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Politik

EU-Gipfel war ein Schlag ins Wasser

Barbara Wesel
21. Februar 2020

Nach zwei Tagen zäher Verhandlungen ging der Brüsseler Gipfel ohne Einigung zu Ende. Die Wünsche der Mitgliedsländer zu Umfang und Struktur des siebenjährigen Haushaltsplans liegen für eine Einigung zu weit auseinander.

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Belgien EU-Haushaltsgipfel in Brüssel
Bild: AFP/Y. Herman

Es hatte wohl niemand ernsthaft damit gerechnet, dass es eine Einigung geben würde. Schließlich war dies der erste Gipfel der Regierungschefs über den Haushaltsplan der kommenden sieben Jahre. Diese Treffen gelten stets als große Schaukämpfe für die Bürger in der Heimat.

Es bleibt damit weiter offen, ob die EU zwischen 2021 bis 2028 nun 1,3 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung,1,1 Prozent oder lediglich 1,07 Prozent in die Gemeinschaftskasse zahlen wird. Das sind jeweils Unterschiede in mehrfacher Milliardenhöhe.

Wer trägt die Schuld?

"Diese Verhandlungen werden immer schwieriger", sagte EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen, die das Spektakel zum ersten Mal erlebte. "27 Mitgliedsstaaten haben 27 verschiedene Interessen". Aber es hilft nichts: Das Geschacher wird so lange weitergehen, bis die Staats- und Regierungschefs sich zusammengerauft haben. Die EU braucht einen Haushalt.

Und dann sind es ja gar nicht Einzelne, sondern Interessenverbände, die sich da bekämpfen. Der Club der Sparsamen, bestehend aus Dänemark, die Niederlande, Österreich und Schweden, war schon zum Auftakt mit provozierender Kompromisslosigkeit beim Gipfel angetreten. Bis zuletzt betonten die "Sparsamen", dass sie eigentlich nicht bereit seien, überhaupt mehr für die EU auszugeben als bisher. 

Belgien EU-Haushaltsgipfel in Brüssel
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich enttäuscht vom EU-HaushaltsgipfelBild: AFP/K. Tribouillard

In ihrer Nähe hat die deutsche Regierung Position bezogen, die zwar bereit ist, ihren EU-Beitrag um ein paar Milliarden zu erhöhen - schließlich muss die Lücke gefüllt werden, die durch den Wegfall des britischen Beitrags entstanden ist - aber ihre Leidensbereitschaft ist auch begrenzt. Berlin will einen dauerhaften Rabatt auf seinen Nettobeitrag und vor allem eine Modernisierung des Haushaltes: Also weniger Geld in die alten festgelegten Töpfe für Landwirtschaft und Strukturhilfen, mehr für Forschung, Digitales, Klima.

Und dann beharrt Berlin auch auf einem Mechanismus, der die Möglichkeit einräumt, dass Mitgliedsländern bei anhaltenden Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit die Mittel gekürzt werden können. Das würde vor allem Polen und Ungarn treffen. Der neue Ratspräsident, der Belgier Charles Michel, hatte diesen Punkt weitgehend verwässert. Angela Merkel aber machte in ihrer sehr knappen Erklärung zum Scheitern des Gipfels ganz klar, dass sie auf den sogenannten Rechtsstaatlichkeits-Mechanismus nicht verzichten will. "Das kann man nicht mit Zahlen aufrechnen".

Ansonsten wollte die Kanzlerin nicht sagen, an wessen Hartleibigkeit denn nun die Einigung gescheitert sei:"Wir brauchen noch mehr Zeit, wir sind noch weit auseinander". Und einen nächsten Termin für einen neuen Gipfel gebe es auch noch nicht, da sei noch viel Arbeit nötig. 

