch der Haushaltskommissar und warnt in seinem Haushaltsentwurf vor den Folgen eines anhaltenden Vetos. Etliche EU-Projekte stünden dann auf der Kippe. Dazu zählten etwa 700 Millionen Euro für den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, sowie der soeben beschlossene Aufbau von kostenlosen WLAN-Hotspots auf öffentlichen Plätzen. Auch die Milliardenhilfen für die Türkei zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen seien dann fraglich, heißt es in den Anmerkungen zum Haushaltsentwurf.
"Es bleibt ein Restrisiko"
Dennoch hofft der Kommissar jetzt darauf, dass sich das britische Nein nach der Wahl in eine Enthaltung verwandelt. "Die uns gegenüber dargelegten Gründe sind rein formeller Natur", sagt Oettinger. Auf Grundlage von Oettingers Vorschlag werden Regierungsvertreter der EU-Staaten sowie Haushaltsexperten des Europaparlaments nun die eigentlichen Budgetverhandlungen vorbereiten. Ob diese dann so durchgeführt werden können oder ob der Haushaltsentwurf sogar neu verhandelt werden muss, wird sich nach den Unterhauswahlen am 8. Juni zeigen.
"Wahlen sind Wahlen, man muss abwarten, wer regiert", sagt Oettinger. Es gebe also ein Restrisiko: der letzte Haushalt der EU mit 28 Mitgliedsstaaten könnte zum Druckmittel der Briten in den Brexit-Verhandlungen werden.