Warnung vor Entkopplung von China
8. Juni 2022In der Diskussion über eine Abhängigkeit Europas von China warnt die EU-Handelskammer in Peking vor einer Entkoppelung. "Wer sich aus dem chinesischen Markt herauszieht, schadet sich selbst", sagte Kammerpräsident Jörg Wuttke bei der Vorlage eines Berichts zur Rolle europäischer Unternehmen in Chinas Innovationssystem. Eine Entkoppelung sei nachteilig für die Entwicklung von Produkten. "Wenn wir uns von China absetzen, verlieren wir Geld, um den Betrieb zu Hause aufrechtzuerhalten."
Wuttke reagierte damit auf die Debatte über eine zu große Abhängigkeit Europas von Russland, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine einsetzte und sich auf China ausgeweitet hat. "Mit Russland haben wir eine Energie-Pipeline, aber mit China haben wir einen Wissens-Pipeline und eine Kapitalfluss-Pipeline", sagte Wuttke. Indem europäische Unternehmen in China tätig und innovativ seien, unterstützten sie nicht nur China, sondern auch sich selbst.
Unterschiedliche Chancen und Risiken
Die Untersuchung entstand in Zusammenarbeit mit dem Berliner China-Institut Merics zwischen September 2021 und April 2022. In der Studie wird hervorgehoben, dass eine Beteiligung an Chinas Innovationssystem zwar für viele Unternehmen die richtige Strategie sei, aber längst nicht für alle.
Während sich Unternehmen aus Branchen wie Auto, Chemie und Maschinenbau stärker engagierten, hielten sich Firmen etwa aus der Informations- und Kommunikationstechnologie wegen mangelnder Gelegenheiten und staatlichem Druck in China zurück.
Als Vorteile in China wurden die große Zahl der Kooperationspartner, innovative Forscher sowie die Größe des Marktes und der schnelle Weg zu einer kommerziellen Anwendung hervorgehoben. Als Nachteile gelten der schwache Urheberrechtsschutz, unfairer Wettbewerb, eine negative Einstellung auf dem deutschen Heimatmarkt gegenüber Forschung und Entwicklung in China und unklare Prozesse bei Zuschüssen und Hürden für ausländische Firmen.
Die meisten Befragten sehen in der Teilnahme am "chinesischen Innovations-Ökosystem" aber einen erheblichen Wert und sind bestrebt, ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (F&E) auszubauen und sie weiter in ihre globalen Strategien zu integrieren.
Zurückhaltung in der IT-Branche
Firmen aus Branchen, in denen China Investitionen und den Aufbau einer Produktion im Land fördert, wie Chemie, Industriemaschinen und Automobilbau, gingen in den meisten Fällen "aufs Ganze": Sie erhöhen ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung im Reich der Mitte, weil sie sich davon Wettbewerbsvorteile sowohl in China als auch auf dem Weltmarkt versprechen.
Andere, die an offene Märkte gewöhnt sind und stärker im internationalen Rampenlicht stehen, verfolgen der Studie zufolge einen "abgesicherten" Ansatz. Sie setzen zwar auf einen großen F&E-"Fußabdruck" in China, behalten aber Kerntechnologie und Innovation in ihren Heimatmärkten, um die Abwanderung von Know-how nach China einzudämmen.
Unternehmen in Branchen, die unter zunehmendem Druck von Chinas staatlichen Planern stehen, wie etwa in der Informations- und Kommunikationstechnologie, sind am pessimistischsten: Ihre äußerst zurückhaltenden F&E-Strategien spiegeln wider, wie stark ihre unternehmerische Tätigkeit von staatlicher Regulierung betroffen sind. Sie klagen über Nachteile gegenüber chinesischen Konkurrenten, die gezielt von der Staats- und Parteiführung in Peking gefördert werden.
Strategische Ziele Pekings entscheidend
Am wichtigsten sei es für ausländische Unternehmen, so die Studie, ihre derzeitige und künftige Position in China mit den strategischen Zielen Pekings abzugleichen. Erst dann könne man festlegen, wie man die Chancen eines "dynamischen Innovationsökosystems" maximieren und gleichzeitig die Risiken von unerwünschtem Know-how-Abfluss und Ideen-Diebstahl minimieren kann. Denn diese Gefahr "könnten sich aus einem größeren oder umfassenderen F&E-Fußabdruck auf dem chinesischen Markt ergeben."
tko/ hb (dpa, Merics)