Die Freunde der Kohäsion schlagen zurück

Den Sparern aus dem Norden stehen die "Freunde von mehr Geld" in den südlichen und östlichen Ländern gegenüber. Offiziell nennen sie sich "Freunde der Kohäsion", was EU-Sprech für Infrastruktur-und Regionalhilfen ist. Spaniens Premier Pedro Sanchez schimpfte am Ende, man habe sich viel zu sehr auf die Sparer konzentriert. Die hätten ihre Stimme über Gebühr zu Gehör gebracht, dabei seien sie doch kleinere Länder mit weniger Gewicht in der EU. Das stimmt zwar quantitativ, aber sie zahlen eben auch netto in den Haushalt ein. Für die Niederlande würde sich nach einigen Budgetentwürfen der Beitrag um 45% erhöhen. Sanchez kann davon ausgehen, dass Premier Mark Rutte da nicht mitmacht.

Belgien EU-Haushaltsgipfel in Brüssel
Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel MacronBild: picture-alliance/AP Photo/O. Matthys

Präsident Macron wiederum ist zwar bei dem Ruf nach Modernisierung mit der Bundeskanzlerin auf einer Linie, abgesehen davon aber verteidigt er die Interessen seiner französischen Bauern und ihrer EU-Subventionen wie alle seine Amtsvorgänger. "Frankreich hat einen schlechten Deal zur gemeinsamen Agrarpolitik abgelehnt". Will sagen, dass da gekürzt werden sollte.

Ein Erlebnis der besonderen Art hatten am Nachmittag die Journalisten im Lichthof des Ratsgebäudes, wo ihre Arbeitsplätze installiert sind: zum ersten Mal seit Jahren ließ sich Viktor Orbán dort blicken. Der ungarische Regierungschef, der wegen seines autoritären Kurses mit vielen EU-Ländern und seiner eigenen Parteienfamilie im EP Streit hat, also ausgerechnet dieser Viktor Orbán stellte sich plötzlich als der große Europäer vor die Presse: "Ich bin für ein ambitioniertes Europa", sagte er. Und dass man deswegen einen Haushalt von 1,3% brauche. Das ist die Forderung des Europaparlaments, die zuvor von den Regierungen achselzuckend vom Tisch gewischt wurde. Nicht dass sein Vorstoß eine Chance hätte, aber jedenfalls weiß der Ungar, wie man sich interessant macht.

Belgien Brüssel Viktor Orban
Seltener Besuch: Ungarns Premierminister Orbán vor der europäischen Presse in BrüsselBild: picture-alliance/dpa/BELGA/T. Roge

Während stundenlanger Vermittlungsversuche von Ratspräsident Michel mit einzelnen Ländern oder Interessengruppen hatten Präsident Macron und Kanzlerin Merkel genug Zeit für etwas Außenpolitik. Nachdem sie schon am Donnerstag wegen der Situation im syrischen Idlib mit Russlands Präsident Putin telefoniert hatten, sprachen sie am Freitag mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, um die politische und humanitäre Lage in der umkämpften Stadt zu entschärfen. Die Situation dort liege Macron und ihr am Herzen, sagte Merkel, und sie hoffe auf eine Fortsetzung der politischen Verhandlungen zwischen den am Konflikt beteiligten Ländern.

Der Verlierer heißt Charles Michel

Als Verlierer ging zunächst Ratspräsident Charles Michel vom Platz. Es war die erste Bewährungsprobe für den Belgier, und er hat es nicht geschafft, die Differenzen zwischen den streitenden Parteien auszugleichen. Vielleicht war sein Vorschlag nicht ausgefeilt genug und zu wenig vorbereitet, vielleicht waren die Mitgliedsländer aber auch bei dieser Haushaltsrunde wirklich weiter auseinander als sonst. Streit gibt es dabei immer, aber ist er immer so erbittert und scheinbar unüberbrückbar?

Allerdings hilft es nichts: Auch wenn er am Ende frustriert war, muss Michel es weiter versuchen. Es ist seine Aufgabe, die Gräben zwischen den Ländern, die ausgeben wollen und denen, die zuzahlen müssen, mit immer wieder neuen Vorschlägen zu überbrücken. Er wird dafür ein zweites Gipfeltreffen im März oder April brauchen - mindestens.